Brexit "Ein Umdenken in Großbritannien ist möglich"

Warum es eine Weile dauern wird, bis die Briten einen Austrittsantrag stellen, ein zweites Brexit-Referendum wenig wahrscheinlich ist und die Schotten derzeit eine große Show abziehen.

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Quelle: Getty Images

WirtschaftsWoche: Wie steht es mit der Aktivierung des Austritts-Paragraphen 50 des Vertrags von Lissabon – Großbritannien zögert, die übrigen EU-Staaten drängen. Gibt es eine Möglichkeit, die Briten zur Aktivierung zu zwingen

Adrian Pabst: Einen direkten rechtlichen Zwang gibt es da nicht. Der Artikel 50 sagt ganz klar, dass nur die Regierung des austrittswilligen Mitgliedstaates ihn aktivieren kann und nicht der EU-Rat oder die EU-Kommission oder andere Mitgliedstaaten. Es gibt allerdings die Möglichkeit, politischen Druck auszuüben.

Wenn Premier David Cameron diesem Druck widersteht, könnte sich das hinziehen, bis sein Nachfolger im September antritt?

Genau. Es könnte bis September dauern oder sogar noch länger. Denn die verschiedenen Kandidaten haben hier unterschiedliche Auffassungen. Innenministerin Theresa May etwa, die sich um Camerons Nachfolge bewirbt, will den Artikel 50 nicht vor Ende des Jahres aktivieren.

Adrian Pabst. Quelle: PR

Das könnte dann also noch eine ganze Weile dauern, was kann Deutschland dagegen unternehmen?

Die übrigen EU-Staaten könnten dem künftigen britischen Premier klar sagen: Wenn Ihr den Artikel 50 nicht aktiviert,  dann wird Eure Verhandlungsposition noch schlechter. Das könnte aber bewirken, dass die Briten noch länger zögern und sich so eine ausweglose Situation entwickelt.

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

Wie kommt man aus dieser verfahrenen Lage heraus?

Ich nehme an, dass der Artikel 50 erst dann aktiviert wird, wenn die großen Konturen einer Verhandlungsposition und eines künftigen Abkommens klarer sind. Hinter den Kulissen wird wahrscheinlich im Vorfeld doch ein bisschen diskutiert werden, allen Dementis zum Trotz. Die gemeinsamen Interessen überwiegen schließlich. Keiner möchte einen Austritt, der nachher zum Schaden Großbritanniens und der verbleibenden Mitgliedsstaaten ist.

Kann das britische Unterhaus den Brexit noch blockieren?

Wie es nach dem Referendum weiter geht
Premierminister David Cameron Quelle: dpa
Artikel 50 Quelle: dpa
Der ungeregelte Austritt Quelle: dpa
Das Modell „Norwegen“: Quelle: dpa
Das Modell „Schweiz“: Quelle: dpa
Das Modell „Kanada“: Quelle: dpa
Das „WTO“-Modell Quelle: REUTERS

Tatsächlich glauben manche Kommentatoren, dass der Premier und die Regierung für den Brexit die ausdrückliche Zustimmung des Parlaments benötigen. In seiner jetzigen Zusammensetzung ist das Parlament mehrheitlich für den Verbleib in der EU. Allerdings sagen alle führenden Politiker der Konservativen Partei – und das gilt auch für alle Kandidaten, die Regierungschef werden wollen – dass man dem Willen des Volkes folgen, also das Brexit-Votum umsetzen muss.

Also ist der Brexit nicht mehr zu verhindern?

Die Situation könnte in den nächsten 18 Monaten, vielleicht auch schon früher, anders aussehen als heute, weil die Konsequenzen des Austritts für jeden Einzelnen dann deutlicher sein werden. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass es nach und nach zu einem Umdenken kommt. Die Frage ist dann, ob man sich mit den anderen EU-Staaten auf einen Status einigen kann, der allen Interessen gerecht wird. Also vielleicht eine Art Assoziierungsstatus, wo Großbritannien nicht voll in die politischen Strukturen eingebunden ist, aber doch im Binnenmarkt bleibt und man sich vielleicht auf eine Reform der Freizügigkeit einigt. Denn das wollen ja auch einige andere Mitgliedsstaaten, die Probleme mit der Einwanderung haben. Die Frage ist allerdings, ob die großen EU-Staaten, vor allem Deutschland und Frankreich, bereit sind, bei der Freizügigkeit, die ja eine der vier Säulen des Binnenmarktes ist, eine Ausnahme zu machen.

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

Das Referendumsergebnis ist streng genommen nicht bindend. Muss man die Petition für ein zweites Referendum ernst nehmen?

Die Petition hat jetzt schon über vier Millionen Unterschriften, das bedeutet, dass sie irgendwann einmal vom Parlament debattiert werden muss. Doch die führenden Tory-Politiker haben auch hier schon klar signalisiert, dass diese Debatte für sie keine Priorität hat. Das ist wichtig, weil im parlamentarischen Kalender dafür Zeit eingeplant werden muss. Und da wird es sowohl vor der Sommerpause als auch im Herbst eng. Wichtiger: Alle werden sagen, wir können den Volkswillen nicht einfach ignorieren. Deshalb wird es auch kein zweites Referendum mit derselben Frage geben.

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