In den zähen Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens verschärft der Brüsseler Unterhändler Michel Barnier den Ton. Der Franzose wischte am Donnerstag die Vorschläge aus London zum künftigen Verhältnis zwischen Irland und Nordirland vom Tisch und verlangte neue. Zudem bekräftigte Barnier die EU-Finanzforderungen an Großbritannien und warnte London vor Illusionen zum künftigen Zugang zum EU-Binnenmarkt.
London und Brüssel verhandeln seit Juni über die Bedingungen des für 2019 geplanten EU-Austritts Großbritanniens, bisher aber ohne greifbare Ergebnisse. Das künftige Verhältnis des EU-Landes Irland zum britischen Nordirland gilt dabei als eine der kompliziertesten Fragen, die zuerst geklärt werden sollen.
Denn nach dem Brexit wird die irische Insel, die derzeit wie ein gemeinsamer Wirtschaftsraum ohne Grenzen funktioniert, von einer EU-Außengrenze durchzogen. Politisch heikel: Das Zusammenwachsen beider Teile der Insel war Grundlage des Friedensprozesses, der jahrzehntelange Gewalt zwischen nationalistischen Katholiken und pro-britischen Protestanten in Nordirland beendete. Die Prinzipien des Karfreitagabkommens von 1998 sollen nach Barniers Worten unbedingt erhalten bleiben und eine harte Grenze vermieden werden.
Großbritannien sieht das genauso. Die Regierung hatte vor einigen Wochen vorgeschlagen, die Probleme mit einem Zollabkommen zu lösen und auf Grenzkontrollen auch künftig zu verzichten. Barnier wies dies jedoch zurück und warf der britischen Regierung vor, damit schon Pflöcke für die künftigen Beziehungen zur EU insgesamt einrammen zu wollen.
„Großbritannien will, dass die EU an ihrer künftigen Außengrenze ihre Gesetze außer Kraft setzt ebenso wie die Zollunion und den Binnenmarkt“, sagte Barnier. „Großbritannien will das als eine Art Testlauf für die künftigen Zollbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU. Das wird nicht passieren.“
Barnier präsentierte am Donnerstag selbst ein Verhandlungspapier zu der irischen Frage, das aber ausdrücklich nur Grundsätze und keine praktischen Lösungen bieten soll. Diese Aufgabe obliege Großbritannien, da dessen geplanter EU-Austritt die Probleme erst schaffe, heißt es darin.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
Die EU will die irische Frage - sowie den künftigen Status von EU-Bürgern in Großbritannien und die Schlussrechnung für das Vereinigte Königreich - zuerst klären. Eigentlich wollte man das bis Ende Oktober schaffen, doch äußert sich die EU-Seite zum Zeitplan inzwischen skeptisch. Erst in einer zweiten Phase will die EU über die künftigen Handels- und Sicherheitsbeziehungen sprechen
Barnier legte neben den „Grundsätzen“ zur Irland-Frage noch vier weitere Verhandlungspapiere zu Einzelfragen vor. Insgesamt hat die EU damit 14 Kurzpositionen veröffentlicht. Großbritannien hat bereits elf und hat noch weitere Papiere angekündigt. Barnier bekräftige seinen Willen, zusätzliche Verhandlungsrunden anzusetzen, um schneller voranzukommen.
Im britischen Parlament begann am Donnerstag die zweite Lesung zum sogenannten Aufhebungsgesetz. Damit soll EU-Recht in britisches Recht übertragen werden, das in der Zeit nach dem Brexit nach britischem Ermessen verändert werden könnte. Die Opposition sieht das Gesetz kritisch, weil sich die Regierung dabei weitreichende Kompetenzen übertragen lassen will.
Für Premierministerin Theresa May wird die erwartete Abstimmung über das Gesetz am kommenden Montag zum ersten großen Test seit der schiefgelaufenen Neuwahl im Juni, bei der ihre Konservativen die Mehrheit im Parlament einbüßten.