Der Brexit-Unterhändler der EU-Kommission, Michel Barnier, will die Verhandlungen über das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union innerhalb von 18 Monaten abschließen. Bis Herbst 2018 sollen alle Detailfragen mit London geklärt sein, sagte Barnier am Dienstag in Brüssel.
Die britische Premierministerin Theresa May will die Verhandlungen über den EU-Austritt bis Ende März einleiten. Ab diesem Zeitpunkt wird dann auch formal der zweijährige Austrittsprozess gestartet. Barnier sagte aber, dass die tatsächliche Verhandlungszeit kürzer sein müsse, weil im Anschluss auch noch weitere Schritte wie die Zustimmung der Nationalparlamente umgesetzt werden müssten. Also: Abschluss der Verhandlungen im Oktober 2018 und endgültige Vereinbarung im März 2019 - zwei Jahre nach dem britischen Antrag.
„Die Zeit wird kurz sein“, sagte Barnier. Aber: „Wir sind bereit. Ruhig bleiben und verhandeln.“
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
Dieser Zeitplan hängt aber auch deshalb in der Schwebe, weil in Großbritannien darüber gestritten wird, ob die Regierung für den Antrag bei der EU das Parlament befragen muss oder nicht. Der High Court in London entschied im Oktober, dass die Abgeordneten ein Mitspracherecht hätten, die Regierung legte Berufung ein. Seit Montag und noch bis Donnerstag berät der Supreme Court in letzter Instanz über den Fall. Sollte auch er dem Parlament ein Mitspracherecht gewähren, könnte May die Verhandlungen möglicherweise erst nach Ende März einleiten.
Keine Rosinenpickerei
Dann geht es vor allem um den Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Barnier warnte die Briten, sie könnten sich bei den Gesprächen nicht die Rosinen herauspicken. Den Binnenmarkt und seine vier Grundfreiheiten, wie etwa die Personenfreizügigkeit, könne man nicht auseinanderdividieren.
Über eine Zwischenlösung für die Briten, die ihnen zumindest noch eine Zeitlang Zugang zum Binnenmarkt gewähren würde, um den Brexit abzufedern, wollte der Franzose nicht spekulieren. „Es liegt an den Briten, zu sagen, welche Beziehung sie wollen, und es liegt an den 27 EU-Staaten, die Zukunft zu definieren, die sie mit ihnen aufbauen wollen.“
Der britische Finanzminister Philip Hammond sagte am Dienstag auf einem Treffen der EU-Finanzminister, dass für die Verhandlungen mit der EU noch alle Optionen auf dem Tisch lägen. Das gelte auch für die Möglichkeit, dass Großbritannien auch nach dem Brexit weiter in EU-Töpfe einzahle, um den Zugang zum Binnenmarkt zu behalten. Hammond erklärte, er wolle den wirtschaftlichen Schaden durch den Brexit so klein wie möglich halten. Das sei im Interesse eines Jeden auf beiden Seiten des Ärmelkanals.
Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sieht dafür aber vor allem Großbritannien in der Pflicht. „Es kann reibungslos und ordentlich sein, aber dafür bedarf es einer anderen Einstellung von Seiten der britischen Regierung“, sagte er. „Wenn Großbritannien vollen Zugang zum Binnenmarkt will, werden sie die Regeln und Regulierungen akzeptieren müssen, die mit dem Binnenmarkt einhergehen.“