Brexit Großbritannien will sich gegen den EU-Austritt wappnen

Großbritannien erwartet eine Abschwächung des Wachstums, zusätzliche Infrastrukturausgaben sollen nun die negativen Folgen des Brexit abfedern. Finanzminister Philip Hammond übt sich bei seinem ersten Mini-Haushalt in Schadensbegrenzung und akzeptiert eine deutlich höhere Staatsverschuldung. Das Land verabschiedet sich vom Thatcherismus.

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Philip Hammond (l), Theresa May (r) Quelle: REUTERS

Der bevorstehende Brexit veranlasst die Regierung in London zu einem drastischen wirtschaftspolitischen Kurswechsel. Die Staatsschulden explodieren, unter Premierministerin Theresa May setzt das Land nun auf eine kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik und Rezepte des britischen Ökonomen John Maynard Keynes: Zusätzliche Infrastrukturausgaben sollen die erwarteten negativen Folgen des EU-Austritts abfedern. Bei der Vorlage seines ersten Haushaltsentwurfs seit dem EU-Referendum im Juni kassierte der britische Schatzkanzler Philip Hammond das Ziel seines Vorgängers George Osborne, bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2020 ein Haushaltsplus von zehn Milliarden Pfund zu erzielen, prognostiziert wird stattdessen ein Defizit von knapp 30 Milliarden Pfund.

Alles in allem plant die Regierung über die nächsten fünf Jahre 122 Milliarden Pfund (143 Milliarden Euro) mehr an Schulden aufnehmen als noch im März bei der letzten Haushaltsvorlage geplant. „Das Brexit-Votum wird den Lauf der britischen Geschichte verändern“, sagte Hammond. Das zeigt sich bereits: Im Fiskaljahr 2017/18 werden die Staatschulden nach heutigem Stand auf knapp 90 Prozent der jährlichen Wirtschaftskraft steigen. Wann wieder ein ausgeglichener Haushalt angestrebt wird, ist völlig ungewiss, denn der Finanzminister beließ es bei der vagen Aussage, dieses Ziel werde in der nächsten Legislaturperiode, die 2020 beginnt, angepeilt, „so bald dies praktikabel ist“. Volkswirte meinen, dieses Versprechen sei nichts wert.

Mit einer strikten Sparpolitik hatte Hammonds Vorgänger George Osborne das Haushaltsdefizit seit 2010 von zehn Prozent des BIP um mehr als die Hälfte gedrückt. Hammond verkündete keine neuen Sparmaßnahmen, er will die negativen Folgen des bevorstehenden Austritts aus der EU stattdessen mit einem neuen Infrastrukturprogramm sowie zusätzlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung abmildern. 23 Milliarden Pfund sind in den nächsten fünf Jahren allein dafür eingeplant und ab 2020 sollen jedes Jahr zusätzlich zwei Milliarden Pfund für Forschung und Entwicklung aus den Staatstöpfen fließen.

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Unter anderem setzt die Regierung auf die Einführung der 5G-Technologie im Mobilfunk sowie auf eine Modernisierung des Transportwesens. Mit Beginn der nächsten Dekade wird mindestens ein Prozent des BIP für die Modernisierung der Infrastruktur aufgewandt.

„Unsere Aufgabe ist es, unsere Wirtschaft widerstandsfähig zu machen, sie auf das Verlassen der EU vorzubereiten und sie für die anschließende Übergangsphase fitzumachen“, beteuerte der Finanzminister. Die offiziellen Wachstumsprognosen fürs nächste Jahr wurden von 2,2 auf 1,4 Prozent nach unten korrigiert. Gleichzeitig aber gab der Minister bekannt, dass das Wachstum dieses Jahr mit einem Plus von 2,1 Prozent geringfügig besser sein könnte als noch im März erwartet.

Tatsache ist, dass die lockere Geldpolitik seit dem EU-Referendum, die Abwertung des Pfundes um rund 20 Prozent und der immer noch bestehende Zugang zum EU-Binnenmarkt dazu führte, dass die britische Konjunktur den Brexit-Schock bisher sehr gut überstand. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs im dritten Quartal mit 0,5 Prozent weit besser als erwartet.

Die Bank of England (BoE) hatte Anfang August den Leitzins auf das historische Tief von 0,25 Prozent gesenkt und die Geldschleusen weiter geöffnet. Glaubt man den offiziellen britischen Prognosen so wird sich die Konjunktur auf der Insel nach einem vorübergehenden Einbruch mittelfristig stabilisieren: 2019 – dem Jahr in dem der Brexit wohl vollzogen wird -  soll die Wirtschaft um 2,1 Prozent zulegen.

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