Ivan steht vor der Liverpool Street Station. An jedem Finger trägt er einen blauen „In“-Sticker, viele Passanten greifen zu und heften sich das Statement auf ihrem Weg zur Arbeit an die Kleidung. „Ich mag keine Nationalisten“, sagt Ivan, der ursprünglich aus den Niederlanden kommt. An der EU sei zwar längst nicht alles toll. „Alle anderen Lösungen sind aber noch schlechter“, meint er. Die Union in Europa solle nicht kaputt gehen.
In London, meint Ivan, wäre ein Brexit ein riesiger Knall. Sein Mitstreiter Peter schätzt, dass zumindest in der City rund 80 Prozent für „Remain“ stimmen werden. Einer hat das mal anders gesehen. „Erst wollte ich für „Leave“ stimmen, erzählt ein Banker. Er habe Angst gehabt, dass vor allem die kleinen EU-Länder die Briten mehr kosten, als dass sie nutzen würden. Mittlerweile, erzählt er, habe er aber seine Meinung geändert. Nun sehe er vor allem die Vorteile für die Wirtschaft, vor allem was die Zahl der Jobs in Großbritannien angehe. „Ich habe für 'Remain' gestimmt“, sagt er.
Einige Londoner sehen das Referendum aber auch ganz pragmatisch. „Ich verlasse das Land so oder so“, sagt ein Brite auf die Frage, wie er es mit dem Brexit halte. Vielleicht gen USA, vielleicht aber auch woanders hin. Für ihn ist das Referendum keine Lösung für ein Problem, welches schon historisch unter der Regierung Thatcher seinen Lauf genommen habe.
Und die Brexit-Befürworter? Auch die gibt es in London, aber sie sind zumindest an diesem wahlkampffreien Donnerstag deutlich in der Unterzahl. Einer findet sich in einem Wettbüro. Rob Grant hat das nächste Spiel der Europa-Meisterschaft getippt und ein paar Pfund gesetzt. Auf den Brexit zu wetten, das wäre ihm dann doch zu heikel. „Aber ich habe für 'out' gestimmt“, sagt er. Allerdings, das ist ihm wichtig, nicht wegen der zunehmenden Zahl an Immigranten, welche bei so manchem Brexit-Befürworter als Standardargument herhalten muss.
Rob dagegen meint, dass vieles auf der Insel ohne die Vorschriften in der EU besser laufen würde, gerade was Arbeitsplätze angeht. In einigen Stadtvierteln, erzählt er, gebe es schon viele Befürworter wie ihn. Für ganz London gilt das wohl nicht.
Die besten Indikatoren für das Ergebnis sind nicht die offiziellen Meinungsumfragen, sondern die Buchmacher in den Wettbüros. Und deren Quoten sprechen eine eindeutige Sprache. „Ich würde nicht wetten“, sagt einer der Quotenmacher. Die Quote für „in“ werde immer geringer, die für „out“ dafür extrem riskant. Gut für ihn, dass seine Kunden das offenbar anders sehen. „Einer hat rund zehntausend Pfund auf 'out' gesetzt“, erzählt er, nicht ohne Verwunderung in der Stimme. Zuletzt wurde der Brexit laut Buchmachern immer unwahrscheinlicher. „Die Leute wetten gar nicht mehr“, sagt einer. Die meisten würden nur nachfragen.