Buch "Der stille Putsch" Angriff auf die vermeintlich Schuldigen der Euro-Krise

Jürgen Roth schildert in seinem neuen Buch „Der stille Putsch“ die Euro-Krise als konstruierten Plan einer kleinen Elite. Seine Thesen: gewagt. Seine Belege: nicht immer zufriedenstellend.

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Leitet die Euro-Krise das Ende der Wohlfahrtstaaten in Europa ein? Quelle: dpa

Sparen, sparen, sparen, so lautet die europäische Devise zur Krisenbekämpfung. Was dabei im Mittelpunkt steht, sollte auf der Hand liegen: Die Krise durch Strukturreformen an der Wurzel packen und so Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, um langfristig den Wohlstand in Europa zu wahren und zu mehren. Alles Quatsch, meint Jürgen Roth in seinem neuen Sachbuch "Der stille Putsch". Vielmehr gehe es einem elitären und neoliberalen Kreis aus Wirtschaft und Politik darum, den Wohlfahrtsstaat zu beerdigen. Die Euro-Krise sei bewusst in Kauf genommen worden, um die Rechte der Arbeiter einzudämmen. Die Euro-Krise als konstruierter Plan einer gierigen wirtschaftlichen Elite? Eine gewagte These, an dessen Richtigkeit der Autor aber von Beginn an keinen Zweifel lässt.

Dabei geht Roth geschickt vor, greift Fragen auf, die viele Bürger in Zeiten der Krise beschäftigen. Wohin verschwinden die Milliardenbeträge der EU, wieso wird „der kleine Mann“ noch mit Lohnkürzungen bestraft, während die Reichen immer reicher werden und welche Macht hat eigentlich noch der Nationalstaat? Um die Fragen zu beantworten und seine These zu stützen, holt Roth weit aus, kritisiert die Köpfe der Europapolitik, wie Mario Draghi und José Manuel Barroso und stellt die gesamte Europapolitik an den Pranger. Politiker, Wirtschaftsakteure und Bürger - in "Der stille Putsch" kommt kaum jemand gut weg. Seine Kritik belegt er mit einer Reihe von Fallbeispielen und Fakten, die aber oft nur einen Teil der Sachverhalte darstellen. Was sich nicht als Beleg eignet, wird kurzerhand unter den Tisch gekehrt. So bleibt der Leser oft ein wenig unbefriedigt zurück, da er mit Fallbeispielen abgespeist wird, für die aber die Belege fehlen.

So korrupt ist Europa

Ein Beispiel: Roth kritisiert die Hilfspakete mit Auflagen für Griechenland als Erpressung durch die Troika, lässt jedoch außen vor, dass Geldgeber eigentlich ein Recht darauf haben, ihr Geld zurückzubekommen. Die Troika fordert Strukturreformen ein, im Dialog mit den demokratisch gewählten Regierungen in den Krisenstaaten, damit Griechenland, Portugal & Co. ihre Schulden irgendwann begleichen können. Roth hingegen bezichtigt die Auflagen als Erpressung und unfaires Diktat „demokratisch nicht legitimierter Institutionen“. Das ist unkonkret und schlichtweg falsch.

Auch im Kleinen denkt Roth oft zu kurz: So kritisiert er auf der einen Seite, dass die billige Löhne, die in den südlichen Krisenstaaten durchgesetzt werden, die noch nicht betroffenen Länder - auch Deutschland - unter Druck setzen. Dabei verkennt er, dass der Konkurrenzdruck weniger von den billigen Löhnen der Südstaaten ausgeht, als vielmehr durch den stetigen Wettbewerb mit Asien, wo billigere und bessere Produkte produziert werden, als beispielsweise in Griechenland oder Spanien.

Europa-Bashing und Verschwörungstheorien

Die zehn größten Euro-Lügen 2013
Francois hollande Quelle: dpa
Mario Draghi Quelle: dpa
José Manuel Barroso Quelle: REUTERS
Wolfgang Schäuble Quelle: AP
Martin Schulz Quelle: REUTERS
Antonis Samaras Quelle: dapd
Jean-Claude Juncker Quelle: dpa

Roth präsentiert sich als großer Aufklärer, der endlich die schmutzigen Geschäfte der Politik aufdeckt. Fast könnte man ihm glauben, sich einlullen lassen von seinen vermeintlich unanzweifelbaren Thesen und sich mitreißen lassen vom stumpfen Bashing auf EU-Politik und Wirtschaft und überhaupt alles, was mit Europa zu tun hat. Aber eben nur fast. Denn immer wieder bleibt der Leser verwirrt zurück, wenn es Roth wieder an hieb- und stichfesten Beweisen für seine steilen Thesen mangelt.

Die Agenda 2010 ist in seinen Augen nicht ein Reformprogramm zur Stärkung des Sozialsystems, sondern ebenfalls Teil des neoliberalen Putsches, die Abgabe nationalstaatlicher Souveränität nach Brüssel nicht Teil der europäischen Idee, sondern eine Verschwörung bösester Art und die Troika aus Vertretern der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Bund von Putschisten.

Dass die Agenda 2010 mit ein Grund dafür ist, dass Deutschland die Wirtschaftskrise besser verdaut hat als die meisten anderen Länder und vieles dafür spricht, dass die einst heftig kritisierten Reformen Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht hat, bleibt unerwähnt. Ebenso, dass die Lohnkosten hierzulande langsamer stiegen als in anderen EU-Ländern und die Zahl der Arbeitssuchenden stark zurück ging.

Manche Passagen seines Buches lesen sich mehr wie Szenen eines Verschwörungs-Thrillers, als wie die eines neutralen Enthüllungs-Romans. Glaubwürdigkeit und somit einen Ausgleich für die nicht immer vollständig belegten Thesen schafft Roth durch seine akribische Recherche. Er beeindruckt durch enormen Detailreichtum und harte Fakten. So gräbt er Insider aus, die auspacken und präsentiert dem Leser dadurch eine Sichtweise, die an den tagesaktuellen Medien bislang vorbei gegangen ist.

Provokativ und ohne Gnade nimmt er politische Funktionäre und wirtschaftlich hohe Tiere aufs Korn und nennt die Dinge beim Namen – auch wenn dabei dann plötzlich Barroso als Putschist Nummer 1 dasteht. Doch auch dabei zeigt sich Roths Hang zur Dramatik. Zwar betont er zweifellos richtig, dass Kommissionspräsident Barroso zu den heimlichen Gewinnern der Euro-Krise zählt, erweiterte sich doch mit nahezu jedem Reformschritt, den die EU seit Ausbruch der Krise unternommen hat der Zuständigkeitsbereich der Brüsseler Kommission. Barroso dann aber als Putschisten und Teil eines neoliberalen Eliteclubs zu bezeichnen, unterstreicht erneut den Verschwörungstheorie-Charakter von „Der stille Putsch“.

Zugespitzte Thesen - berechtige Fragen

So übertrieben zugespitzt manche von Roths Thesen sind, so berechtigt sind die Fragen, die er in "Der stille Putsch" aufwirft. So hinterfragt der Autor kritisch die Position Mario Draghis, den er als Verantwortlichen für die Privatisierung der italienischen Staatsunternehmen ansieht. Tatsächlich privatisierte Draghi 15 Prozent der gesamten italienischen Wirtschaft - Gewinne machten dabei vor allem die großen Investmentbanken.

Roths Zweifel, wie ein Mann, der 2002 europäischer Vizepräsident der US-Investmentbank Goldman Sachs wurde und ein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro einstrich, die Europäische Zentralbank EZB neutral und mit objektiver Hand führen kann, sind an dieser Stelle gut belegt. Der Name Goldman Sachs und seine Verstrickung mit Draghi, Monti und dem Beitritt Griechenlands taucht im Folgenden häufiger auf. Ausgedehnt auf mehrere Kapitel erörtert Roth, wie sich die US-amerikanische Investmentbank die Schwächen des Kapitalmarkts zunutze macht. Als Griechenland in den 90ern in die Europäische Währungsunion eintreten wollte, sei Goldman Sachs zur Stelle gewesen und habe die Karten mitgemischt. Deutlich stellt Roth an diesem Beispiel heraus, wie gesteuert von den Finanzmärkten die europäische Politik ist und wie viel Macht sich in den Händen Weniger konzentriert. Gut verständlich dröselt er dem Leser auf, wo die US-Banken noch mit der Europapolitik verstrickt sind: Denn auch Mario Monti sei Teil der "Symbiose" wie Roth sie nennt. Tatsächlich war der italienische Premierminister zeitweise als Berater bei Goldman Sachs tätig.

Doch trotz verständlicher Ansätze und interessanter Hintergrundinformationen stößt sich der Leser immer wieder an Roths Vokabular. Nicht nur inhaltlich kommt der Autor als Verschwörungstheoretiker rüber, auch sprachlich baut er Dramatik auf, wo immer möglich. Beispielsweise bezichtigt er die deutsche Bundesregierung mit ihrer harten Sparpolitik als Schuldige dafür, dass in Athen Menschen vor Hunger sterben. So liest sich das Buch oft nur mit Stirnrunzeln, ernst nehmen lassen sich solche Aussagen nur schwierig. Auch Zitate wie „Wir fressen uns gegenseitig auf“ wirken arg dramatisierend und kaum glaubwürdig.

Anstatt derartige Zitate in den richtigen Kontext zu setzen und die Aussagen abzuwägen, nutzt Roth sie, um seine steilen Thesen zu stützen. Ebenfalls negativ fällt auf, dass er vorwiegend Vertreter von Gewerkschaften zu Work kommen lässt, wenn es um die Kritik der Sparprogramme geht - eine ausgewogenere Mischung an Zitaten hätte dem Leser ein objektiveres Bild vermitteln können.

Und genau dieser Eindruck hallt nach der Lektüre noch lange nach: Spannender Stoff, Thesen, die zu diskutieren sich auf jeden Fall lohnt, aber zu viel Verschwörungstheorien und arg dramatisierende Details. Auch wenn sich das Buch gut liest, hätte Roth an mancher Stelle auf die polemische, stark thesenlastige Argumentation verzichten können. Fazit: Lesenswert, ja, aber mit der richtigen Herangehensweise. Wer ohnehin dazu neigt, sich über die Rettungspolitik der Regierung aufzuregen, dem bietet Roth mit „Der stille Putsch“ nur einen perfekten Sündenbock. Wer dagegen mitdenkt und Roths Thesen auch mal kritisch hinterfragt, dem bietet das Buch eine erfrischend andere Sichtweise auf die Europapolitik und spannende Hintergrundinfos. 

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