Roth präsentiert sich als großer Aufklärer, der endlich die schmutzigen Geschäfte der Politik aufdeckt. Fast könnte man ihm glauben, sich einlullen lassen von seinen vermeintlich unanzweifelbaren Thesen und sich mitreißen lassen vom stumpfen Bashing auf EU-Politik und Wirtschaft und überhaupt alles, was mit Europa zu tun hat. Aber eben nur fast. Denn immer wieder bleibt der Leser verwirrt zurück, wenn es Roth wieder an hieb- und stichfesten Beweisen für seine steilen Thesen mangelt.
Die Agenda 2010 ist in seinen Augen nicht ein Reformprogramm zur Stärkung des Sozialsystems, sondern ebenfalls Teil des neoliberalen Putsches, die Abgabe nationalstaatlicher Souveränität nach Brüssel nicht Teil der europäischen Idee, sondern eine Verschwörung bösester Art und die Troika aus Vertretern der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Bund von Putschisten.
Dass die Agenda 2010 mit ein Grund dafür ist, dass Deutschland die Wirtschaftskrise besser verdaut hat als die meisten anderen Länder und vieles dafür spricht, dass die einst heftig kritisierten Reformen Deutschland wettbewerbsfähiger gemacht hat, bleibt unerwähnt. Ebenso, dass die Lohnkosten hierzulande langsamer stiegen als in anderen EU-Ländern und die Zahl der Arbeitssuchenden stark zurück ging.
Manche Passagen seines Buches lesen sich mehr wie Szenen eines Verschwörungs-Thrillers, als wie die eines neutralen Enthüllungs-Romans. Glaubwürdigkeit und somit einen Ausgleich für die nicht immer vollständig belegten Thesen schafft Roth durch seine akribische Recherche. Er beeindruckt durch enormen Detailreichtum und harte Fakten. So gräbt er Insider aus, die auspacken und präsentiert dem Leser dadurch eine Sichtweise, die an den tagesaktuellen Medien bislang vorbei gegangen ist.
Provokativ und ohne Gnade nimmt er politische Funktionäre und wirtschaftlich hohe Tiere aufs Korn und nennt die Dinge beim Namen – auch wenn dabei dann plötzlich Barroso als Putschist Nummer 1 dasteht. Doch auch dabei zeigt sich Roths Hang zur Dramatik. Zwar betont er zweifellos richtig, dass Kommissionspräsident Barroso zu den heimlichen Gewinnern der Euro-Krise zählt, erweiterte sich doch mit nahezu jedem Reformschritt, den die EU seit Ausbruch der Krise unternommen hat der Zuständigkeitsbereich der Brüsseler Kommission. Barroso dann aber als Putschisten und Teil eines neoliberalen Eliteclubs zu bezeichnen, unterstreicht erneut den Verschwörungstheorie-Charakter von „Der stille Putsch“.