Buch "Der stille Putsch" Angriff auf die vermeintlich Schuldigen der Euro-Krise

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Zugespitzte Thesen - berechtige Fragen

So übertrieben zugespitzt manche von Roths Thesen sind, so berechtigt sind die Fragen, die er in "Der stille Putsch" aufwirft. So hinterfragt der Autor kritisch die Position Mario Draghis, den er als Verantwortlichen für die Privatisierung der italienischen Staatsunternehmen ansieht. Tatsächlich privatisierte Draghi 15 Prozent der gesamten italienischen Wirtschaft - Gewinne machten dabei vor allem die großen Investmentbanken.

Roths Zweifel, wie ein Mann, der 2002 europäischer Vizepräsident der US-Investmentbank Goldman Sachs wurde und ein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro einstrich, die Europäische Zentralbank EZB neutral und mit objektiver Hand führen kann, sind an dieser Stelle gut belegt. Der Name Goldman Sachs und seine Verstrickung mit Draghi, Monti und dem Beitritt Griechenlands taucht im Folgenden häufiger auf. Ausgedehnt auf mehrere Kapitel erörtert Roth, wie sich die US-amerikanische Investmentbank die Schwächen des Kapitalmarkts zunutze macht. Als Griechenland in den 90ern in die Europäische Währungsunion eintreten wollte, sei Goldman Sachs zur Stelle gewesen und habe die Karten mitgemischt. Deutlich stellt Roth an diesem Beispiel heraus, wie gesteuert von den Finanzmärkten die europäische Politik ist und wie viel Macht sich in den Händen Weniger konzentriert. Gut verständlich dröselt er dem Leser auf, wo die US-Banken noch mit der Europapolitik verstrickt sind: Denn auch Mario Monti sei Teil der "Symbiose" wie Roth sie nennt. Tatsächlich war der italienische Premierminister zeitweise als Berater bei Goldman Sachs tätig.

Doch trotz verständlicher Ansätze und interessanter Hintergrundinformationen stößt sich der Leser immer wieder an Roths Vokabular. Nicht nur inhaltlich kommt der Autor als Verschwörungstheoretiker rüber, auch sprachlich baut er Dramatik auf, wo immer möglich. Beispielsweise bezichtigt er die deutsche Bundesregierung mit ihrer harten Sparpolitik als Schuldige dafür, dass in Athen Menschen vor Hunger sterben. So liest sich das Buch oft nur mit Stirnrunzeln, ernst nehmen lassen sich solche Aussagen nur schwierig. Auch Zitate wie „Wir fressen uns gegenseitig auf“ wirken arg dramatisierend und kaum glaubwürdig.

Anstatt derartige Zitate in den richtigen Kontext zu setzen und die Aussagen abzuwägen, nutzt Roth sie, um seine steilen Thesen zu stützen. Ebenfalls negativ fällt auf, dass er vorwiegend Vertreter von Gewerkschaften zu Work kommen lässt, wenn es um die Kritik der Sparprogramme geht - eine ausgewogenere Mischung an Zitaten hätte dem Leser ein objektiveres Bild vermitteln können.

Und genau dieser Eindruck hallt nach der Lektüre noch lange nach: Spannender Stoff, Thesen, die zu diskutieren sich auf jeden Fall lohnt, aber zu viel Verschwörungstheorien und arg dramatisierende Details. Auch wenn sich das Buch gut liest, hätte Roth an mancher Stelle auf die polemische, stark thesenlastige Argumentation verzichten können. Fazit: Lesenswert, ja, aber mit der richtigen Herangehensweise. Wer ohnehin dazu neigt, sich über die Rettungspolitik der Regierung aufzuregen, dem bietet Roth mit „Der stille Putsch“ nur einen perfekten Sündenbock. Wer dagegen mitdenkt und Roths Thesen auch mal kritisch hinterfragt, dem bietet das Buch eine erfrischend andere Sichtweise auf die Europapolitik und spannende Hintergrundinfos. 

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