Bundesbank-Chef Jens Weidmann entfernt sich derzeit immer mehr von seiner alten Rolle als eine Art Rebell im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Er war der Vorderste der geldpolitischen Falken und kämpfte teilweise öffentlichkeitswirksam gegen die immer expansiver werdende Geldpolitik der EZB an. Doch seit ein paar Monaten ist damit Schluss. Weidmann trägt jede geldpolitische Entscheidung mit, auch die letzte Zinssenkung im Juni wurde vom Bundesbank-Chef abgenickt.
Auch zuletzt festigte Weidmann den Eindruck. Im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix bekräftigte der Ökonom erneut, dass eine derart expansive Geldpolitik zurzeit gerechtfertigt ist. "Das war ein sehr tiefer konjunktureller Einbruch, und insofern ist es auch gerechtfertigt, dass die Geldpolitik im Moment expansiv ausgerichtet ist", erklärte Weidmann. Selbst im Hinblick auf die Kritik der deutschen Sparer an den Mini-Zinsen stellt Weidmann klar, solche negativen Realzinsen habe es auch früher, zu D-Mark-Zeiten, schon gegeben. Außerdem: "Die Bürger sind ja nicht nur Sparer", rechtfertigt Weidmann. Wir seien ja auch Immobilienbesitzer und profitierten von den aktuellen Zinsen.
Das sind die drei Leitzinssätze der EZB
Der wichtigste Leitzins ist der Hauptrefinanzierungssatz. Er legt den Mindestzins fest, den Geschäftsbanken der EZB für einen Kredit mit einwöchiger Laufzeit im Rahmen der sogenannten Tenderauktionen bieten müssen. Änderungen wirken sich in der Regel direkt auf die Zinsen am Geld- und am Kapitalmarkt aus.
Für Banken, die sehr kurzfristig Geld brauchen, wird es teurer, hier bietet die EZB die sogenannte Spitzenrefinanzierungsfazilität an. Diese Kredite haben eine Laufzeit von einem Tag. Der Zins, den Banken für das über Nacht geliehene Geld zu zahlen haben, ist der Spitzenrefinanzierungssatz. Er liegt in der Regel rund einen Prozentpunkt über dem Hauptrefinanzierungssatz.
Die Einlagefazilität ist das Gegenstück zur Spitzenrefinanzierungsfazilität. Sie gibt Banken die Möglichkeit, einen Überschuss an flüssigen Mitteln bis zum nächsten Geschäftstag bei der Zentralbank zu parken. Die Verzinsung gibt der Einlagefazilitätssatz an. Spitzen- und Einlagefazilität sind Instrumente, mit denen die EZB weitere Feinsteuerung verwirklichen kann. Wenn die Banken zum Beispiel nur sehr wenig oder gar keinen Zins auf das Geld bekommen, das sie bei der EZB parken, dann steigt der Anreiz, es an einen Kunden zu verleihen. Derzeit ist der Einlagezins negativ - und bestraft somit Banken, die Geld bei der EZB parken.
Auf Draghis Linie
Auch EZB-Präsident Mario Draghi hat schon oft versucht, die Klagen der deutschen Sparer so ins rechte Licht zu rücken.
So dürfte Draghi es auch positiv bewerten, dass der Bundesbank-Chef im Interview erneut auf die Rolle der Politik verweist. "Es kommt jetzt auf die Politik an, die Wirtschaften (der Eurozone, Anm. d. Red.) wieder wettbewerbsfähiger zu machen", so Weidmann. Auch Draghi verweist regelmäßig darauf, dass die EZB lediglich ein Helfer und Retter in der Not ist, die Krise aber allein nicht lösen kann.
Das ist nicht nur der Beginn einer neuen Männerfreundschaft. Weidmann gibt seine Rolle des Rebells im EZB-Rat mehr und mehr ab. Offenbar will er nicht immer als Gegner gelten. Ist die Position Deutschlands in der EZB dadurch schwächer geworden? Nicht unbedingt. Risiken birgt die Strategie dennoch.
Sicherlich mögen einige jetzt um die Rolle der Bundesrepublik fürchten und sehen vor ihrem geistigen Auge bereits eine Hyperinflation Einzug halten. Grundsätzlich sind die Sorgen auch berechtigt, denn zu viel Einigkeit kann einer Institution wie dem Rat der Notenbank nur schaden. Die Notenbanker sollen sich nicht gegenseitig belobhudeln, sondern miteinander diskutieren und Konflikte ausfechten.
Allerdings hat Weidmanns Verhalten weniger etwas mit Lobhudelei zu tun, als mit feiner Taktik. Es scheint, als baue er darauf, auf diese Weise von Draghi besser gehört zu werden. Im Moment ist schwer vorstellbar, dass Draghi gegen den Willen von Weidmann und der Bundesbank die umstrittenen Anleihekäufe durchdrücken würde. Draghi betont gerne, dass der EZB-Rat seine Entscheidungen zuletzt einstimmig getroffen hat.
Statt laut vor den Auswirkungen der Niedrigzinsen für Deutschland zu warnen, sorgt Weidmann lieber indirekt dafür, dass die Zinsen nicht weiter gesenkt werden müssen - indem er höhere Löhne fordert. Diese könnten die Inflation anfeuern. Ein derartiges Einmischen in die Lohnpolitik ist ungewohnt für die Bundesbank, viele rätseln seit dem, wie die deutschen Währungshüter dazu kommen, fürchten um die Glaubwürdigkeit der Bundesbank. Ein weiteres Anzeichen für den Kurswechsel Weidmanns?
Letztlich kann die Taktik des Bundesbank-Chefs aufgehen. Er gilt nicht mehr als Antipunkt im EZB-Rat. Prinzipiell könnte er sich damit sogar als möglichen Kandidaten für die Draghi-Nachfolge in etwas mehr als fünf Jahren in Position bringen.
Das ist allerdings noch lange hin und schon bald könnte die neue Kommunikationsstrategie Weidmanns auf ihre erste harte Probe gestellt werden. Denn nach der Ratssitzung der vergangenen Woche liebäugelte EZB-Chef Draghi nur allzu offensichtlich mit der Wiederbelebung des Marktes für Kreditverbriefungen.
Sollte Weidmann auch da einfach so mitziehen, steht die Glaubwürdigkeit der Bundesbank tatsächlich auf dem Spiel. Denn bisher hat sich der Bundesbank-Chef immer deutlich gegen den Kauf von verbrieften Kredite ausgesprochen. Die EZB würde sich damit hochriskante Papiere in ihre Bilanz holen. Kommt es zu dieser Diskussion, muss Weidmann beweisen, dass er seinen Kurs nicht um 180 Grad gedreht hat. Sonst könnte es gefährlich werden.