Bundesbank

Was tun, wenn der Nord-Euro kommt

Wäre die Bundesbank bereit für den „Nord-Euro“? Ja. Denn dank ihrer hohen Reputation könnte sie auch mit negativem Eigenkapital und unter einer anderen Währung ihren Job machen.

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Ein kleines rotes Auto fährt an der Zentrale der Deutschen Bundesbank vorbei Quelle: dpa/dpaweb

Die Diskussion in Politik und Wissenschaft über die sogenannten Target2-Salden verschärft sich. Diese Salden der Notenbanken des Euro-Systems sind seit Ausbruch der Finanz- und Schuldenkrise deutlich angewachsen. Die Forderungen der Bundesbank etwa belaufen sich mittlerweile auf rund 610 Milliarden Euro.

Daneben weisen auch die Zentralbanken Finnlands, Luxemburgs und der Niederlande Überschüsse aus, die letzteren beiden im dreistelligen Milliarden-Euro-Bereich. Die Notenbanken dieser vier Länder vereinen Target2-Forderungen von zusammen mehr als 900 Milliarden Euro auf sich. Im Gegenzug haben insbesondere Institute der Euro-Peripherie in erheblichem Umfang Verbindlichkeiten gegenüber dem Euro-System angehäuft.

Das Target2-System dient der Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungsströme in der Währungsunion. Teilnehmer sind Geschäfts- und Notenbanken. Dabei werden verschiedene Zahlungsströme zusammengefasst und saldiert. Die Salden entstehen im Wesentlichen auf zwei Wegen. Zum einen spielen die Außenwirtschaftsdefizite der Südeuropäer eine Rolle. So ist das Target2-System dann involviert, wenn etwa eine spanische Geschäftsbank einen Importkredit auf Basis frischen Geldes von der EZB gewährt. Neben diesen handelsbasierten Transaktionen können auch Kapitalbewegungen Target2-Salden bewirken; etwa eine Kapitalflucht aus den Ländern der Südschiene.

Verluste tragen die restlichen Euro-Länder

Allein die Target2-Verbindlichkeiten Griechenlands gegenüber den Ländern mit Überschüssen in diesem System addieren sich aktuell auf rund 75 Milliarden Euro. Träte Griechenland aus dem Euro-Verbund aus, würden die Forderungen der Partnerländer fragwürdig. Anfallende Verluste müssten die verbleibenden Euro-Länder wohl unter sich aufteilen, entsprechend den prozentualen Anteilen am EZB-Kapital.

Deutschland müsste nach heutigem Stand mit einer Belastung zwischen 15 und 20 Milliarden Euro rechnen. Einige Ökonomen argumentieren nun, ein Zerfall der Euro-Zone sei wegen der dann unsicheren Target2-Forderungen ein Desaster für Deutschland.

Ist diese Argumentation stichhaltig? Nehmen wir an, die Währungsunion zerfiele entlang der Demarkationslinie Target2-Gläubiger/Target2-Schuldner. Deutschland bliebe in einer Kern-Währungsunion mit Finnland, Luxemburg und den Niederlanden. Diese Länder führen, so sei weiter angenommen, eine neue Währung ein, den „Nord-Euro“ oder „Neuro“. In der Bilanz der Bundesbank stünden in diesem Falle Forderungen von 610 Milliarden Euro zur Disposition. Verlieren diese von einem Tag auf den anderen komplett an Wert, sind Soll und Haben in der Bundesbankbilanz aus dem Lot.

Mögliche Währungsumstellung

Der Wirtschaftspolitik der Neuro-Länder stünden dann zwei Wege offen. Erstens eine Währungsreform, bei der Forderungen und Verbindlichkeiten in unterschiedlichen Verhältnissen umgestellt würden. Zum Beispiel so: Guthaben bei den Zentralbanken und Bargeld im Verhältnis 5:1, Verbindlichkeiten aller Wirtschaftsakteure (inklusive aller übrigen Verbindlichkeiten der nationalen Notenbanken) hingegen 1:1. Dieser Fall ähnelt der Währungsreform 1948 in Westdeutschland und der Situation im Zuge der Wiedervereinigung 1990.

Die zweite Möglichkeit wäre eine Währungsumstellung mit einem Tausch sämtlicher Forderungen und Verbindlichkeiten im selben Verhältnis, etwa 1:1. Dieses Szenario hat viel gemein mit der Einführung des Euro 1999.

Im ersten Fall saniert sich die Bundesbank quasi über Nacht, wälzt aber enorme Lasten auf die Geschäftsbanken ab. Sie könnte den Finanzinstituten zwar einen Ausgleich gewähren: ultralang laufende, niedrig verzinste Schuldtitel der Bundesrepublik. Dieses Vorgehen scheint vor dem Hintergrund der Größenordnung, um die es geht, aber eher unwahrscheinlich.

Im zweiten Fall verliert die Bundesbank auf einen Schlag ihre Kapitalbasis. Das negative Eigenkapital könnte mehr als die Hälfte der aktuellen Bilanzsumme betragen. Im Geschäftsleben zieht eine solche Situation die Insolvenz nach sich.

Glaubwürdig bleiben

Zentralbanken hingegen operieren unter einem anderen Regime. Die Bundesbank kann mit einer aus dem Lot geratenen Bilanz durchaus weiterarbeiten – vorausgesetzt, es setzt keine Kapitalflucht ein, weil Investoren die Situation in Deutschland nicht mehr für nachhaltig erachten. Die Glaubwürdigkeit einer Zentralbank hängt nicht unbedingt von der Ausgewogenheit ihrer Bilanz ab. Wichtiger ist, ob sie ihren Status als Hüterin der Geldwertstabilität wahrt.

Eine technisch gesehen insolvente Bundesbank kann weiter vertrauenswürdig agieren, sofern sie Inflation bekämpft. Daher lautet die entscheidende Frage derzeit nicht, ob die Bundesbank bankrott gehen kann – sondern, ob sich Deutschland trotz der wirtschaftlichen Vorteile mit der Einführung des Euro übernommen hat. Bei Betrachtung der wachsenden Belastungen aus diversen Rettungsschirmen für Krisenstaaten lässt sich diese Frage nicht ohne Weiteres verneinen.

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