CETA und TTIP Die große Angst vor dem Freihandelsabkommen

CETA und TTIP fördern das Wachstum – sagen Befürworter. Sie höhlen Grundrechte aus – befürchten Gegner. Fest steht: Die Verhandlungen sind ein Lehrstück darüber, wie Intransparenz Ängste schürt und Vorteile unterdrückt.

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Das Freihandelsabkommen mit den USA ist längst zum politischen Sprengstoff geworden. CETA, das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen, könnte TTIP den Weg ebnen. Quelle: Marcel Stahn

In demokratischen Gesellschaften ist der Bürger oft anstrengend. Erhebt er seine Stimme gegen die Interessen der Obrigkeit, wird es für die herrschende Klasse mühsam. Ein Kreuzchen alle paar Jahre – kein Problem! Aber ein Mitbestimmungsrecht? Das muss doch wirklich nicht sein.

So ähnlich könnte ein böswilliger Betrachter das Vorgehen der EU-Kommission in der Causa TTIP und CETA deuten.

Die Handelsabkommen sollen der Europäischen Union mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Das  versichert zumindest EU-Handelskommissar Karel de Gucht. Kritiker hingegen glauben, dass das Abkommen dazu dient, zum Vorteil von Großkonzernen Vorgaben zum Umwelt- und Verbraucherschutz auszuhöhlen; die Position von Arbeitnehmern zu schwächen; und die Gestaltungsfähigkeit der Nationalstaaten und damit die Demokratie zu beschränken. Außerdem soll dadurch mehr Privatisierung ermöglicht und jahrzehntealte Schutzmechanismen der Gesellschaft ausgehebelt werden. Längst sind CETA und TTIP zum Sprengstoff im politischen Diskurs geworden.

Europäische Bürgerinitiative

Mitte Juli hatten sich deswegen 230 Organisationen – darunter Brot für die Welt und Attac Deutschland – zum Bündnis „Stop TTIP“ vereinigt, um eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) registrieren zu lassen. Ihr Ziel: Sie wollten die Kommission dazu zwingen, die Verhandlungen des deutsch-amerikanischen Handelsabkommens TTIP einzustellen und die Ratifizierung des europäisch-kanadischen Handelsabkommens CETA zu verhindern.

Hätte das Bündnis eine Million Unterschriften aus mindestens sieben verschiedenen EU-Ländern gesammelt, wäre die EU-Kommission zum Handeln gezwungen gewesen. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist den Unionsbürgern mit der EBI ein zusätzlich politisches Teilhaberecht zugesichert.

„Die juristische Argumentation ist politisch motiviert“

Dass die Unterschriften zusammengekommen wären, ist nicht unwahrscheinlich – in Ländern wie Deutschland, Österreich und Großbritannien regen sich seit Monaten die Gemüter gegen die Handelsabkommen. Darauf ankommen lassen wollte es die Kommission offenbar nicht und unterband die Bürgerinitiative.

Die Verhandlungsmandate zu TTIP und CETA seien keine „nach außen wirkende Rechtsakte“, sondern „interne Vorbereitungsakte“ zwischen EU-Organen - und somit nicht durch Bürgerinitiativen anfechtbar. So begründete die Kommission ihr Vorgehen. „Diese juristische Argumentation ist an den Haaren herbeigezogen und politisch motiviert“, sagt Roland Süß, ein Experte für Handelsabkommen bei Attac Deutschland.

Die Freihandelsabkommen

Für Süß ist der Grund klar: „Bei den Abkommen geht es nicht nur um Handelsfragen, es geht um Investitionen, Umweltschutz und Arbeitsplätze. Die Abkommen beschäftigen sich mit allem, was gehandelt wird. Sie greifen in sämtliche Lebensbereiche ein.“ Die Bevölkerung sei für so etwas niemals zu gewinnen.

In Anbetracht des bisherigen Umgangs der Kommission mit dem Bürger in puncto Handelspolitik ist das Niederringen der Europäischen Bürgerinitiative allerdings nur konsequent. Seit 2009 verhandelt die EU-Kommission mit der kanadischen Regierung über CETA, seit 2013 mit der amerikanischen über TTIP. Die Verhandlungen fanden in beiden Fällen hinter verschlossenen Türen statt. Nicht einmal die nationalen Parlamente hatten volle Einsicht in die Verhandlungen. Die Geheimhaltung schürt Misstrauen – und vergrößert die Ängste.

Deutschland auf der Anklagebank

Das können auch unabhängige Experten nachvollziehen. „Die Sorge der Bürger ist berechtigt, weil sie nicht wissen, worüber im Einzelnen gesprochen wird“, sagt Markus Krajewski. Er ist Professor für Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Erlangen und verfasste im Auftrag der globalisierungskritischen Grünen einige Gutachten über TTIP und CETA. Dass der Aufschrei in der Öffentlichkeit so groß ist, verwundert Krajewski aber.

Seit den Neunzigerjahren beschäftigt er sich mit solchen Handelsabkommen. „Eine derart intensive Auseinandersetzung und so viel Öffentlichkeit gab es noch nie.“ Den Umschwung führt er zurück auf das besondere Verhältnis zu den Amerikanern. „Ein Freihandelsabkommen mit den USA wird gesellschaftspolitisch kritischer wahrgenommen als eines mit Südkorea.“

Wohl wahr: Das EU-Handelsabkommen mit Südkorea trat 2011 in Kraft. In der Öffentlichkeit wurde es allerdings nicht weiter beachtet. 

Ein weiterer Grund sei die so genannte Investitionsschutzklausel. „Die Klage von Vattenfall und die Tatsache, dass diese Klage sich gegen den deutschen Atomausstieg richtet, hat die umweltpolitische Szene mobilisiert“, sagt Christoph Scherrer. Der Volkswirt der Uni Kassel beschäftigt sich vor allem mit Handelsabkommen.

Unternehmen umgehen die nationale Gerichtsbarkeit

Diese Investitionsschutzklausel funktioniert wie folgt: Falls ein Unternehmen Investitionen durch den Staat gefährdet sieht, kann es die nationale Rechtsprechung umgehen - und den Staat vor unabhängigen Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen.

Diese Schiedsgerichte sind eine deutsche Erfindung. 1959 wollten deutsche Konzerne ihre Investitionen in Pakistan absichern, allerdings trauten sie den dortigen Gerichten nicht. So  vereinbarte Pakistan mit der Bundesregierung, dass deutsche Unternehmen vor Schiedsgerichten klagen konnten, wenn sie sich benachteiligt wähnten. Die Verhandlungen waren stets geheim.

An den heutigen Schiedsgerichten sitzen drei Richter: Sie sind meist private Anwälte, ehemalige Richter oder Rechtsprofessoren - die vom klagenden Unternehmen und vom beklagten Staat bestimmt werden. Kritiker monieren, dass die Öffentlichkeit von diesen Verhandlungen ausgeschlossen ist - auch der Schiedsspruch werde nur selten veröffentlicht.

Den Realitätscheck sieht man derzeit in Deutschland. Das schwedische Energieunternehmen Vattenfall will für den deutschen Atomausstieg entschädigt werden und klagt auf fast vier Milliarden Euro.

Der Hintergrund: Die Bundesregierung hatte wenige Wochen vor dem Atomausstieg eine Verlängerung der Laufzeit einiger Atomkraftwerke beschlossen – woraufhin Vattenfall Geld in die Erneuerung eines Atomkraftwerks investierte. Nach dem Ausstieg war die Investition wertlos.  

Es bedarf keiner Geheimjustiz

Die Grundlage für die Vattenfall-Klage ist die von Deutschland ratifizierte Energiecharta. Darin ist eine Investitionsschutzklausel festgelegt – ähnlich der in CETA und TTIP geplanten. Auch RWE und Eon klagen gegen die Bundesregierung – mit derselben Argumentation. Allerdings müssen sie den herkömmlichen Rechtsweg bestreiten, da sie als inländische Unternehmen nicht durch die Energiecharta geschützt sind.

Nur wenige Details über das Vattenfall-Verfahren dringen an die Öffentlichkeit. „Allerdings sind es oft die Staaten, die verhindern, dass ein Schiedsspruch öffentlich wird“, weiß Klaus Sachs. Sachs ist Partner einer Münchener Wirtschaftskanzlei und einer von vier deutschen Juristen, die von der Bundesregierung als Schiedsrichter für solche Verfahren benannt wurden. „Manche Staaten haben aus Wettbewerbsgründen ein Interesse daran, dass ihre Verstöße gegen völkerrechtliche Pflichten nicht an die große Glocke gehängt werden.“

Was ein Freihandelsabkommen zwischen EU und USA bringt

Kritiker monieren immer wieder, dass der deutsche Gerichtsschutz ausreiche und es keiner Geheimjustiz bedürfe. „Investitionen und Eigentum von Unternehmen sind in Deutschland juristisch schon sehr gut abgesichert“, sagt Süß von Attac Deutschland.

Dem stimmt auch Sachs zu. Allerdings verweist er darauf, dass die USA und Kanada sich nicht nur mit Deutschland auf eine Freihandelszone einließen, sondern mit allen 28 EU-Staaten. „Nicht in jedem ist ein Justizsystem vorhanden, das kanadische Investoren ruhig schlafen lässt.“ Deswegen drängten sowohl Kanadier als auch Amerikaner auf internationale Schiedsgerichte.

Was viele Kritiker missachten: Mit CETA und TTIP könnten Schiedsgerichtsverfahren deutlich transparenter werden. Denn Nichtregierungsorganisationen sollen die Verfahren als Beobachter begleiten. „Das soll dazu beitragen, dass Investitionsschiedsverfahren den Ruf der Geheimjustiz verlieren“, sagt Sachs. „Eine vollkommen berechtigte Forderung.“

Die neue Transparenz stimmt die Kritiker nicht milde

Auch Krajewski ist davon überzeugt. Allerdings dürfe man nicht glauben, die Europäer hätten Kanada und den USA Transparenz abgetrotzt. Denn die Abkommen sehen vor, dass die seit April 2014 gültigen UNCITRAL-Transparenzregeln eingehalten werden.

UNCITRAL, die UN-Kommission für Internationales Handelsrecht, hat diese Regeln 2013 veröffentlicht. Sie sehen vor, dass das öffentliche Interesse bei Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten künftig stärker berücksichtigt wird. Bei den Verhandlungen dieser Transparenzregeln hatte sich die Bundesregierung noch gewehrt – und stand mit dieser Position in einer Reihe mit Staaten wie China und Bahrain. Die Transparenz in puncto Schiedsgerichtbarkeit spiele im nordamerikanischen Raum eine weitaus größere Rolle, so Krajewski.

Die zusätzliche Transparenz stimmt die Kritiker allerdings keineswegs milde.  „Das Sonderklagerecht für ausländische Unternehmen ist ein ganz besonderes Privileg“, sagt Scherrer. „Die Unternehmen kriegen ihre eigene Gerichtsbarkeit gegen Staaten – das erhöht die Macht der Konzerne drastisch.“

„Die Verhandlungen bewusst an den Bürgern vorbei geführt!“

Aus Scherrers Sicht spiegelt der Investitionsschutz die Kräfteverhältnisse innerhalb der Europäischen Union wieder. „Großunternehmen haben das Forderungstableau der Unterhändler mitbestimmt.“ Deswegen sei es nicht verwunderlich, dass die Position des Bürgers gegenüber den Unternehmen geschwächt würde. „Aus diesem Grund wurden die Verhandlungen auch ganz bewusst an den Bürgern vorbei geführt.“

Oder etwaige Folgen bewusst unterschlagen: „Eine Senkung der Zölle führt langfristig zu Effizienzgewinnen für die Wirtschaft“, sagt Scherrer. Allerdings seien diese Gewinne nicht gleichmäßig verteilt. „Fast alle Handelsabkommen haben dazu geführt, dass in der kurzen Frist weniger wettbewerbsfähige Betriebe aufgeben mussten.“ Dadurch fielen erst einmal Arbeitsplätze weg.

Neu ist dieses Vertuschen und Verheimlichen nicht. Scherrer forschte unter anderem zu der Öffnung der US-Märkte nach dem Zweiten Weltkrieg. „In den Fünfzigerjahren gab es bereits Widerstand gegen die Öffnung“, sagt Scherrer. Die Reaktion der US-Regierung: Sie informierte die Öffentlichkeit über die Vorzüge des freien Handels. „Das war eine Fehlkalkulation. Die Zusatzinformationen führten zu mehr Widerstand.“ Seitdem sei es Konsens, dass solche Verhandlungen im Geheimen geführt werden.

NAFTA führte zu mehr Arbeitslosigkeit und weniger Wachstum

Das könnte gute Gründe haben. Laut einer Studie (.pdf) im Auftrag der Links-Fraktion im Europäischen Parlament werden die positiven Auswirkungen von Freihandelsabkommen überschätzt und die negativen Auswirkungen unterschätzt.

Bevor NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, 1994 in Kraft trat, wurde ähnlich wie heute bei CETA und TTIP argumentiert: Der Freihandel führe zu mehr Wachstum und generiere neue Jobs.

Der Studie zufolge habe NAFTA allerdings zu einer zunehmenden Ungleichheit der Einkommen in Mexiko geführt – der Effekt auf das Einkommenslevel sei unbekannt. Hochqualifizierte Arbeitskräfte würden deutlich mehr verdienen, die Unterqualifizierten weniger.

Die versprochenen Arbeitsplätze seien laut Studie nicht entstanden. Im Gegenteil: Seit 1994 bis heute hätten rund 845.000 Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren. Grund dafür seien die Importe aus Kanada und Mexiko.

Auch das versprochene Wachstum blieb aus. So hätte NAFTA keine Auswirkungen auf das amerikanische und kanadische BIP gehabt, das mexikanische aber um 0,3 Prozent verringert.

„Staaten neigen zu willkürlichen Entscheidungen“

Dafür hat NAFTA die Investorenschutzklausel nach Nordamerika gebracht – was dort teils bizarre Formen annahm. 2012 reichte die amerikanische Tochter des kanadischen Öl-Unternehmen Lone Pine Resources Inc. eine Klage gegen die kanadische Provinz Quebec ein und forderte 250 Millionen Dollar Schadensersatz.

Der Grund: 2011 hatte Quebec das Fracking am St. Lawrence River untersagt – zumindest bis eine Analyse zur Umweltverträglichkeit vorliege. Das Verfahren läuft bis heute.

Der auf deutsch-kanadisches Recht spezialisierte Rechtsanwalt Günter Knorr hält ein solches Vorgehen für das gute Recht von Unternehmen: „Staaten neigen zu willkürlichen Entscheidungen“, sagt er. Deswegen bedürfe es der Investorenschutzklausel. „Wenn staatliche Aktionen dazu führen, dass Unternehmen enteignet werden, müssen diese entschädigt werden. Dabei ist es egal, ob die Entscheidung darüber demokratisch oder undemokratisch zustande kam. Verträge müssen eingehalten werden und sind nicht per demokratischem Beschluss aushebelbar.“

Das Bündnis „Stop TTIP“ sieht in solchen Fällen den Beweis dafür, dass Unternehmen mittels Investorenschutzklauseln die demokratische Entscheidungsfähigkeit eines Staats einschränken.

Deswegen wollen sie vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, um ihre Bürgerinitiative doch noch zu legalisieren. Unabhängig von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wollen sie die Bürger bald selbst befragen – um zu beweisen: Die Unionsbürger wollen weder CETA noch TTIP.

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