Christine Lagarde Das Urteil ist eine desaströse Botschaft

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Beim Schlusswort ist Lagarde den Tränen nah


Jedenfalls stellte der damalige konservative Staatschef Nicolas Sarkozy seine politisch unvorsichtige Ministerin unter Kuratel. Hätte er auf sie in der beginnenden internationalen Finanzkrise verzichten können, hätte Sarkozy sie wohl gefeuert. So aber ist es gut möglich, dass Lagarde nach den ersten Fehltritten eigene Zweifel hintan stellte, sich manchen kritischen Kommentar verkniff und auch ohne ausdrückliche Anweisung wusste, was ihr Chef erwartete. Mit Tapie jedenfalls war Sarkozy ganz gut befreundet. Der Geschäftsmann ging im Elysée-Präsidentenpalast ein und aus.

Im Prozess wurde deutlich, dass Lagarde die Dossiers in der Sache nicht im Detail studierte und sich stattdessen auf das Urteil ihrer Mitarbeiter verließ. Diese rieten mehrheitlich zunächst zu einem Schiedsspruch und waren, nachdem dieser gefallen war, gegen einen Einspruch. Sie habe einen 15 Jahre währenden Rechtsstreit beenden wollen, der die Staatskasse Millionenhonorare für Anwälte kostete, sagte sie zu ihrer Verteidigung. „Vielleicht wurde ich benutzt, auch getäuscht“, räumte Lagarde kleinlaut ein. Der Gedanke an einen Betrug am Staat sei ihr aber nie gekommen.

Die Vorsitzende Richterin Martine Ract-Madoux ging sie dafür mehrfach hart an. Insbesondere die „kolossale“ Summe von 45 Millionen Euro Schmerzensgeld für Tapie sei doch „ein Schlag in die Magengrube“ gewesen, der sie zum Handeln hätte zwingen müssen, empörte sich die Richterin. Für den Tod eines Kindes erhielten Eltern schließlich die im Vergleich lächerliche Summe von rund 30.000 Euro. Nach dieser Schelte schien die Richtung des Urteils vorgegeben.

Ahnte Lagarde die Konsequenzen, als ihr beim Schlusswort am Freitag die Stimme brach? Ausgerechnet die Frau, die auch bei den größten Beben auf den Finanzmärkten die Ruhe zu bewahren schient, war plötzlich den Tränen nahe.

Das Urteil wird Lagarde nicht den Job kosten

Dass der amtierende sozialistische Präsident François Hollande sich schon während des Ermittlungsverfahrens zugunsten Lagardes aussprach - mit dem Argument, sie sei die letzte Vertreterin Frankreichs auf einem hohen internationalen Posten? Nützte der Angeklagten letztlich nur bedingt. In der Tat begründete die Vorsitzende Richterin den Verzicht auf eine Strafe mit dem internationalen Ansehen Lagardes. Zu ihren Gunsten sprach auch, dass erst neue Ermittlungen den Betrugsverdacht untermauerten und Tapie 2015 zur Rückzahlung der Millionenentschädigung verurteilt wurde.

Das Urteil wird Lagarde nicht den Job in Washington kosten. Erst im Februar hatte der IWF ihren Vertrag verlängert. Da war bereits absehbar, dass sie in Frankreich vor Gericht stehen würde. Für den Prozess vorige Woche hatte der IWF seiner Chefin Urlaub gewährt. Bei seinem Treffenam heutigen Montag wird ihr das Führungsgremium vermutlich erneut das Vertrauen aussprechen.

Eine Berufung gegen das Urteil ist nicht möglich. Lagarde kann aber Revision einlegen. Diese Möglichkeit prüfen ihre Anwälte nun. Dann wird sich im besten Fall der Gerichtshof erneut mit dem Fall befassen müssen, aber in einer komplett anderen Besetzung, die ihr womöglich gewogener ist. Im Frühjahr stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen an, die auch die Verteilung der Richterposten am Gerichtshof der Republik verändern dürfte. Es stünden Lagarde allerdings weitere Monate oder sogar Jahre der Unsicherheit bevor, die ihre Autorität weiter untergraben.

Lagarde ist jetzt 60 Jahre alt. Ihr Vertrag beim IWF gilt noch bis 2021. Doch es wäre kein Wunder, wenn sie früher ihren Rückzug ankündigt. Sie hat oft gesagt, dass sie sich im Anschluss auf Aufgaben außerhalb der Finanzwelt konzentrieren möchte, vielleicht auf die Förderung von Frauen in ärmeren Ländern.

Von hohen Ämtern in der französischen Politik, für die sie in der Vergangenheit mehrfach gehandelt wurde, dürfte sie jedenfalls genug haben.

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