Das zeigte sich auch am Donnerstag, dem Tag des Referendums. Für Janet und Ken, Fans von der Fußballmannschaft West HamUnited aus dem Ostlondoner Stadteil Newham, die am Morgen schon früh für den EU-Austritt gestimmt hatten, gab es nie einen Zweifel: „Wir sind beide für Out, es gibt einfach zu viele Ausländer hier“, so Janet klipp und klar zur WirtschaftsWoche. Das ältere Ehepaar, er geh- und sprechbehindert - klagte über die bekannten Missstände: lange Warteschlangen wenn Ken einen Arzt-Termin braucht, eine Sozialwohnung wurde ihnen verweigert und Ken bekam nachdem er seinen Job verloren hatte auch keine Sozialhilfe – weil er 6000 Pfund Ersparnisse hatte.
"Morgenröte eines unabhängigen Großbritannien"
Ausländer aus der EU dagegen könnten das Gesundheitswesen kostenfrei und würden auch sonst finanziell unterstützt. Janet schüttelt empört den Kopf. Von Nigel Farage, dem kontroversen Chef der United Kingdom Indpendence Party (UKIP) fühlt sich jedoch verstanden. Farage sah sich am Freitagmorgen nach einer langjährigen Kampagne für den Austritt aus der EU endlich am Ziel: „Wir erleben die Morgenröte eines unabhängigen Großbritannien“, jubelte er.
Doch nach Ansicht von Experten ist die Zukunft düster, in der makroökonomischen Diskussion herrscht diesbezüglich weitgehend Einigkeit. Die Bank of England, der Internationale Währungsfonds, die OECD und das renommierte Institut for Fiskal Studies (IFS) – sie alle hatten im Brexit-Fall vor einer Rezession gewarnt, schon im Vorfeld der Entscheidung hatten Unternehmen ihre Investitionen auf Eis gelegt.
„Dies ist ein Blutbad - nicht nur an den Finanzmärkten. Die Entscheidung wird auch in der Realwirtschaft schwerwiegende Folgen haben“, so der ehemalige Wirtschaftsminister Vince Cable in den frühen Morgenstunden dieses Schicksalstages. Die Bank of England, die sich bereits seit Monaten auf diesen Tag vorbereitet hatte, dürfte jetzt die Zinsen senken, um die Märkte zu beruhigen, so der Volkswirt Danny Blanchflower. Blanchflower war früher ein Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank of England.
Auch eine Intervention am Devisenmarkt ist nicht auszuschließen, doch der Investor George Soros, der 1992 gegen die BoE gewettet und den Ausstieg des Pfundes aus der Währungsschlange EWS erzwungen hatte, glaubt, dass nun unweigerlich eine neue Pfundkrise bevorsteht: „Der Brexit wird zu einem schwarzen Freitag führen, der den schwarzen Mittwoch von 1992 in den Schatten stellt. Wir werden eine drastische Abwertung sehen, die noch größer ausfallen dürfte als die damaligen 15 Prozent“, sagte Soros dem Guardian. Anders als vor 24 Jahren werde die britische Wirtschaft aber nicht von der Abwertung profitieren können“, orakelte er.
Nicht zuletzt dürften die Ratingagenturen das Inselreich nun zurückstufen, das angesichts seines hohen Leistungsbilanzdefizits schon vorher in einer äußerst gefährlichen Lage war. Standard and Poor’s hatte vor dem Referendum bereits damit gedroht, Großbritannien beim Brexit das AAA-Rating zu entziehen. Das wird ein Problem, warnt Darren Williams, Senior Economist, Europe bei er Investmentgesellschaft AB: „Das Land ist für die Finanzierung seiner öffentlichen und privaten Haushaltsdefizite von ausländischen Investoren abhängig. Ein Brexit könnte zum Versiegen der benötigten Kapitalflüsse führen“.