Denkfabrik "Langfristig spricht wenig gegen den Euro"

Die Europäische Währungsunion ist trotz der aktuellen Krise kein Auslaufmodell. Die einheitliche Geldpolitik und die zunehmende Integration der europäischen Güter- und Arbeitsmärkte werden den Konjunkturzyklus innerhalb der Euro-Länder langfristig harmonisieren – und so den Euro stabilisieren.

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Carsten-Patrick Meier Quelle: Presse

In Deutschland sind mittlerweile nicht wenige Ökonomen überzeugt, dass die Währungsunion mit Ländern wie Griechenland, Spanien, Irland oder Italien ein Fehler war. Ihrer Ansicht zufolge zeige die jetzige Krise, dass die Europäische Währungsunion (EWU) letztlich ein rein politisches Gebilde sei, dem die ökonomische Grundlage fehle. Die EWU sei kein Gebiet, für das eine gemeinsame Währung die vorteilhafteste Lösung darstellt, kein „optimaler Währungsraum“, dafür seien die strukturellen Unterschiede zwischen den Ländern zu groß.

Tatsächlich gibt es erhebliche Differenzen zwischen den Euro-Staaten. Die beginnen beim Pro-Kopf-Einkommen, das 2011 in den Niederlanden mit 36.000 Euro doppelt so hoch war wie in Griechenland, gehen über die Wirtschaftsstruktur, wo Deutschlands Industrieanteil von fast 40 Prozent mit Frankreichs Anteil von kaum mehr als 10 Prozent kontrastiert – und hören bei zahlreichen unterschiedlichen Vorschriften lange noch nicht auf. Doch bedeuten diese Unterschiede, dass die Länder des Euro-Raums besser keine gemeinsame Währung haben sollten?

Wann eine gemeinsame Währung vorteilhaft ist, hat der US-Ökonom Robert Mundell vor rund 50 Jahren in einem Aufsatz untersucht, für den er später den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Danach stellen jene Länder einen optimalen Währungsraum dar, die dem gleichen Konjunkturzyklus folgen oder eine flexible Lohn- und Preissetzung sowie eine hohe zwischenstaatliche Mobilität der Arbeitskräfte aufweisen. Länder, für die diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sollten geld- und währungspolitisch unabhängig bleiben. Denn nur so können sie im Fall einer – in diesem Fall nur lokal wirkenden – Krise ihre Konjunktur durch Zinssenkungen und eine damit verbundene Abwertung ihrer Währung stabilisieren.

Entscheidend für die Debatte um die EWU ist, dass die Mundell’schen Kriterien allein auf unterschiedliche, asymmetrisch wirkende konjunkturelle Schocks abstellen sowie auf deren Verarbeitung. Strukturelle Unterschiede zwischen den Ländern spielen dagegen für die Frage, ob diese Länder einen optimalen Währungsraum bilden, keine Rolle.

Sind nicht aber die großen konjunkturellen Unterschiede, die wir derzeit zwischen den Ländern des Euro-Raums sehen, Indiz genug dafür, dass sich die EWU-Länder nicht nur strukturell, sondern auch konjunkturell stark unterscheiden – und insofern Mundells Voraussetzungen für eine Einheitswährung nicht erfüllen? Immerhin befindet sich eine Reihe von südeuropäischen Mitgliedstaaten praktisch seit 2008 in einer Rezession, die an Schärfe gewinnt, während die Krise in Deutschland, Österreich oder Belgien bis vor Kurzem weitgehend überwunden schien. Und zur Mitte der vergangenen Dekade war es gerade andersherum, damals galt Deutschland als „Europas kranker Mann“, während Südeuropa und Irland boomten.

Misslungener Einstieg

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Eine solche Argumentation verkennt, dass die genannten Entwicklungen nicht Ergebnis von asymmetrischen Konjunkturschocks waren, wie sie Mundell fürchtete. Vielmehr steht hinter den Divergenzen im Euro-Raum ein gemeinsamer Treiber, nämlich die Zinsen. Es ist kein Zufall, dass sich mit Spanien, Griechenland und Irland heute genau jene Länder in der Krise befinden, in denen im Zuge des Maastricht-Prozesses und der gemeinsamen Geldpolitik der EZB die Realzinsen drastisch gesunken sind – von rund zehn Prozent 1995 auf praktisch null im Jahr 2005. Die dramatische Zinsreduktion löste einen Kreditboom aus, in Spanien und Irland getrieben durch den Immobiliensektor, in Griechenland durch den Staat.

Seit die zinsinduzierte Blase in Südeuropa und Irland 2008 geplatzt ist, hat sich das Konjunkturbild umgekehrt. Aber es reflektiert immer noch die Folgen des misslungenen Einstiegs in die Währungsunion. In der Diktion Mundells könnte man sagen: Die Gründung der EWU und die damit verbundene Zinskonvergenz war ihr eigener „asymmetrischer Schock“.

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Was folgt daraus für die Zukunft des Euro? Sieht man vom Schock der Zinskonvergenz ab, der hinter uns liegt und dessen Folgen mit den Jahren an Bedeutung verlieren werden, so spricht viel dafür, dass die EWU-Länder grundsätzlich gleichartigen und symmetrisch wirkenden konjunkturellen Störungen ausgesetzt sind, zumal die einheitliche Geldpolitik und die Integration der Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkte die Herausbildung eines gemeinsamen zyklischen Musters tendenziell begünstigen. Insofern spricht langfristig wenig gegen die Einheitswährung.

Bis sich dieses gemeinsame Muster herausgebildet hat, müssen allerdings zwei Herausforderungen gemeistert werden. Zum einen gilt es, die Konjunktur in den Krisenländern zu stabilisieren. Soll die EZB nicht kompromittiert werden, bedarf es dafür eines befristeten und konditionierten fiskalischen Transfermechanismus wie dem vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldenabbaufonds. Zum anderen ist mit makroprudenziellen Mitteln dafür Sorge zu tragen, dass die lange Niedrigzinsphase, mit der die Krise im Euro-Raum verbunden ist, nicht zu einer neuen zinsinduzierten Blase führt – diesmal in Deutschland.

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