Denkfabrik

Warum die EZB vor Deflation warnt – und sie damit erst schafft

Das Deflationsgerede der EZB hat die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer gedrückt. Die Euro-Hüter könnten daher ihre Anleihekäufe bald ausweiten.

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Quelle: Getty Images

Der 22. August 2014 ist für die Geldpolitik ein besonderes Datum: An diesem Tag bereitete Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), auf der Konferenz der Währungshüter in der US-Stadt Jackson Hole den Boden für breit angelegte Anleihekäufe. Er zeigte sich besorgt, dass die aus Marktpreisen bestimmter Finanzinstrumente abgeleiteten langfristigen Inflationserwartungen unter das Inflationsziel der EZB von knapp zwei Prozent gefallen sind. Um scheinbaren Deflationsgefahren vorzubeugen, kauft die EZB nun seit März 2015 in jedem Monat für 60 Milliarden Euro Anleihen – vor allem Staatsanleihen. Das damit in Umlauf gebrachte Zentralbankgeld hätte die Inflationserwartungen eigentlich steigen lassen müssen. Aber tatsächlich sind sie gefallen. Was ist da los?

Zur Person

Wenn Mario Draghi von Inflationserwartungen spricht, bezieht er sich in der Regel auf Finanzinstrumente wie Inflations-Swaps, mit denen Anleger sich gegen Inflationsrisiken absichern und aus denen man deren Inflationserwartungen herauslesen kann. Dabei konzentriert sich Draghi auf Inflationserwartungen für den Fünfjahreszeiträume, der in jeweils fünf Jahren beginnt. Aktuell giist der Zeitraum von Herbst 2020 bis Herbst 2025 relevant.

Normalerweise liegen diese langfristigen Inflationserwartungen nahe beim EZB-Inflationsziel von knapp zwei Prozent und bewegen sich nur wenig. Das Auf- und Ab der Inflationsdaten oder des Ölpreises schlägt kaum durch auf die langfristigen Inflationserwartungen. Notenbanken sprechen dann davon, dass die Inflationserwartungen verankert sind.

Der Kampf der EZB gegen die Krise

Nachdem die langfristigen Inflationserwartungen Anfang August 2014 etwas gefallen waren, begannen Draghi und seine Kollegen im Rat der EZB vor Deflationsgefahren zu warnen, also vor einem Rückgang des Preisniveaus auf breiter Front. Damit haben sie die Investoren beunruhigt – zumal die Notenbanker es für notwendig hielten, den breit angelegten Kauf von Anleihen als Therapie in Aussicht zu stellen.

Wo Rauch ist, muss auch Feuer sein, dachten sich viele Anleger und gingen beim Abschluss ihrer Inflationssicherungsgeschäfte von immer niedrigeren langfristigen Inflationserwartungen aus. Als dann im Herbst 2014 der Ölpreis wegen der hohen Lagerbestände einbrach, sank im Euro-Raum die Teuerungsrate und tauchte Ende 2014 in den negativen Bereich.

Deflationsfalle befürchtet

Normalerweise schauen Anleger durch ein solches Inflations-Tal hindurch – erst recht mit Blick auf die Inflation in fünf bis zehn Jahren. Aber die Anleger waren durch die EZB für Deflationsgefahren sensibilisiert und sahen nun offenbar die Gefahr, dass die durch den Ölpreisverfall gedrückte Inflation im negativen Bereich hängen bleiben könnte.

Sie befürchteten eine Deflationsfalle, aus der es – siehe Japan – angeblich kein Entkommen gibt. Im Januar 2015, als sich der Ölpreis verglichen mit Mitte 2014 mehr als halbiert hatte, sanken die aus Inflations-Swaps abgeleiteten langfristigen Inflationserwartungen unter 1,5 Prozent (siehe Grafik). Danach bewegten sie sich mit dem Auf und Ab des Ölpreises. Mittlerweile liegen sie noch immer weit unter zwei Prozent, obwohl die EZB seit März im großen Stil Anleihen kauft und die Zentralbankgeldmenge stark steigt.

Aus Inflationsswaps abgeleitete Inflationserwartungen für fünf Jahre

Anders als vor Mitte 2014 sind die langfristigen Inflationserwartungen im Euro-Raum nicht mehr verankert – vor allem, weil die EZB mit ihrem Deflationsgerede die Märkte verunsichert hat. Die Deflationswarnungen der EZB haben sich selbst erfüllt; die durch ihre Anleihekäufe in Umlauf gekommene Liquidität hat die Inflationserwartungen nicht wie angestrebt bei zwei Prozent verankert, sondern gesenkt.

Das ist eine desaströse Bilanz. Ein unvoreingenommener Beobachter würde erwarten, dass die EZB die kontraproduktiven Anleihekäufe einstellt. Tatsächlich erwägt sie das Gegenteil. Die weit unter zwei Prozent liegenden langfristigen Inflationserwartungen sind für sie ein Argument, im Zweifel die Anleihekäufe über September 2016 hinaus zu verlängern und sogar das monatliche Kaufvolumen aufzustocken. Sie scheint bereit, mehr vom Falschen zu tun.

Es drängt sich der Eindruck auf, als nutze eine Mehrheit im EZB-Rat die niedrigen marktbasierten Inflationserwartungen als willkommenes Argument, Staatsanleihen zu kaufen – und so den Finanzministern der hoch verschuldeten Euro-Länder zu helfen.

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