Schon vor der Brexit-Abstimmung gab es Berechnungen diverser Institute und Ökonomen, wonach schwere wirtschaftliche Verwerfungen zu erwarten sind, wenn die Briten für den Ausstieg stimmen. Der Pfund hatte in der Folge zwar nachgegeben, schwere Turbulenzen blieben aber aus – zumindest kurzfristig.
Sollten die Verhandlungen scheitern, würde Großbritannien auf einen Drittlandstatus zurückfallen. „Das dürfte die britische Wirtschaft schwer treffen – in geringerem Maße auch die europäische“, sagt Ökonom Odendahl. Genaue Prognosen zu den Folgen eines Brexit seien zwar nur schwer möglich. „Wir haben ja keine historischen Erfahrungen. Aber das potentielle Wachstum ist für Länder innerhalb der EU definitiv höher als außerhalb.“ Die Briten exportieren immerhin 47 Prozent ihrer Waren in europäische Nachbarländer. Auch wenn May ihr Land zu einer „globalen Handelsmacht“ machen will, dürfte ihr eine Kompensation mit anderen Handelspartnern nur schwer gelingen, sollten die Exporte in die EU einbrechen.
4. Wie gehen EU und Großbritannien künftig miteinander um?
In ihrer Rede signalisierte May Versöhnung und Konfrontation zugleich. „Wir wollen, dass die EU ein Erfolg bleibt“, sagte sie. Sie warnte die EU aber auch davor, die Briten zu demütigen. Ein „bestrafender Brexit-Deal“ wäre ein „katastrophaler Akt der Selbstverletzung“. Und: „Kein Abkommen ist besser als ein schlechtes Abkommen für Großbritannien.“
Politikwissenschaftler von Ondarza erwartet nun harte Verhandlungen: „Briten und Europäer sind künftig Konkurrenten.“ May erwägt ihrem Land ein neues Wirtschaftsmodell zu verpassen. Die Briten könnten Steuern senken, um Unternehmen anzulocken und europäische Standards für Arbeitnehmer und Freihandel unterbieten. „Das bedeutet eher Konfrontation statt Kooperation.“
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
5. Die Briten verlassen die EU, Donald Trump will Freihandel begrenzen. Was bedeutet das?
Der künftige US-Präsident Donald Trump hat deutschen Autobauern Strafzölle angedroht, sollten sie außerhalb der USA produzieren, die sie dann in Amerika verkaufen wollen. „Anders als Trump setzt May nicht auf weniger Globalisierung und weniger Freihandel, sondern auf mehr“, sagt von Ondarza. Die Briten lehnten die westliche Weltfinanzordnung nicht ab. Sollte sich das Land aber tatsächlich zu eine Art Steuerparadies innerhalb Europas machen, dürfte die Europäer das Affront betrachten.
Christian Odendahl geht davon aus, dass dieser „Wirtschaftspopulismus – ob in Amerika oder Großbritannien – kurzfristig sogar funktionieren kann“. Die amerikanische und britische Wirtschaft könnte für einige Zeit besser laufen. „Langfristig aber sind die Folgen verheerend. Die Staatsverschuldung dürfte deutlich steigen, es drohen Inflation und Abwertung, worunter die Bürger leiden werden“, sagt der Ökonom.