Digitale Gesundheitsdienste EU nimmt Gesundheits-Apps ins Visier

Der Markt der Gesundheits-Apps ist weitgehend unreguliert. Das soll sich nun ändern. Laut Bundesregierung wird es bald EU-Standards für Qualität und Sicherheit geben. Den Grünen kommen die Regelungen viel zu spät.

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Laut einer Umfrage setzen 28 Prozent der Internet-Nutzer in Deutschland beim Joggen, Walken oder auf dem Weg zur Arbeit eine Gesundheits-App, ein Fitness-Armband oder eine Smartwatch ein. Quelle: dpa

Für Gesundheits-Apps wird es schon bald europaweit einheitliche Qualitäts- und Datenschutzstandards geben. Das geht aus der Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die dem Handelsblatt vorliegt. „Auf europäischer Ebene steht eine Selbstverpflichtung der Hersteller von Gesundheits-Apps zur Einhaltung der Datenschutzbestimmungen („Code of Conduct“) kurz vor dem Abschluss, die App-Entwicklern Unterstützung bei der Anwendung der geltenden Bestimmungen bieten wird“, heißt es in der Antwort.

Ebenfalls auf Initiative der EU-Kommission würden derzeit „Qualitätskriterien für die Beurteilung von Gesundheits-Apps entwickelt, die bis 2017 vorliegen sollen“. Ob darüber hinaus Standards benötigt würden, sei Gegenstand der Arbeiten der sogenannten „E-Health-Initiative“.

Es gibt mehr als 100.000 Gesundheits-Apps. Die Gesundheitspolitik erwartet einiges von den Minicomputern. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sah deshalb auch schon länger Bedarf für klare Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Patienten, Ärzte und Hersteller. „Für die Nutzung und Bewertung von Apps werden offizielle Orientierungshilfen benötigt“, lautete denn auch das Ergebnis einer vom Ministerium in Auftrag gegebenen und am Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik erarbeiteten Studie. Es sei wichtig, zu erkennen, dass nicht jede App für den medizinischen Einsatz geeignet sei.

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Kritik gibt es auch am Datenschutz. „Gesundheits-Apps halten die datenschutzrechtlichen Anforderungen häufig nicht ein“, ergab die Studie. „Bei der Datenschutzerklärung und der Einholung von Einwilligungen durch die Nutzer fehlt es oft an Transparenz. Soweit Daten im Ausland gespeichert werden, ist die Nutzung nicht dem deutschen Datenschutzrecht unterworfen.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast warf der Bundesregierung vor, keine Strategie zu haben, wie sie mit der schnellen Entwicklung am Markt für digitale Gesundheitsleistungen umgehen wolle. „Statt konkreter Regelungsvorhaben beim Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten durch Apps, verweist sie lediglich auf eine E-Health-Initiative, die noch keine Ergebnisse geliefert hat, auf die EU und freiwillige Selbstverpflichtungen der Hersteller“, sagte die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses dem Handelsblatt mit Blick auf die Antwort der Regierung auf die Kleine Anfrage. „Das ist inakzeptabel, denn Apps werden auf dem deutschen Gesundheitsmarkt bereits seit längerem massenhaft eingesetzt.“  

Künast forderte von der Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass Gesundheits-Apps transparent, sicher und qualitativ einwandfrei seien und die Verbraucher als Datenlieferer auch die Hoheit über ihre Daten behielten. „Sie hat die Pflicht für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher heute zu sorgen, statt uns auf einen europäischen Sankt Nimmerleinstag zu verweisen“, sagte Künast.

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz warnte auch vor Nachteilen für die Wirtschaft. „Die Bundesregierung steht in Sachen Digitalisierung bis heute wie ein Kaninchen vor der Schlange“, sagte von Notz dem Handelsblatt. Sie weigere sich, die Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung stellten, im Sinne der Verbraucher zu gestalten. „Das ist schlecht für unsere Grundrechte, und es ist schlecht für die Unternehmen, die Rechtssicherheit brauchen.“

Wie verbreitet Gesundheits-Apps inzwischen sind, zeigte jüngst eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens GfK.  28 Prozent der Internet-Nutzer in Deutschland setzen demnach beim Joggen, Walken oder auf dem Weg zur Arbeit eine Gesundheits-App, ein Fitness-Armband oder eine Smartwatch ein. Die Deutschen lägen damit im weltweiten Vergleich weit vorn, fand die GfK heraus.

Lediglich in China (45 Prozent), Brasilien und den USA (jeweils 29 Prozent) setzten mehr Internetnutzer zum täglichen Fitness- und Gesundheits-Check entsprechende Geräte ein. Von den 20.000 in 16 Ländern befragten Internetnutzern bekannte sich im Schnitt ein Drittel dazu, mit Apps oder Fitness-Tracker ihre Kondition oder Gesundheit regelmäßig zu überwachen. In der Regel zeichnen sie neben der Herzfrequenz des Nutzers auch die zurückgelegte Strecke, verbrannte Kalorien und Schritte auf.

Was Smartphones alles messen können
KalorienEin paar Pfunde verlieren oder den Cholesterinspiegel in den Griff bekommen - wer wirklich gesund leben will, muss sich gut ernähren.MyFitnessPal (iOS, Android, Blackberry, Windows Phone) MyFitnessPal ist nicht nur eine App sondern eine ganze Community, die sich rund um das Thema Abnehmen dreht. Hier kann man sich ein Profil erstellen und darin abspeichern, was, wann wo gegessen wurde. Der Vorteil an der Gruppe: Der User kann sich mit anderen vergleichen und wird so extra angespornt. In die App integriert ist auch ein Sport-Tool, dass einem je nach Länge der Aktivität anzeigt, wie viele Kalorien man wieder verbaucht hat. Kaloriencheck (iOS)Die App zeigt mit einem Mouse-Klick an, wie viele Kalorien in dem Essen stecken. FoodNavi (iOS)FoodNavi hilft dabei den Überblick über die eigenen Ernährung zu behalten und zeigt in Diagrammen an, wie viele Milchprodukte, wie viel Obst und wie viele Kohlenhydrate der User schon zu sich genommen hat. Quelle: REUTERS
Blutdruck und PulsWenn der Blutdruck Achterbahn fährt, gilt es Ruhe bewahren und vor allem den eigenen Körper genau im Auge behalten. Dabei helfen etliche Tools.Blutdruck Daten (iOS, Android) Der digitale Blutdruck-Pass erfasst alle Blutwerte, die mit einem extra Gerät gemessen werden müssen. Das Tool ist kostenlos.Blutdruck+Puls Grapher (iOS und Android) Ganz ähnlich funktioniert der Grapher. Hier können nicht nur die Blutdruckwerte, sondern auch die Ernährung des Tages sowie die jeweiligen Tagesaktivitäten eingetragen werden. Zum Beispiel "Fußball auf dem Sofa mit einer Tüte Chips".Ithlete (iOS, Android) Der Brustgurt Ithlete misst den Puls beim Sport machen: Ganz gleich ob beim Laufen, Radfahren oder Schwimmen. Die Ergebnisse der Messung werden direkt auf die App überspielt. Quelle: dpa
SchrittzählerWer den ganzen Tag im Büro sitzt, kennt das Problem: Man bewegt sich viel zu wenig. Wie schlimm es um einen wirklich bestellt ist, zeigen Schrittzähler an. Diese dokumentieren wie viele Schritte der einzelne pro Tag absolviert.Pedometer (iOS und Android) Von Runtastic stammt der Pedometer. Die App nutzt den Beschleunigungssensor des Smartphones, um die Anzahl der Schritte zu ermitteln. Die Distanz und die Zeit der Aktivität werden am Ende übersichtlich angezeigt. Das Smartphone kann überall am Körper getragen werden.Ultimate (iOS) Apple-User können auch Ultimate nutzen. Der Schrittzähler misst die Bewegung via GPS. Quelle: dpa
JoggenWie die Schrittzähler funktionieren auch andere Tools für das Laufen - vom leichten Joggen bis zum Marathontraining. Hinter den beiden Apps steht jeweils eine Community mit Personen, die sich zum Thema austauschen und auch gegenseitig anfeuern.Runtastic (iOS, Android, Blackberry, Windows Phone, Bada) Eine der beliebtesten Trainings-Apps ist Runtastic. Via GPS wird der Verlauf der Jogging-, Fahrrad- oder Skaterstrecke gespeichert und innerhalb der Plattform hochgeladen. Wer möchte, kann nach dem Lauf auch sein Ergebnis bei Facebook oder Twitter hochladen. Außerdem bietet das Tool die Möglichkeit gegen die eigenen Leistung oder die anderer anzutreten. Auch einfache Gymnastik-Trainings oder Yoga-Übungen lassen sich manuell hinterlegen. Runkeeper (iOS und Android)Ganz ähnlich funktioniert Runkeeper. 17 Millionen Menschen nutzen nach Anbieter-Angaben die App weltweit. Quelle: dpa
SchlafSo verrückt es klingt, immer mehr Menschen verfolgen ihren Schlaf genau. Wie oft wird man wach? Wie viele Stunden Schlaf bekomme ich in der Woche. Sleep101 (iOS)Die App des Anbieters Zeo verfolgt genau wie lange und wie gut ein User schläft. Ein integrierter Wecker weckt genau in dem Moment, in dem eine Tiefschlafphase vorbei ist. ElectricSleep (Android)Eine Alternative für Android-Nutzer ist die App ElectricSleep, die ebenfalls von Zeo auf den Markt gebracht wurde. Quelle: dpa
StimmungEinfach mal messen, wie es einem so geht. Auf dem Markt gibt es zig Tools, die einem dabei helfen. Eine Empfehlung:Mood Panda (iOS und Android) Ein kleiner Panda ist der Begleiter durch den Tag. In der ansprechend gestalteten App können Stimmungsschwankungen genau festgehalten und visualisiert werden. Einzelne Ereignisse lassen sich auch auf Twitter oder Facebook verbreiten. Quelle: dpa
ZeitWie gerne würde man einmal die Zeit zurückdrehen können - viel zu schnell scheint sie an manch Tagen zu vergehen. Dabei müsste man sich viel häufiger die Frage stellen, was man eigentlich den ganzen Tag tut, was einem so sehr die Zeit raubt. Dabei hilft der:Rescue Time (Android) Wie lange habe ich E-Mails gelesen, wie lange im Internet gesurft und wie lange telefoniert. Den eigenen Tagesablauf genau zu messen, kann sinnvoll sein. So lässt sich ganz einfach herausfinden, an welchen Stellen des Tages Zeit vergeudet wurde. Das tolle daran: Das Programm läuft im Hintergrund des Smartphones und speichert so alle Verhaltensweisen. Quelle: dpa

Was die Verbreitung der „Fitness-Tracker“ in Deutschland von vielen anderen Ländern noch unterscheidet: Hierzulande nutzen - neben ganz jungen Leuten - überraschend viele Ältere die digitalen Hilfsmitteln. Während nur etwa ein Fünftel der 40- bis 49-Jährigen Internet-Nutzer auf diese Weise ihre Trainingsdaten aufzeichnet, waren es bei den 60 Jahre und Älteren rund 30 Prozent - ebenso viele wie bei den 15- bis 29-Jährigen.

Der größte Teil der weltweit befragten Nutzer - nämlich 55 Prozent - erhofft sich vom Einsatz der Apps und Tracker eine Steigerung seiner Kondition. Am zweithäufigsten gaben die Nutzer an, sie wollten sich damit selbst zum Sport antreiben. Ein Drittel nannte als Motivation, seine Leistungsfähigkeit verbessern zu wollen. 29 Prozent erhoffen sich davon einen besseren Schlaf. Rund ein Viertel möchte produktiver sein. 22 Prozent geht es hingegen lediglich um den „Spaßfaktor“.

Datenschützer sehen hingegen die entsprechenden Apps und Fitnessarmbänder kritisch. So warnten erst im Frühjahr die Datenschutzbeauftragten von Bund und Länder vor einem Missbrauch der aufgezeichneten Trainingsdaten. Mit ihrer Hilfe könne eine detaillierte Risikobewertung vorgenommen werden. Krankenkassen könnten Profile ihrer Versicherten entwickeln und auf dieser Basis individuelle Tarife anbieten. Dies würde dem Solidarprinzip zuwiderlaufen.

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