Einblick

Das monumentale Versagen des Politischen

Der Griechenlandkonflikt zeigt: In der EU herrscht die Expertokratie. Es wird Zeit für politische Gestaltung im Interesse der Bürger.

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Euro-Zeichen Quelle: dpa

In seinem Werk „Vom Kriege“ analysiert Carl von Clausewitz unter den Bedingungen des frühen 19. Jahrhunderts, wie man den Gegner zur Erfüllung seines Willens zwingen kann. Seine Ausführungen zu Strategie, Taktik und Philosophie möchte man gerne Alexis Tsipras und den EU-Unterhändlern auf den Nachttisch legen, damit sie bis Sonntag einen Blick in das Buch werfen und sich überraschen lassen. Der „Krieg als bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ lebt wieder auf. Im zur Erstarrung eskalierten Konflikt zwischen Griechenland und der EU herrscht technokratisches Gefeilsche statt politischer Gestaltung. Bürokratie als bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Das europäische Projekt war einst gerichtet auf Wachstum, Wohlstand, demokratische Legitimation und eine Führungsrolle in der friedlichen Stabilisierung der Weltpolitik. Inzwischen liegt Europa vor uns als Ödland mit magerem Wachstum, teilweise zweistelligen Arbeitslosenquoten und Schuldenständen weit über dem Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Landes. In dieser politischen Steppe stakst eine zerstrittene Truppe von Unterhändlern umher und wartet darauf, dass Griechenland die weiße Flagge hisst.

Wie stehen Griechenland, Spanien und Co. da?
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Die Lohnstückkosten sind in Griechenland, Irland und Spanien vergleichbar hoch. Für Griechenland senkt das die Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung deutlich herab.
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Alle vier Länder haben den Abbau der Staatsausgaben verbessert. Besonders Griechenland war hier auf einem guten Weg, bis im Januar Syriza an die Macht kam.
Mit dem Abbau der Staatsverschuldung haben alle vier Länder noch ein Problem und sind noch weit entfernt von einem akzeptablen Stand. Am besten schlagen sich hier Spanien und Irland.
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Mit politischer Gestaltung und Staatskunst hat das wenig zu tun. Die Bürger der EU haben ein Recht darauf, dass die nationalen Regierungen und die Kommission sorgsam mit ihrem Geld umgehen. Das hat Griechenland nie getan – der gröbste Mangel, den es zu beklagen gibt. Aber die EU hat es ebenso wenig vermocht, ihr Mandat anzunehmen. Und das lautet: Es kann nur ein demokratisch legitimiertes vereintes Europa geben.

Eine Expertokratie aus EU-Kommission, EZB und IWF hat Europa demokratisch heruntergewirtschaftet. Über den Rettungsschirm ESM und die ELA-Kredite der EZB wurde das Budgetrecht, Königsrecht der nationalen Parlamente, immer weiter ausgehöhlt. Das Führungsgremium der EZB mag politisiert sein, demokratisch legitimiert ist es nicht.

Vielfach haben die Menschen ihrem Unbehagen gegenüber Integration ohne Mitsprache Ausdruck verliehen: 2005 stimmten die Franzosen und Niederländer gegen den EU-Verfassungsvertrag. Irland lehnte 2008 den Vertrag von Lissabon ab. Man hat dann einfach 2009 noch einmal abstimmen lassen, damit es doch noch klappt. In Deutschland verweist das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen auf das Demokratiedefizit der EU und pocht auf das Entscheidungsrecht des Bundestags.

Trotz dieser Zeichen sind die Euro-Technokraten im starren Parallelgang mit der griechischen Regierung nun vor die Wand gefahren. Sehenden Auges. Europa kann nur als konsequentes Tauschgeschäft erfolgreich sein: Demokratisch legitimierte Politik schafft Raum für Wachstum und Wohlstand, und klare ökonomische Regeln sorgen für politische Legitimation. Aus dem Tausch- ist ein Täuschgeschäft geworden. Sein Motto: verschieben und verwässern. Sedierende Beteuerungen über vermeidbare Schuldenschnitte inbegriffen.

Wir erleben in diesen Tagen ein monumentales Versagen des Politischen. Andere werden davon profitieren. Im Schatten der Griechenlandeskalation trifft sich Russland mit den anderen BRICS-Staaten, um eine Konkurrenz zum IWF aufzubauen. Wladimir Putin hat eben seinen Clausewitz gelesen.

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