Einblick

Zynischer Reflex

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Erdbeben und Terroranschläge sind kein Grund, Sparanstrengungen wieder einzustellen. Wer das fordert, missbraucht die Opfer.

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Zerstörungen in Amatrice. Quelle: dpa

Der gute Zweck soll die Mittel heiligen, wieder mal. Nach dem schlimmen Erdbeben, bei dem in den Abruzzen mehr als 290 Menschen starben, fordert die Regierung in Rom von der EU, diese möge die Stabilitätskriterien lockern. Rom will Milliarden für erdbebensicheres Bauen ausgeben, und die sollen außen vor bleiben, wenn die EU berechnet, ob ein Land gefährlich zu viel Schulden macht. Bei einem Haushaltsdefizit des Staates von über drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung drohen den Euro-Staaten Bloßstellung und Strafzahlungen.

Der zynische Reflex, nach gravierenden Ereignissen Milde bei Haushaltsverstößen zu fordern, hat Tradition. Nach den Terrorattacken in Paris im November kündigte Frankreichs Präsident François Hollande an, den Stabilitätspakt zu ignorieren. Sicherheit kostet, und die ist wichtiger als Stabilität, so die Botschaft. Als ob höhere Ausgaben für Sicherheit Frankreich daran hinderten, an anderer Stelle zu sparen. Das Gleiche passierte auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im vergangenen Jahr. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz machte sich dafür stark, deren Kosten bei den Berechnungen zum Euro-Stabilitätspakt außen vor zu lassen.

Erdbebenschutz, Terrorabwehr, Flüchtlingshilfe: Angesichts des Leids vieler Menschen wird niemand bestreiten, dass hier investierte Milliarden gut angelegt sind. Der Maastricht-Vertrag sieht ja sogar vor, dass unter besonderen Bedingungen, etwa nach Naturkatastrophen, die Defizitregeln gelockert werden können. Rom reicht das aber offenbar nicht, die Regierung will auch Gelder für die präventive Erdbebensicherung ausgenommen haben.

Doch das ist des Guten zu viel. Die finanziellen Probleme entstanden ja nicht erst durch die jeweiligen Ereignisse. Erst läuft ökonomisch alles schief, und dann wird die Katastrophe als Anlass genommen, das zu kaschieren. Das ist Zynismus und ein Missbrauch der Opfer.

Vom Welttreffen der Notenbanker in den Rocky Mountains am Wochenende drangen vor allem zwei Botschaften nach Europa: Niedrigzins und Geldschwemme werden uns lange erhalten bleiben. Und wenn überhaupt werden die Notenbanken nur von der für Sparer und Marktwirtschaft fatalen Politik der niedrigen Zinsen ablassen, wenn die Staaten ihre Haushalte sanieren und Reformen durchziehen, die dann auch wieder Wachstum möglich machen.

Danach sieht es aber insbesondere in jenen Ländern nicht aus, die am lautesten nach Sonderregeln schreien: Italien ist mit 133 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet und lässt keine Umkehr erkennen, in Frankreich ist nach dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Emmanuel Macron in dieser Woche nicht mehr mit irgendeiner Reformanstrengung bis zu den Präsidentenwahlen im nächsten Jahr zu rechnen. Vor diesem Hintergrund wirkt der Verweis auf besondere Notlagen erst recht entlarvend.

Das Leid der Opfer darf nicht den Vorwand dafür liefern, auf allen anderen Feldern weiterzumachen wie bisher. Mehr als Kritik haben Staaten, die den Stabilitätspakt brechen, ohnehin nicht zu befürchten – siehe Spanien und Portugal, denen die EU Milliardenstrafen erlassen hat. Der Stabilitätspakt ist immer wieder unterlaufen und ausgehöhlt worden. Trotzdem muss jeder Versuch immer wieder verhindert werden. Besser ein stumpfes Schwert als gar keins.

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