Einwanderungspolitik Die große Völkerwanderung - und was zu tun ist

Aus grenzenloser Zuwanderung muss endlich begrenzte Einwanderung werden. Der erste Schritt ist eine verantwortungsvolle Diskussion darüber – ohne gesinnungsethische Tabus.

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Flüchtlinge auf einem Schlauchboot bei der Mittelmeerüberquerung. Quelle: imago images

Der Historiker Alexander Demandt hat vor einigen Monaten im Auftrag der CDU-Zeitschrift Die politische Meinung einen Artikel über den Untergang des Römischen Reiches und die Völkerwanderung geschrieben. Er wurde mit der Begründung abgelehnt, „der Artikel könne in der aktuellen politischen Situation missinterpretiert werden“. Demandt bezeichnete dies als „eine kapitale Dummheit“.

Was schreibt Demandt? Er wirft die „alte Frage“ auf, „weshalb die reiche hochentwickelte römische Zivilisation dem Druck armer Nachbarn nicht standgehalten hat, […] als diese von der Not Getriebenen über die Grenze strömten.“ Und erklärt: „Überschaubare Zahlen von Zuwanderern ließen sich integrieren. Sobald diese eine kritische Menge überschritten und als eigenständige handlungsfähige Gruppen organisiert waren, verschob sich das Machtgefüge, die alte Ordnung löste sich auf.“

Schon der arabische Geschichtsphilosoph Ibn Khaldun (gestorben 1406) schreibt in seinem Meisterwerk Prolegomena zur Geschichte, dass der Zustrom junger Stämme und Völker den Untergang schwächelnder Zivilisationen besiegele. Doch solche Fragen, geschweige denn Antworten aus der Geschichte möchten unsere Politiker und Meinungsmacher offenbar nicht hören. Jan Fleischhauer hat bei SPIEGEL-Online kürzlich zu Recht bemängelt, dass „uns Politiker mitteilen, wie wir reden sollen […], wie wir zu denken haben […]“. In Europa ist in den vergangenen Jahren ein Narrativ entstanden, das durch Ächtung und Ausgrenzung durchgesetzt wird und jede freie Diskussion über die hier behandelte Thematik verhindert.

Zur Person

Ich stelle klar: Ich bin für eine Einwanderung nach Europa, die die demografischen Defizite ausgleicht. Jedoch brauchen die technisch komplexen europäischen Gesellschaften hochausgebildete Arbeitskräfte, aber eindeutig nicht die, die aus Afrika und Nahost als Armutsflüchtlinge kommen. Wir sollten diese Thematik ideologiefrei diskutieren, indem wir zwischen humanitärer Hilfe, Asyl, Zuwanderung und Völkerwanderung unterscheiden (vgl. mein Beitrag in der Basler Zeitung)

Die EU ist seit dem Brexit ein sinkendes Schiff. Aber eines, das gerettet werden könnte, wenn Politiker und Meinungsmacher eine freie Diskussion darüber zulassen. Hierfür ist ein anderer Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nötig als derjenige, der sich in der Abweisung des Artikels von Demandt äußert.

Der belgische Historiker David Engels hat ein Buch mit dem Titel Die Krise der EU und der Untergang der Römischen Republik geschrieben. In einem bemerkenswerten Artikel (Das Ende des Westens, wie wir ihn kannten, CICERO November 2016) beschreibt er seine Heimatstadt, deren Bewohner zu einem Drittel Muslime sind, als „Bild einer niedergehenden Gesellschaft“. Die einen reden von Dialog und Toleranz, die anderen von Djihad gegen die Ungläubigen. Engels zitiert den Sohn eines in Belgien agierenden Imams, der „Allah um den Tod der Ungläubigen bat“. Die Vielfalt bringe „nicht nur Freude und Buntheit, sondern auch handfeste Sorgen […] Moscheen, in denen nachweisbar Hasspredigten vorbereitet werden.“

Nach Engels ist das zentrale Problem weniger die Völkerwanderung selbst. Sondern die „Selbstaufgabe des Westens“. Es sei „mit der Integrationskraft schlecht bestellt“, denn: „die europäische Identität erodiert in solchem Grade, dass den Neuankömmlingen kaum verübelt werden kann, in Ermanglung einer Alternative an ihren eigenen Verhaltensweisen festzuhalten.“ Engels schreibt weiter: „der Westen hat den Glauben an sich und seine Zukunft verloren […], dem Westen ist diese Affirmation der eigenen Identität […] fast vollständig abhandengekommen.“ Wie kann ein solches Europa Millionen muslimischer Zuwanderer integrieren?

Der Gipfelort ist gut gewählt: Malta liegt zwischen Libyen und Italien im Mittelmeer. Denn die Flüchtlingskrise ist zentrales Thema der EU-Staats- und Regierungschefs. Und dann ist da noch der Brexit.

Ich kann Engels Aussagen durch meine eigenen Untersuchungen untermauern. Es handelt sich um eine existenzielle Bedrohung, die aus einer demografischen Explosion resultiert. Die Bevölkerung des Nahen Ostens und Nordafrikas hat sich in wenigen Jahrzehnten fast verdoppelt. Parallel dazu erlebten diese Länder eine wirtschaftliche Stagnation im Verbund mit einer Herrschaftsform der „orientalischen Despotie“ (Karl Wittfogel).

Nun zerfallen die Staaten in Nahost, woraus innere Kriege in Libyen, Syrien, Irak und Jemen resultierten. In den nächsten Jahren werden weitere nahöstliche Staaten folgen, vorrangig die Türkei und möglicherweise Ägypten und Algerien. (vgl. meine WiWo-Artikel zu Syrien, Libyen und der Türkei)

Zuwanderung kann auch Nachteile mit sich bringen

Das prosperierende Europa zieht Millionen Menschen aus dieser Region an. In Kairo traf ich im Frühjahr 2016 auf verzweifelte Nahost-Muslime, die über ihre Handys von der „Willkommenskultur“ der deutschen Kanzlerin hörten, die ein „freundliches Gesicht“ zeigen will. Das wurde als eine Einladung verstanden. Die schwächelnde EU hat außer frommen Sprüchen wie „Solidarität“ keine Strategie für diese Krise zu bieten.

Zuwanderung kann auch Nachteile mit sich bringen, über die frei gesprochen werden muss. Die Ergebnisse internationaler Forschung hierzu werden allerdings durch europäische Meinungsmacher bewusst ignoriert. In europäischen Großstädten bilden sich durch ethnische Armut gekennzeichnete Parallelgesellschaften. Die sozialen Probleme werden von den Zuwanderern religionisiert, d.h. islamisiert. Doch die Linken machen daraus „Minderheitenprobleme“.

Mir als Nichteuropäer fällt der Selbsthass auf, mit dem europäische Linksgrüne Europa mit der „Herrschaft des weißen Mannes“ und mit dem Kapitalismus gleichsetzen. Die Konsequenz dieser Ideologie: Europa müsse durch Zuwanderung eine Bevölkerung bekommen, die nicht mehr von ethnischen Europäern dominiert ist, denen im Gegensatz zu den Migranten eine eigene Identität untersagt ist. Dies soll parallel zur Abschaffung der freien Marktwirtschaft geschehen, die als Kapitalismus verfemt wird. Soll das alte Europa also begraben werden? Die Linksgrünen sagen offen: Ja.

Wer zu Europa steht, muss dagegen halten. 

In einem eigenartigen Bündnis mit den Linksgrünen führen nun Islamfunktionäre die „als Multikulturalismus missverstandene orientalische Gesellschaftsform“ (David Engels) im Namen von Religionsfreiheit und Minderheitenschutz auf Kosten europäischer Werte und Strukturen ein. Wer widerspricht, riskiert, mit den Keulen „Populismus“, „Rassismus“ und „Islamophobie“ mundtot gemacht zu werden. Damit stehen die Linksgrünen im Namen des Minderheitenschutzes auf der Seite der Islamisten gegen das, was als „the idea of Europe“, als die Idee Europas als Zivilisation gilt.

Kürzlich hat der ehemalige Kanzleramtschef von Gerhard Schröder, Bodo Hombach, im Handelsblatt (Die Populismuskeule, 20.01.2017) den großen Soziologen Ralf Dahrendorf zitiert - „Populisten sind immer die anderen“ - und festgestellt: „Verordnung von richtigem Denken und Sprechen ist immer falsch. Es ist fremdbestimmt und kennzeichnet Ismen und ideologische Systeme. Totalitäre Staaten definieren sich gerade dadurch, dass sie von und für sich ein korrektes Sprachbild entwickeln. Sie erklären zum Feind, wer nicht schnell genug die fälligen Vokabeln lernt.“

Wie das BAMF die Identität von Flüchtlingen klärt

Mein jüdischer Lehrer Max Horkheimer schrieb in seinem Werk Kritische Theorie: „Europa ist eine Insel der Freiheit in einem Ozean der Gewaltherrschaft“. Horkheimer verpflichtet seine Anhänger, dieses Europa der Freiheit - nicht „das weiße Europa“ - gegen jeden Totalitarismus zu verteidigen. Die alten Totalitarismen waren Kommunismus und Faschismus. Es gibt einen dritten, neuen Totalitarismus. Er heißt Islamismus. Im Geiste Horkheimers kämpfe ich gegen den totalitären Islamismus, vertrete einen europäisierten Islam und stelle die Frage: Welcher Islam für Europa? Ist diese Frage schon der Rassismus, gegen den die Linken lautstark kämpfen?

Der Diskurs wird vorwiegend gesinnungsethisch, nicht verantwortungsethisch geführt. Nach Max Weber gehören zur Verantwortungsethik drei Qualitäten: „1) Verantwortungsgefühl, 2) Augenmaß, 3) Leidenschaft im Sinne von Sachlichkeit“. Dagegen beruht Gesinnungsethik nach Weber auf der „Romantik des intellektuell interessanten“, die „irrationale Taten“ hervorruft, deren Urheber die „ethische Irrationalität der Welt nicht ertragen“. Zur Gesinnungsethik gehört auch ein Moralisieren, das die Welt in „Gutes und Böses“ manichäisch zweiteilt, nach der Logik, dass „aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses“ kommen könne. Diese Logik dominiert das Denken der Kanzlerin und des Ehepaars Herfried und Marina Münkler, das unter dem Titel Die neuen Deutschen eine Art Katechismus als „Apologie auf die Regierung Merkel“ verfasste (so das Online-Magazin The European).  

Verhängnisvolle Ideologisierung der Zuwanderung

Auch der Zugang von rund zwei Millionen Menschen nach Europa allein seit 2015 wird von diesem Manichäismus in die Kategorien „gut“ und „böse“ eingeordnet. Gut sind die Fremden, schlecht die Europäer. Gehe ich im verantwortungsethischen Geiste Webers mit Augenmaß und Verantwortungsgefühl an den Gegenstand heran, sehe ich in den nach Europa – besonders nach Deutschland – gekommenen neuen Zuwanderern keine Bereicherung, sondern soziale und sicherheitspolitische Probleme und entsprechende Konflikte. Die Linksgrünen wollen diesen Gegenstand zum Tabu machen. Das ist nicht demokratisch sondern totalitär.

Der Einsatz für die uneingeschränkte Wanderung nach Europa durch die Gesinnungsethiker kennt keine Differenzierung. Die nötige Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und anderen Zuwanderern wird als Diskriminierung zurückgewiesen. Selbst der Begriff „Parallelgesellschaft“ wird zum Beispiel von Klaus Bade als „Populismus“ verfemt. Er ist einer der einflussreichsten Migrationsforscher Deutschlands mit Macht über Forschungsgelder von Staat und Stiftungen. Der verstorbene jüdische Autor Ralph Giordano stellte in der FAZ vom 15.7.2011 zu recht fest, dass Bade alle Probleme ausblendet und kritische Migrationsforscher diffamiert.   

Die Deutschen sind nicht nur im Fußball Weltmeister, sondern auch in der Ideologisierung der Zuwanderung. Ein Beispiel hierfür ist Herfried Münkler, der übrigens weder Islam- noch Migrationsforscher ist, aber über diese Thematik mit seiner Frau schreibt, die Literaturwissenschaftlerin ist. In ihrem Buch werden Zuwanderer pauschal upgegradet, ohne eine eindeutig definierbare Bestimmung. Andere Gesinnungsethiker der Willkommenskultur nennen sie die „neuen Bürger“. Welch eine krude Sozialtutopie!

Wenn man unter Bürger Citoyen/Citizen versteht, dann erfüllt keiner der rund zwei Millionen Flüchtlinge diese Bestimmung. Denn nur unter bestimmten Bedingungen kann ein Mensch den Anspruch erwerben, Mitglied einer Citoyenneté/Citizenry zu sein. Solange Islam-Gemeinden in Europa das Integrationskonzept des Euro-Islam bekämpfen und in Parallelgesellschaften leben, können islamische Zuwanderer keine europäischen Citoyens werden. Islamisten und Salafisten sind Soldaten der Islamisierung Europas, keine europäischen Bürger. 

Verantwortungsethisch gilt es, eine rechtliche, soziale und politische Einordnung der Flüchtlinge vorzunehmen und die Identität der Aufnahmegesellschaft selbst zu definieren.

Einwanderung und Zuwanderung nicht verwechseln

Den Unterschied zwischen Einwanderung und Zuwanderung – diese begriffliche Unterscheidung habe ich in meinem Buch Die islamische Zuwanderung (2002) erläutert - blenden die Münklers und andere aus.

USA, Kanada und Australien sind klassische Einwanderungsländer, wohingegen Deutschland das prominenteste Zuwanderungsland der Welt ist; prominent deshalb, weil es statistisch gesehen mehr Migranten als selbst die USA aufnimmt. Alleine Hamburg nimmt pro Jahr halb so viele Migranten (35.000) auf, wie die USA in einem Jahr (70.000). Ein Zuwanderungsland lässt nicht nur beliebig Menschen, die keine Bürger sind, hinein, sondern hat auch darüber hinaus kein Policy-Konzept für den Umgang mit diesen Menschen, und wie sie in das bestehende Gemeinwesen eingegliedert werden können. Statistisch und politisch ist Deutschland im Zeitraum 2015/16 als ein Zuwanderungsland einzuordnen. Es nimmt im Rahmen der „Willkommenskultur“ Millionen Menschen ohne eine klare Bestimmung, ja sogar ohne Papiere, in sein Territorium auf.

Asylverfahren, die keine Auswirkungen haben

Für Fremde, die das Territorium eines anderen Landes betreten, gibt es sechs soziologisch-juristische Einordnungs-Kategorien: 1. Gastarbeiter, 2. Migranten als Einwanderer (erwünscht), 3. Migranten als Zuwanderer (unerwünscht), 4. Illegale Armutsflüchtlinge, 5. Kriegsflüchtlinge nach internationalem Recht und 6. politisch Verfolgte, die das Recht haben nach Art. 16 GG Asyl zu bekommen. Diese Kategorien sind nicht vertauschbar. Eine humanitäre Politik kann daher keine Einwanderungspolitik ersetzen. Dieser internationale Standard des Wissens über den Gegenstand scheint heute in Europa nicht zu gelten.  

Zur Kategorie 1 gehören die Türken, Spanier und Italiener, die nach 1960 rechtlich befristet kamen. Die anderen fünf Kategorien werden in Deutschland meist durcheinander gebracht und in den Topf „Asylsuchende“ hineingeworfen. Es ist lächerlich, wie der deutsche Staat aufwendige Verfahren zur Überprüfung von Asylanträgen durchführt, die im Resultat dann belanglos sind, da fast alle abgelehnten Asylbewerber (zur Zeit in Deutschland ca. eine halbe Million) zunächst Duldungsstatus bekommen, der nach wenigen Jahren zum Daueraufenthaltsrecht mit vollem Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen wird.

Es stellt sich die zynische Frage: Warum werden überhaupt solch aufwendige Asylverfahren durchgeführt, wenn sie gar keine Auswirkung bzw. Geltung haben? In Essen zum Beispiel wird ein Drittel der dort seit dem Libanon-Krieg 1975-1990 lebenden Libanesen seit drei Generationen rechtlich nur „geduldet“. Sie leben in ihren Clans in einer Parallelgesellschaft, finanziert vom Sozialstaat und sehr oft durch Kriminalität. Man kann vermuten, dass viele neue Migranten dem libanesischen Modell von Essen folgen werden.

Deutschland fehlt eine verantwortungsvolle Einwanderungspolitik. Das beschädigt massiv das Ansehen des Staates. Wir müssen Einwanderung und Asyl endlich voneinander trennen.
von Ferdinand Knauß

Zuwanderung ist naturwüchsig und chaotisch, so wie in Deutschland von September bis Dezember 2015, als alle Grenzkontrollen abgeschafft wurden und 1,5 Millionen Menschen unkontrolliert kamen. Einwanderung erfolgt dagegen erstens nach Bedarf der Aufnahmegesellschaft und zweitens mit dem Ziel, die eingewanderte Person auf Dauer zum individuellen Mitglied des Gemeinwesens zu machen. Ein Bürger-Status als Citoyen muss durch Arbeit erworben werden und kann nicht geschenkt werden, so wie Gesinnungsethiker dies tun, wenn sie Flüchtlinge, die noch nicht einmal die Landessprache sprechen, zu „neuen Bürgern“ hochstufen.

Trennen muss man auch zwischen Einwanderungspolitik und humanitärer Politik. Es ist unbestreitbar, dass politisch Verfolgte ein Recht auf Asyl haben – dieses Recht ist aber ein individuelles und kein Gruppenrecht. Die Anerkennung einer politischen Verfolgung verleiht dem Antragsteller zudem keinen Dauerstatus sondern berechtigt nur zu einem zeitlich begrenzten Aufenthalt. Sie ist also keine Einwanderung.

Zu diesen meist vernachlässigten Unterscheidungen kommt hinzu: Jeder Staat muss ein „national interest“, als ein nationales Interesse haben und seine Politik dementsprechend gestalten. Viele Islamisten werden in ihren eigenen islamischen Ländern verfolgt, dennoch sollte man ihnen kein Asylrecht in Deutschland gewähren, weil sie ein sicherheitspolitisches Risiko für das deutsche „national interest“ bilden. Dieses Tabu muss man brechen und sagen, dass neben der humanitären Politik auch Sicherheitspolitik eine gleichrangige Rolle spielen muss, wenn der Rechtstaat sich nicht selbst verleugnen will. ung betreiben will.

Sicherheit ist ein zentraler Aspekt der Ein- und Zuwanderungspolitik. Der Migrationsforscher Myron Weiner widmet in seinem großartigen Buch The Global Migration Crisis dem Thema „Security“ ein ganzes Kapitel. Im Gegensatz zu solcher verantwortungsethischen Wissenschaft macht das linksgrüne Narrativ hierzulande die Verbindung von Migration und Sicherheit zum Tabu. Wer sich daran nicht hält, wird als islam- und fremdenfeindlich in alter deutscher Tradition eingestuft, wonach jede „Abweichung gereizt geahndet“ (Adorno) wird.

Einwanderungspolitik und nationales Interesse gehören zusammen

Für das „national interest“ eines demokratischen Rechtstaates entstehen durch Migration vor allem zwei Sicherheitsrisiken:  

1. Parallelgesellschaften, besonders islamische, existieren in Europa, „but not of it“, d.h. sie gehören nicht zu Europa, wie es der amerikanische Islamwissenschaftler John Kelsey in seinem Buch Islam and War prägnant formuliert.

2. Auch „ethnische Armut“ (Anthony Giddens), ist ein gesellschaftliches Sicherheitsrisiko. Sie generiert Konflikte, die schwer lösbar sind. Dazu kommt das volkswirtschaftliche Problem: Die Zuwanderung von Menschen, die keinerlei berufliche Qualifikation haben, (z.B. analphabetische somalische Nomaden, wie ich sie aus Göttingen kenne), ist eine Dauerbelastung für jeden Sozialstaat. 

Tübingens Oberbürgermeister Palmer eckte mit flüchtlingspolitischen Aussagen an. Er fordert eine sachliche Diskussion über Ausländerkriminalität und warnt vor der Schere in den Köpfen durch mediale Drangsalierung.
von Ferdinand Knauß

Zum „national interest“ gehört daher eine Policy der Begrenzung von Zuwanderung und Asylgewährung aus Kapazitätsgründen. 2015 waren nach den Angaben des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) 58 Millionen Menschen auf der Flucht. 2016 stieg die Zahl sprunghaft auf 65 Millionen. Dieser steigende Trend wird weitergehen. Im Oktober 2016 hat Amnesty International einen Anklagebericht gegen „reiche Länder“ veröffentlicht, die nicht bereit sind, diese Flüchtlinge unbegrenzt aufzunehmen.

Diese Forderung ist der reine Wahnsinn. Jedes soziale System erfordert „self-maintanance“, also Selbstbehauptung, zur weiteren Existenz. Europa würde nach der Aufnahme von 65 Millionen Flüchtlingen aus Nahost und Afrika aufhören, als Kontinent mit eigener zivilisatorischer Identität zu existieren. Diese Tatsache muss man frei aussprechen dürfen, ohne als „Populist“ beschimpft zu werden. Im vorherrschenden Narrativ wird jedoch jede Grenzziehung, jede Identitätssuche mit dem Vorwurf des „Populismus“ verbunden. Wie David Engels schreibt: „Der Westen hat den Glauben an sich und seine Zukunft verloren, die Affirmation der eigenen Identität ist ihm fast vollständig abhandengekommen.“

Damit sind wir wieder bei den eingangs am Beispiel Roms erläuterten Ursachen des Niedergangs politischer Ordnungen. Es ist nicht die Völkerwanderung aus der Welt des Islam an sich, sondern der postmoderne kulturrelativistische Nihilismus, der Europa wesentlich bedroht. Dieser verleugnet jeden Wertebezug als Rahmen für Identität in Europa. Die kulturelle Moderne Europas beruht auf zweierlei: Laizität und säkulare Demokratie der Individuen, nicht der Kollektive.  Hier droht eine von Engels erkannte Gefahr, wenn „Religionsfreiheit … zur Bestätigung des (islamisch) religiösen Gesamtmodells und somit zur Selbstauflösung der Laizität selbst“ führt.

Integration kann nur in ein Gemeinwesen mit kultureller Identität erfolgen. Wenn Deutschland seine eigene Identität und ein vorhandenes Gemeinwesen verleugnet, dann wird es unfähig zur Integration. Die Frage stellt sich dann: Wohin gehören die regierungspropagandistisch als „die neuen Deutschen“ (Münkler) deklarierten Menschen, wenn das Land ihnen keinen „sense of belonging“ bieten kann? Im Jahre 2006 habe ich als A.D. White Professor an der Cornell University folgende Formel über die konkurrierenden Optionen geprägt: „Europeanization of Islam or the Islamization of Europe“ (enthalten in Religion in Expanding Europe, Cambridge University Press 2006).

Die Zuwanderung aus der Welt des Islam zieht Wertekonflikte nach sich, vor denen die Europäer die Augen nicht verschließen sollten. Angesichts der Herausforderung des Scharia-Kopftuch-Islam, den die zwei Millionen Zuwanderer als Identität mitbringen, steht Europa vor der Option, seine Bestimmung als eine säkulare, demokratische Zivilisation zu verteidigen oder unterzugehen wie das Römische Reich.

Was zu tun ist

Diese Wertekonflikte entstehen zwischen drei Ausrichtungen, die zurzeit in Europa existieren: 

1. Die Position der Vertreter der „Open Society“, die in Poppers Sinne argumentieren: „keine Toleranz den Intoleranten“ (Alexander Kissler).

2. Die Ideologie der postmodernen Kulturrelativisten, die ich in Poppers Sprache als „Feinde der offenen Gesellschaft“ einstufe (Linke und Grüne).

3. Hinzu kommen die islamischen und anderen Neoabsolutisten, die eine kompromisslose Weltanschauung nach Europa einführen, für die sie im Namen des Respekts für andere Kulturen Geltung beanspruchen (organisierte Islamverbände). 

In den USA wurde der Begriff „war of ideas“ für solche weltanschaulichen Konflikte geprägt. Einer der Exponenten dieser Diskussion ist der Amerikaner Eric Patterson (vgl. sein Buch Debating the War of Ideas, zu dessen Mitautoren ich gehöre). In diesem weltanschaulichen Krieg werden verfemende Keulen eingesetzt, u.a. diese: Vorwurf der Islamophobie, des Populismus, der Stigmatisierung, des „Profiling“ und nicht zuletzt der Pauschalisierung.

Die gegenwärtige Völkerwanderung aus der Welt des Islam nach Europa ist ein politisch-soziales Phänomen, kein unbeeinflussbares Naturereignis. Auf der Basis der vorgelegten Problemdiagnose möchte ich vorschlagen, wie dieses demografische Phänomen durch Europa empirisch beeinflusst, ja bewältigt werden könnte: 

1. Zuerst muss die linksgrüne mediale Herrschaft infrage gestellt werden, um die europäische politische Kultur der Redefreiheit, einer Debating Culture wiederherzustellen. Anstelle von battle slogans (Kampfbegriffe) und „innerer Zensur“ (Adorno) muss es möglich sein, „unbequeme Gedanken“ über die Völkerwanderung aus der Welt des Islam zu äußern, ohne dass dies „gereizt geahndet“ (Adorno) wird. Ohne rationales Wissen können keine Konflikte friedlich gelöst werden.

2. Europa muss sich von einem Zuwanderungs- zu einem Einwanderungsland entwickeln und eine Policy für diesen Wandel entfalten. Auch muss zwischen Einwanderung und humanitärer Politik unterschieden werden. Letztere ist eine Pflicht, aber hierfür gibt es Kapazitätsgrenzen. Die Probleme aller Welt können nicht auf deutschem Territorium gelöst werden.. Angesichts von 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht muss Europa sich das Recht nehmen, seine Grenzen zu kontrollieren und zu bestimmen, wer ins europäische Haus kommt.

3. Ohne ein Integrationskonzept, das politische, wirtschaftliche und kulturelle Voraussetzungen erfüllt, werden die Newcomer eigene Parallelgesellschaften bilden. Unterbringung und Sprachkurse bieten keine Integration.

4. Als westasiatischer Muslim aus Syrien erkenne ich die europäische Identität an. Von Max Horkheimer habe ich als Araber gelernt, Europa zu bewundern, zu seinen Ideen zu stehen, sie gegen Faschismus Hitlerischer, Stalinischer und anderer Varianz zu verteidigen. Ich habe Horkheimer mein Buch „Europa ohne Identität? Europäisierung oder Islamisierung“ gewidmet und füge zu den beiden Totalitarismen auch den islamischen Fundamentalismus hinzu.

5. Der schlimmste Feind Europas lebt im Inneren: Gesinnungsethik und die manichäische Zweiteilung der Welt in gut (nichteuropäisch, links) und böse (das „dunkle Deutschland“ von Bundespräsident Gauck). Ich habe Max Weber zitiert: Nach Ansicht des Gesinnungsethikers kann „aus Gutem nur Gutes und aus Bösem nur Böses“ kommen. Aber „oft ist das Gegenteil“ wahr. Weber fügt hinzu: „Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.“ Ein vernichtendes Urteil über die heutige politische Kultur Europas.

Das ist eine Policy-Forderung, kein Populismus, sondern Realpolitik, die auf Rationalität gründet.

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