Erdogan siegt im Machtkampf Türkischer Regierungschef Davutoglu gibt auf

Die AKP bekommt einen neuen Parteichef, die Türkei einen neuen Ministerpräsidenten: Ahmet Davutoglu gibt auf. Die EU hält sich zu den Auswirkungen des Rücktritt bedeckt.

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Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte seinen Rücktritt angekündigt. Quelle: AP

Im Machtkampf mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gibt der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu seine Ämter als Partei- und Regierungschef auf. Davutoglu kündigte am Donnerstag in Ankara einen Sonderparteitag der AKP am Sonntag in zweieinhalb Wochen an, bei dem er nicht mehr für den Vorsitz der islamisch-konservativen Partei kandidieren werde.

Das bedeutet auch, dass Davutoglu danach nicht mehr als Regierungschef weitermachen wird. Er werde seine Arbeit als Abgeordneter weiterführen, sagte er.

Davutoglu versuchte den Eindruck zu zerstreuen, sein Rücktritt sei auf einen Konflikt mit Erdogan zurückzuführen. „Ich werde die Loyalitätsbeziehung zu unserem Präsidenten bis zu meinem letzten Atemzug weiterführen“, sagte Davutoglu. „Seine Familienehre ist meine Familienehre. Seine Familie ist meine Familie.“ Davutoglu drückte auch Bedauern aus und sagte, dass sein vorzeitiges Amtsende nicht seine Wahl war, sondern das „Ergebnis einer sich ergebenden Notwendigkeit“.

Davutoglu war Erdogan als Partei- und Regierungschef nachgefolgt, als dieser im August 2014 zum Präsidenten gewählt wurde. Für die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel war Davutoglu in der Flüchtlingskrise der Verhandlungspartner auf der türkischen Seite. Davutoglu und Merkel gelten als Architekten des Flüchtlingspakts.

Türkische Medien hatten über wachsende Unzufriedenheit Erdogans mit Davutoglus zunehmend eigenmächtiger Partei- und Regierungspolitik berichtet. Auch aus der AKP waren entsprechende Stimmen zu hören. Am Mittwochabend war es zu einem Treffen Davutoglus mit Erdogan im Präsidentenpalast gekommen. Der AKP-Parteivorstand hatte Davutoglus Macht erst kürzlich beschnitten und dem Vorsitzenden das Recht genommen, Funktionäre auf Bezirks- und Provinzebene zu ernennen.

Erdogan-Anhänger verdächtigen Davutoglu, die Macht des Präsidenten untergraben zu wollen. Die beiden Spitzenpolitiker lagen nach Medienberichten unter anderem wegen einer von Erdogan angestrebten Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems im Clinch. Die Änderung würde Erdogan als Staatsoberhaupt mehr Macht verleihen.

Um ein Verfassungsreferendum über das Präsidialsystem abzuhalten, benötigt die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament. Dazu fehlen der Partei zurzeit 13 Sitze. Als mögliche Nachfolger Davutoglus werden nach einem Bericht der Zeitung „Cumhuriyet“ Verkehrsminister Binali Yildirim und Erdogans Schwiegersohn, Energieminister Berat Albayrak, gehandelt. Beide gelten Erdogan gegenüber als absolut loyal.

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu befürchtet nach einem Wechsel im Amt des Regierungschefs eine Ausweitung der Macht Erdogans. Davutoglus Rücktritt werde zu einer „Bekräftigung der Diktatur in der Türkei“ führen, sagte Kilicdaroglu der Deutschen Presse-Agentur in Ankara. „Erdogan möchte einen Ministerpräsidenten, der ihm zu hundert Prozent gehorcht.“

Der Chef der Mitte-Links-Partei CHP sagte weiter, Erdogan habe immer wieder Druck auf Davutoglu ausgeübt und nie gewollt, dass der Regierungschef „außerhalb des Willens des Staatspräsidenten agiert“. Eine Zustimmung seiner Partei zu dem von Erdogan und der AKP angestrebten Präsidialsystem schloss Kilicdaroglu kategorisch aus. „Wir akzeptieren kein Präsidialsystem, unter keinen Bedingungen.“ Erdogan sei für ihn schon jetzt „ein Diktator“.

Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hatte Davutoglu bereits am Dienstag angedeutet, dass er nicht um jeden Preis an seinem Amt festhalten werde. Er werde eher sein „Ego mit Füßen treten“, als dem Wohle der Partei zuwiderzuhandeln, sagte er demnach bei einer Rede in Ankara.

Wegen des Machtkampfes stürzte die Türkische Lira ab. Am Donnerstag fiel sie gegenüber dem Euro auf den niedrigsten Stand seit mehr als zwei Monaten.

Reaktionen in Europa

Die Folgen des Rücktritts des türkischen Ministerpräsidenten für die Verhandlungen mit der Europäischen Union sind der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini zufolge noch unklar. Es sei noch zu früh aus dem Schritt von Davutoglu Rückschlüsse zu ziehen, sagte sie am Donnerstag bei einem Besuch im Kosovo. "Wir werden das zunächst mit der Türkei besprechen und zusammen festlegen wie wir weiter vorgehen", sagte Mogherini.

Die ersten Reaktionen von verschiedenen anderen EU-Vertretern fielen unterschiedlich aus. Davutoglu galt bei vielen als flexibler und engagierter als Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Gesprächen über ein Abkommen mit der Türkei, von der sich die EU eine Verringerung der Flüchtlingszuwanderung verspricht. "Das ist Sache der Türkei", sagte einer der Vertreter. Zwar habe Davutoglu die Verhandlungen für die Türkei übernommen, Erdogan sei aber auch involviert gewesen, sagte ein anderer.

"Wir haben unseren Teil erfüllt", sagte ein Dritter. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch Visa-Freiheit für Türken unter Vorbehalt vorgeschlagen. Das war Teil der Zugeständnisse der EU im Rahmen des Abkommens mit der Türkei vom 18. März, in dem sich die Regierung in Ankara verpflichtete, illegal in Griechenland eingereiste Flüchtlinge zurückzunehmen. Seitdem ist die Zahl der ankommenden Migranten im EU-Staat Griechenland drastisch zurückgegangen.

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