EU-Gipfel Brüssel Brexit-Gespräche gehen in die Verlängerung

Die Verhandlungen über EU-Reformen für Großbritannien werden zur Hängepartie. Beim Gipfel in Brüssel verhandeln die EU-Chefs um Details, noch können sie sich nicht zu einem Kompromiss durchringen.

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EU-Gipfel in Brüssel Quelle: dpa

Wegen des Streits über Reformangebote an Großbritannien geht das Spitzentreffen der EU- Staats- und Regierungschefs in Brüssel in die Verlängerung. Die Suche nach Kompromissen gestaltete sich am Freitag in Brüssel schwierig. Der Zeitplan geriet in Verzug. Die Suche nach Gemeinsamkeiten in der Flüchtlingsfrage hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren europäischen Amtskollegen zuvor bereits eine lange Nacht beschert.

„Wir haben einige Fortschritte gemacht, aber es gibt noch keine Vereinbarung, sagte der britische Premier David Cameron am Morgen. „Ich werde mich nur auf eine Vereinbarung einlassen, wenn wir bekommen, was Großbritannien braucht.“

Beim Gipfel will sich Großbritanniens Premier David Cameron mit den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs auf ein Reformpaket verständigen, das die britischen Wähler überzeugen soll, für den Verbleib in der Europäischen Union zu votieren. Die Abstimmung könnte bereits für den Juni angesetzt werden.

Was die Briten an der EU stört
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Die unterschiedlichen Positionen bewegten sich auf einander zu, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Nach seinem Kenntnistand bewege sich auch die Regierung des Vereinigten Königreiches in einigen Bereichen. Beispiele nannte er allerdings nicht.

Der britische Sender BBC ging davon aus, dass die EU-Debatte am frühen Abend abgeschlossen sein wird und Cameron danach in London eine Kabinetts-Sondersitzung abhält. Dann könnte er auch das genaue Datum für das Referendum bekanntgeben.

In der Nacht ging es nach Angaben von Diplomaten vor allem um Details. Offen war zuletzt zum Beispiel, wie lange es Großbritannien erlaubt werden solle, eine geplante „Notbremse“ zu ziehen. Damit will die Regierung in London zugewanderten EU-Bürgern bestimmte Sozialleistungen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vorenthalten.

Nach Berichten der französischen Nachrichtenagentur AFP soll Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras die Brexit-Frage mit der Flüchtlingsthematik verknüpft haben. Er mache seine Zustimmung zu einem Brexit-Deal davon abhängig, ob sich die anderen europäischen Staaten dazu verpflichten, bis zum nächsten Gipfel im März ihre Grenzen für Flüchtlinge nicht zu schließen.

Der belgische Premier Charles Michel betonte, dass alle mit Großbritannien jetzt getroffenen Vereinbarungen hinfällig sein würden, falls die Wähler beim Referendum für einen Austritt aus der EU stimmen.

In der Flüchtlingskrise plant die EU Anfang März einen neuen Sondergipfel mit der Türkei. „Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative gibt zu einer guten, intelligenten und weisen Zusammenarbeit mit der Türkei“, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in der Nacht.

Für die innenpolitisch bedrängte Kanzlerin Merkel hat das Türkei-Spitzentreffen große Bedeutung, denn am 13. März stehen Landtagswahlen in Baden-Württemburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an. Die CDU-Chefin sieht die Türkei als einen entscheidenden Partner zum Bewältigen der Flüchtlingskrise.

Am Freitagmorgen sprach sie auch mit dem französischen Präsidenten François Hollande und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras über die Flüchtlingsfrage.

Merkel sah sich in der Nacht in ihren Bemühungen um eine Lösung der Krise bestätigt. Alle Staats- und Regierungschefs hätten den Ende November gefassten EU-Türkei-Aktionsplan nicht nur bekräftigt, sondern auch zur Priorität beim Umsetzen der gemeinsamen Ziele erklärt, sagte sie. Das seien der bessere Schutz der EU-Außengrenzen, die Bekämpfung der illegalen Migration und dadurch die Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

Ein am Rande des Gipfels geplantes Sondertreffen einiger Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu musste wegen des jüngsten Anschlages in Ankara abgesagt werden.

Für Ärger beim Gipfel sorgte ein österreichischer Alleingang. Laut Diplomaten wurde die Forderung laut, dass Wien bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte März eine angekündigte Flüchtlings-Obergrenze erst einmal nicht in die Tat umsetzt. Bundeskanzler Werner Faymann sagte allerdings nach den Beratungen, seine Regierung werde daran festhalten.

Wien hatte zuvor Tagesobergrenzen von 3200 Flüchtlingen festgelegt, die nach Deutschland weiterreisen wollen. Zudem ist für Österreich eine Höchstzahl von täglich 80 Asylanträgen an der Südgrenze geplant. Die EU-Kommission hält das Vorgehen für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta.

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