Das scheinen auch die Mitgliedsstaaten so zu sehen: Ihre Gegenvorschläge zum Budgetplan der EU-Kommission weichen nur minimal von dem Brüsseler Entwurf ab. Während die EU-Kommission einen Haushalt von 1,08 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung vorgelegt hatte, fordert Deutschland als Anführer der Nettozahler 1,00 Prozent und Großbritannien ein Einfrieren auf dem aktuellen Niveau – unabhängig vom Wirtschaftswachstum der Mitgliedstaaten.
Der Unterschied für Großbritannien ist bei allen drei Varianten denkbar gering, hat John Springford vom Centre for European Reform in London errechnet. Nach dem deutschen Vorschlag müssten die Briten im Jahr 500 Millionen Pfund mehr nach Brüssel überweisen als bisher, nach dem Kommissionsplan 690 Millionen Pfund zusätzlich. „Das sind 0,03 Prozent des Bruttoinlandsprodukt“, sagt Springford, „genauso viel wie England und Wales im Jahr für den Küstenschutz ausgeben.“
Wofür die EU Geld ausgeben will
Mit 490 Milliarden Euro ist die Förderung des nachhaltigen Wachstums der größte Posten in den Budgetvorschlägen der EU-Kommission für die Jahre 2014 bis 2020. Im Vergleich zur aktuellen Haushaltsperiode entspricht das einem Zuwachs von zwölf Prozent.
383 Milliarden Euro sollen für die "gemeinsame Agrarpolitik" locker gemacht werden, was eine Kürzung von sieben Prozent gegenüber der aktuellen Haushaltsperiode entspricht. Insbesondere eine produktivere und umweltschonendere Flächennutzung soll gefördert werden.
70 Milliarden Euro gehen an die Außenpolitik, 25 Prozent mehr als aktuell.
13 Prozent mehr Geld soll der Verwaltung zur Verfügung gestellt werden, insgesamt rund 63 Milliarden Euro.
Mit 19 Milliarden Euro stellt das Budget für das Bürgerrechte, die Freiheit, Sicherheit sowie Justiz den kleinsten Anteil dar. Im Vergleich zur aktuellen Haushaltsperiode soll sich das Budget damit allerdings mehr als verdoppeln: 58 Prozent mehr Geld soll dem Posten zugesprochen werden.
Nein, die Budgetverhandlungen sind nur vordergründig am Geld gescheitert, vielmehr dokumentieren sie ein großes Misstrauen der Einzelstaaten gegen den EU-Institutionen in Brüssel und den Wunsch nach Rückbesinnung auf die Nationalstaaten. Vielen Ländern, nicht nur Großbritannien, ist die Staatengemeinschaft keinen Penny wert. Jeder versucht, so viel wie möglich aus dem Gemeinschaftsbund herauszuziehen und eigene Interessen und Lobbygruppen zu bedienen. Deutschland muss die Autoindustrie bedienen, Frankreich seine Landwirte, Großbritannien die Finanzindustrie – und nebenbei die europa-feindliche Wählerschaft zwischen Dover und Manchester.
Schäubles Vorstöße sind realititätsferner denn je
Angesichts des Scheiterns des Sondergipfels wirken die Wünsche von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der von einer Vertiefung des Kontinents träumt, gar von den „Vereinigten Staaten von Europa“ („Wir müssen in wichtigen Politikbereichen mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern“), realitätsferner denn je. Europa braucht derzeit kein Mehr an Integration, das entspricht weder dem Wunsch der Bürger, noch dem der Mitgliedsländer. Die Europäische Union und auch die Eurozone müssen vielmehr endlich mal wieder beweisen, dass sie handlungsfähig sind. Nicht nur beim Budget-Streit, auch bei der Griechenland-Rettung ist das derzeit nicht der Fall.
Das liegt nicht nur an Nationalstaaten, sondern auch an der EU-Kommission, die weitgehend resistent gegen Kritik durch Brüssel schwebt und in den vergangenen Wochen und Monaten nicht einmal öffentlichkeitswirksam erklärte, ob die Institutionen wirklich eine Billion Euro für die kommenden sieben Jahre braucht. Muss die EU seine Landwirte subventionieren, Autobahn-Erneuerungen fördern und in Forschung zu investieren? Was sind Aufgaben des Nationalstaats, was sind sinnvolle Ergänzungen durch Brüssel? – Brüssel liefert dazu keine Antworten, Ökonomen schon.