EU-Gipfel und das Gezeter um Ceta So kann Europa nicht funktionieren

Die belgische Region Wallonie blockiert mit ihrem Nein zum Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) die gesamte Union. Kein Land der Welt wird künftig mit der EU Freihandelsabkommen abschließen wollen, wenn die Europäer feste Vereinbarungen nicht einhalten können.

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CETA Quelle: REUTERS

3,6 Millionen Wallonen sagen Nein und blockieren damit knapp 500 Millionen Europäer. Das ist der Stand am zweiten Gipfeltag in Brüssel an diesem Freitag. Noch führen Unterhändler Gespräche, damit der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette doch noch seine Zustimmung zur Vorläufigen Inkraftsetzung des Freihandelsabkommens zwischen EU und Kanada gibt. Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland ist sogar in die belgische Provinz nach Namur gereist, um mit dem Sozialisten zu sprechen. Aber im Moment ist nicht einmal klar, was er eigentlich fordert.

Sollte der belgische Landesteil Wallonie bei seinem Widerstand gegen Ceta bleiben, so hat das massive Konsequenzen für die EU. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte bereits zu Beginn des EU-Gipfels die Befürchtung geäußert, dass die EU keine Freihandelsabkommen mehr wird abschließen können, wenn Ceta scheitert. Kein Land der Welt wird künftig mit den Europäern über Handelsliberalisierung verhandeln wollen, wenn die Union nicht in der Lage ist, einen Konsens zu einem fertig verhandelten Vertrag zu erzielen. Gerade Deutschland als Exportnation würde darunter leiden, wenn sich die EU handelspolitisch so ins Abseits manövriert. Deutschland profitiert vom schwellenlosen Zugang zu Drittstaaten wie kein anderes EU-Land.

Das Gezeter um Ceta hat viele Schuldige. Nicht-Regierungsorganisationen wie Campact und Greenpeace wollen das Abkommen verhindern, um damit das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP), über das noch verhandelt wird, zu kippen. Nationale Politiker haben sich die Rhetorik der Zivilgesellschaft zu eigen gemacht, ohne den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Vor allem das Argument des angeblichen Demokratiedefizits haben nationale Politiker nur zu willig aufgegriffen. Ihnen reichte nicht aus, dass die EU-Mitgliedsstaaten im Rat und die Abgeordneten des Rats über Ceta abstimmen. Sie übten Druck auf EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker aus, das Abkommen zu einem “gemischten” Abkommen zu erklären, und so auch 42 nationale Parlamenten ein Mitspracherecht einzuräumen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte im Juni getönt, dies nicht zu tun sei “unverantwortlich”. SPD-Chef Gabriel warnte, eine ausschließliche Behandlung in Brüssel sei “unglaublich töricht”.

Die Freihandelsabkommen

Juncker hat sich dem Widerstand aus EU-Mitgliedsstaaten gebeugt – gegen den Rat der Handelsexperten im eigenen Haus. “Politiker müssen Druck aushalten können”, sagt dazu der Vorstandschefs eines Dax-Konzerns. Junckers Einknicken kommt nun die gesamte EU teuer zu stehen. Der europäischen Handelspolitik droht auf Jahre Stillstand. Pakte mit Wachstumsregionen werden andere schließen.

Selbst wenn die Wallonen noch einlenken sollten – spätestens bei der Ratifizierung von Ceta dürfte sich das Spektakel wiederholen. Denn bisher geht es nur um die vorübergehende Inkraftsetzung von Teilen des Abkommens. Bei der Ratifizierung des Gesamtpakets besteht erneut die Gefahr, dass ein nationales Parlament ganz Europa in Geiselhaft nimmt.

Am 27. Oktober soll der Pakt mit Kanada unterzeichnet werden. Doch noch fehlt das grüne Licht der EU-Staaten. Das liegt vor allem am Widerstand eines belgischen Landesteils.

Das Gezeter um Ceta ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Europa nicht funktionieren kann. Sobald einzelne Gruppen Partikularinteressen auf Kosten einer großen Mehrheit durchsetzen können, ist die Union zum Scheitern verurteilt. In diesem konkreten Fall trägt Juncker eine große Verantwortung, denn er hat die Blockade der Wallonie erst möglich gemacht. Aber das Prinzip, das einzelne oder einige wenige blockieren, ist nicht neu. In ihrer Geschichte ist die EU deshalb bei vielen Sachthemen von der Einstimmigkeit zum Mehrheitsprinzip übergegangen. Allerdings hat sie die Erfahrung gemacht, dass selbst das nicht hilft. Ungarn und die Slowakei klagen beim Europäischen Gerichtshof dagegen, dass sie bei der Verteilung von Flüchtlingen überstimmt worden sind.

Die EU kann nur funktionieren, wenn Politiker Verantwortung übernehmen und Partikularinteressen zugunsten des Gemeinwohl zurückstellen. Das ist sichtlich  viel verlangt - und wird in Zeiten wachsenden Populismus tendenziell schwieriger. In diesem Fall steht zu befürchten, dass Europa erst den Preis der Uneinigkeit zahlen muss, ehe Politiker Einsicht zeigen und ihr Verhalten ändern.

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