Ein Küsschen für Nicolas Sarkozy, eine freundschaftliche Umarmung für Lucas Papademos und ein Klaps auf die Schulter von Jean-Claude Juncker: Angela Merkel hat sich – trotz aller Probleme in der Eurozone – auf dem letzten EU-Gipfel Anfang März prächtig amüsiert. 25 der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union hatten soeben den Fiskalpakt unterzeichnet, jenen zwischenstaatlichen Vertrag, der strengere Haushaltsregeln für die Eurozone garantieren sollte.
Noch bevor der Fiskalpakt in den meisten Ländern ratifiziert worden ist, schwenkt Europa nun um – und verabschiedet sich vom Sparen. Beim EU-Sondergipfel am Mittwochabend haben sich die Staats- und Regierungschefs grundsätzlich darauf geeinigt, Geld locker zu machen und „das Wachstum durch den verbesserten Einsatz von EU-Instrumenten, Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen anzukurbeln“, so EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy.
Der Ton wird rauer
Italien, Spanien und die Niederlande hatten im Vorfeld des Gipfels zudem mehr Zeit zum Abbau ihrer Defizite verlangt und Angela Merkel die gute Laune verdorben. Die Länder, die teils dramatisch mehr neue Schulden machen als es der Vertrag von Maastricht erlaubt, sind nicht bereit, in nächster Zeit ihre Staatsdefizite unter die Drei-Prozent-Marke zu drücken. Zu hartes Sparen würde die ohnehin kriselnde Wirtschaft weiter belasten, hieß es unisono. „Das Treffen heute Abend diente dazu, sich zu konzentrieren und reine Luft zu schaffen“, so Van Rompuy.
Teuerung - Inflation wäre ein Irrweg
Die Liquiditätsschwemme, mit der die EZB das Bankensystem stabilisiert hat, schürt in Deutschland die Angst vor einer steigenden Inflation. Zwar gibt es kurz- und mittelfristig keine Anzeichen für einen starken Preisanstieg. Dennoch mahnen Deutschlands Wirtschaftsvertreter Politik und EZB zu Wachsamkeit.
„Mehr Inflation wäre ein Irrweg.“
„Noch nie in der Geschichte hat ein großer Preisauftrieb nicht am Ende doch Einkommen und Ersparnisse der Menschen deutlich entwertet.“
„Bei einer Erholung der Euro-Konjunktur könnte der Prozess schnell außer Kontrolle geraten.“
„Die Inflationserwartungen im Euro-Raum sind auch nach den außergewöhnlichen Maßnahmen der EZB stabil.“
„Die Sondermaßnahmen sind befristet. Die EZB kann jederzeit aussteigen, wenn Preissteigerung droht.“
„Die Unabhängigkeit der EZB und ihre Freiheit von Interessenkonflikten müssen gestärkt werden.“
Insbesondere Deutschland lehnt eine Abkehr vom Sparkurs ab und gibt sich weiterhin hart. Ohne stramme Disziplin sei kein nachhaltiges Wachstum möglich, wiederholt Merkel gebetsmühlenartig. Doch für die große Mehrheit der Europäer klingt die deutsche Liebe zum Gesundschrumpfen schlicht nach grässlicher Hungerkur. Die Folge: Der Protest wird lauter, der Ton rauer.
"Inakzeptabel, dass einige Staaten Zinsen nahe Null zahlen"
Europa müsse "sofort zu Gunsten des Wachstums handeln", sagte Frankreichs neuer Präsident François Hollande bei seiner Ankunft in Brüssel. Ohne Wachstum ließen sich "keine Ziele zur Defizitsenkung erreichen". Zudem müsse der künftige Euro-Rettungsschirm ESM genutzt werden, um Banken direkt zu rekapitalisieren - also ohne vorhergehende Hilfsanträge einzelner Länder. Es dürfe keine Denkverbote geben, auch über die Einführung von Eurobonds müsse diskutiert werden. Es sei inakzeptabel, dass einige EU-Länder für Staatsschulden mehr als sechs Prozent Zinsen zahlen müssten, während andere bei Sätzen nahe Null seien, so Hollande. Auch Krisenländern müsse man attraktive Finanzierungsmöglichkeiten und Schutz vor Spekulationen bieten. "Ich weise auf die Rechtslage hin. Die Verträge verbieten eine Übernahme gegenseitiger Haftung", konterte Merkel frostig. Wenig herzlich fiel dann auch die Begrüßung der beiden Regierungschefs aus.
Europa darf nicht vom Sparkurs abrücken, warnt auch Andreas Freytag, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und Autor mehrerer Studien zur Euro-Krisenpolitik im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online. "Der Wunsch Spaniens, Italiens und der Niederlande, die Defizitvorgaben nicht einhalten zu müssen, ist zwar kurzfristig verständlich. Die Maßnahme selber ist aber nicht vertrauensbildend und wird von den Märkten mit Sicherheit bestraft. Viele Anleger sind ohnehin schon misstrauisch und meiden die Euroländer. Ein Aufweichen der EU-Konvergenzkriterien verschärft dies noch."