EU-Verfahren gegen Warschau Polens Rechtsruck fordert Europa heraus

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Nationalismus schadet der polnischen Wirtschaft

Doch Aktivisten wie Miriam Shaded sind nicht allein. Fans des Fußballvereins Śląsk Wrocław breiteten gerade bei einem Heimspiel ein Transparent aus, auf dem ein Ritter mit seinem Schwert Flüchtlingsboote im Mittelmeer abwehrte. PiS-Parteichef Kaczińsky spielt mit diesen Ressentiments, er warnt vor Krankheiten, die Muslime nach Europa bringen.

Die neue Regierung gefährdet mit ihrer nationalen Engstirnigkeit aber auch die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte des Landes. Seitdem die PiS bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Mai einen ersten Überraschungserfolg erzielte und sich ihr Aufschwung in der Wählergunst abzeichnete, verlor der polnische Aktienindex Wig20 etwa 30 Prozent. Und das bei weltweit boomenden Aktienmärkten.

In der polnischen Energiepolitik – seit Langem umstritten – droht ein weiterer Rückschritt. Viele PiS-Wähler sind so stolz auf den Kohlebergbau in ihrem Land, wie es Kumpel an der Ruhr vielleicht vor 50 Jahren waren. Dabei ist der traditionsreiche oberschlesische Steinkohlebergbau heutzutage auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähiger als die letzten Zechen in Deutschland. Der kleine Vorteil durch niedrigere Löhne als in Deutschland (aber viel höhere als in Kolumbien oder China) wird aufgewogen durch den schlechten Zustand der Bergwerke.

Das mache nichts, solange die Polen ihre Kohle selber verfeuerten, meint die PiS. Parteichef Kaczyński hat nicht zufällig die bislang wenig profilierte Szydło zur Ministerpräsidentin von seinen Gnaden gemacht: Im Wahlkampf forderte sie die weitere Subventionierung des polnischen Bergbaus. Szydło ist Bergmannstochter – unter ihrer Führung ist sogar die Zwangsfusion der Energieversorger zu staatlich gesteuerten Monopolbetrieben denkbar, mit Bestandsgarantie für Kohlezechen und Ausschluss ausländischer Wettbewerber.

Die Energiepolitik fällt um Jahrzehnte zurück

Windräder will die Regierung Szydło im Umkreis von drei Kilometern um menschliche Ansiedlungen verbieten. PiS-Politiker sehen Windkraft als Machenschaft vorzugsweise deutscher Spekulanten, die polnische Kumpel um ihr Einkommen bringen wollen. Außenminister Witold Waszczykowski wetterte in der „Bild“ gerade gegen eine „Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen“. Mit traditionellen polnischen Werten sei dies nicht vereinbar, so der Minister.

Die rückwärtsgewandte Energiepolitik der neuen Regierung erschwert natürlich auch eine gemeinsame EU-Klimapolitik. Szydłos Regierung hat beschlossen, gegen die sogenannte Marktstabilitätsreserve für Kohlendioxidemissionen zu klagen, die den CO2-Ausstoß bremsen soll. Kohlendioxidemissionen müssen nach Ansicht der polnischen Regierung billig bleiben – und westeuropäische Umweltpolitik gilt ihr als Mittel, die polnische Volkswirtschaft von Deutschland abhängig zu machen.

Selbst die Forderung nach einer „Repolonisierung“ der polnischen Wirtschaft, also der Verdrängung ausländischer Investoren aus der eigenen Volkswirtschaft, findet in Teilen der PiS Fürsprecher – zumeist Besitzer kleiner Unternehmen, die unter kapitalkräftiger ausländischer Konkurrenz leiden.

Diese ökonomischen Argumente lassen sich widerlegen, und verfassungsrechtlich sind derlei Enteignungen in Polen eigentlich unmöglich. Was Recht ist, muss aber nicht Recht bleiben. Vor allem nicht, wenn – wie PiS anstrebt – Verfassungsrichter entmachtet und Regierungskritiker mundtot gemacht werden.

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