EuGH soll über EZB-Kurs entscheiden DIW-Präsident Fratzscher kritisiert Verfassungsgericht

Der Europäische Gerichtshof muss über den umstrittenen Kurs der EZB im Umgang mit der Schuldenkrise entscheiden. Es geht darum, ob die Ankündigung eines unbegrenzten Kaufs von Anleihen rechtmäßig war. Vom DIW gibt es Kritik für die Entscheidung.

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Die zehn größten Euro-Lügen 2013
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Das umstrittene Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) verstößt nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise gegen EU-Recht. Die Karlsruher Richter legen den sogenannten OMT-Beschluss der EZB vom Sommer 2012 deswegen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Prüfung vor. „Der OMT-Beschluss dürfte nicht vom Mandat der Europäischen Zentralbank gedeckt sein“, schreiben die Karlsruher Richter. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, dass die Karlsruher Richter dem EuGH eine Rechtsfrage zur Prüfung vorlegen.

Ökonom Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Quelle: dpa

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisiert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dass das oberste deutsche Gericht den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegt, habe Fratzscher nicht überrascht, schließlich gehe es hier um europäisches Recht. Erstaunt war der Ökonom aber, dass sich das Gericht dennoch zu einer Bewertung hinreißen ließ, die vor allem eine ökonomische Interpretation beinhaltet, wie Geldpolitik definiert sein sollte.

Fratzscher bemängelt vor allem die Aussagen des Verfassungsgerichts, die Notenbank betreibe mit dem OMT Programm Wirtschaftspolitik, die für Umverteilungen in der Euro-Zone sorgt. „Jede Maßnahme der EZB zieht Umverteilungseffekte nach sich. Das gilt etwa auch für die Kreditvergabe. Schließlich leihen sich vor allem südeuropäische Banken auf diesem Weg Geld“, so Fratzscher, der fragt: „Ist das nun auch nicht mehr legal?“. Er fürchtet, dass zahlreiche neue Klagen auf das Gericht zukommen. „Jedes Individuum kann nun auf Basis der Ausführungen des Gerichts einzelne EZB-Maßnahmen anfechten.“

Fratzscher hofft, dass das EuGH den deutschen Richtern nicht folgt. „Ich halte die Chancen für gut, dass die EZB in Luxemburg gestärkt wird“, so der DIW-Präsident. Ansonsten drohe der Euro-Zone eine harte Probe. „Wenn die EZB in ihrer Geldpolitik beschränkt wird, dann werden die Märkte die Zentralbank testen. Deren große Stärke war es, mit allen geldpolitischen Mitteln, den Euro zu verteidigen. Fällt diese Möglichkeit weg, könnte es früher oder später gefährlich werden.“

Im Sommer 2012 hatte EZB-Präsident Mario Draghi angekündigt, man wolle klammen Ländern kräftig unter die Arme greifen, wenn sich diese am Kapitalmarkt nur noch zu sehr hohen Zinsen finanzieren können. Dazu hat die EZB das Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) an den Start gebracht. Es sieht vor, dass die EZB notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern aufkauft. Das Programm ist bislang nirgends umgesetzt worden.

Die EZB hatte bereits von Mai 2010 bis Anfang 2012 für mehr als 220 Milliarden Euro Anleihen der Krisenstaaten Griechenland, Portugal, Irland, Spanien sowie auch Italien gekauft. Dieses SMP-Programm ist inzwischen längst eingestellt. Allerdings schlummern immer noch Anleihen dieser Länder in der Bilanz der EZB.

Hans-Werner Sinn: Eurokritiker erhalten Aufwind

Ohnehin kann die EZB nicht aus eigener Initiative tätig werden. Sie müsste auf einen entsprechenden Hilfsantrag eines Landes warten, das dann zudem im Rahmen eines Hilfsprogramms unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen und dafür strenge Spar- und Reformauflagen erfüllen muss.

Allein die Zusage, via OMT den Euro notfalls mit unbegrenzten Mitteln zu stützen, hatte seit Sommer 2012 für die entscheidende Stabilisierung der Finanzmärkte gesorgt. So konnte das einstige Krisenland Irland mittlerweile den Rettungsschirm verlassen. Für andere Länder wie Spanien haben sich die zuvor extrem hohen Anleihezinsen deutlich normalisiert.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter „sprechen gewichtige Gründe dafür, dass er (der OMT-Beschluss) über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgeht und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten übergreift sowie gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt“. Die EZB sei nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt. „Geht man - vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union - davon aus, dass der OMT-Beschluss als eigenständige und wirtschaftspolitische Maßnahme zu qualifizieren ist, so verstößt er offensichtlich gegen diese Kompetenzverteilung.“

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, sagte zu der Entscheidung: "Das Gericht hat keine Maßnahmen ergriffen, die die Bundesbank oder andere deutsche Instanzen bereits heute binden. Das wird die Kapitalmärkte aufatmen lassen." Das Urteil werde trotzdem "nicht ohne Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB bleiben", so Sinn. "Zum einen wird es die EZB nicht wagen, das OMT zu aktivieren, bevor der EuGH entschieden hat, weil es ohne eine konkrete Anwendung noch die Fiktion aufrecht erhalten kann, es sei noch gar keine Maßnahme ergriffen worden - was ein rechtlich relevanter Tatbestand sein könnte. Zum anderen wird das Urteil seine Auswirkungen auf die öffentliche Debatte nicht verfehlen, weil es die Position der Eurokritiker und die allgemeine Skepsis der Deutschen gegenüber der EZB-Politik verstärken wird", erklärt Sinn. Er befürchtet, dass die AfD und die eurokritischen Flügel der Unionsparteien so Aufwind erhalten. "Das wiederum wird die Bundesregierung zu einer Neubestimmung ihrer Position in der Eurokrise zwingen. Die Politik der augenzwinkernden Zustimmung zur Politik der EZB, mit der Kanzlerin Merkel der Bundesbank in den Rücken gefallen ist, dürfte damit an ihre Grenzen gekommen sein", schließt Sinn.

Die EZB nahm die Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht betont gelassen zur Kenntnis: „Die EZB unterstreicht erneut, dass das OMT-Programm im Rahmen ihres Mandats ist“, teilte die Notenbank am Freitag in Frankfurt mit. Die Deutsche Bundesbank erklärte dagegen auf Anfrage, sich zu gerichtlichen Entscheidungen nicht äußern zu wollen. Ihr Präsident Jens Weidmann war bei den Verhandlungen in Karlsruhe einer der Kritiker des Programms gewesen.

Die Bundesregierung setzt darauf, dass der Europäische Gerichtshof rasch Klarheit über die Euro-Krisenpolitik schafft. Nun sei es unter anderem möglich, dass offene Fragen beim Euro-Rettungsschirm ESM zügig beantwortet würden, erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Freitag in Berlin. Die Regierung warte zudem ab, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) das EU-Recht auslege. Der Bund hatte bereits im mündlichen Verfahren in Karlsruhe auf die Zuständigkeit des EuGH verwiesen.

Offen ist, wie lange die Luxemburger Richter für ein Urteil brauchen werden. Das Finanzministerium wies grundsätzlich daraufhin, dass die EuGH-Richter Verfahren beschleunigen können. So gaben sie zum Beispiel in einem Fall nach knapp vier Monaten ihr Urteil bekannt. Bei komplexen Verfahren dauere es aber in aller Regel deutlich länger, so der Sprecher. (mit Material von dpa)

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