EuGH soll über EZB-Kurs entscheiden DIW-Präsident Fratzscher kritisiert Verfassungsgericht

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Hans-Werner Sinn: Eurokritiker erhalten Aufwind

Ohnehin kann die EZB nicht aus eigener Initiative tätig werden. Sie müsste auf einen entsprechenden Hilfsantrag eines Landes warten, das dann zudem im Rahmen eines Hilfsprogramms unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfen und dafür strenge Spar- und Reformauflagen erfüllen muss.

Allein die Zusage, via OMT den Euro notfalls mit unbegrenzten Mitteln zu stützen, hatte seit Sommer 2012 für die entscheidende Stabilisierung der Finanzmärkte gesorgt. So konnte das einstige Krisenland Irland mittlerweile den Rettungsschirm verlassen. Für andere Länder wie Spanien haben sich die zuvor extrem hohen Anleihezinsen deutlich normalisiert.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter „sprechen gewichtige Gründe dafür, dass er (der OMT-Beschluss) über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgeht und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten übergreift sowie gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt“. Die EZB sei nicht zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt. „Geht man - vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union - davon aus, dass der OMT-Beschluss als eigenständige und wirtschaftspolitische Maßnahme zu qualifizieren ist, so verstößt er offensichtlich gegen diese Kompetenzverteilung.“

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, sagte zu der Entscheidung: "Das Gericht hat keine Maßnahmen ergriffen, die die Bundesbank oder andere deutsche Instanzen bereits heute binden. Das wird die Kapitalmärkte aufatmen lassen." Das Urteil werde trotzdem "nicht ohne Auswirkungen auf die Geldpolitik der EZB bleiben", so Sinn. "Zum einen wird es die EZB nicht wagen, das OMT zu aktivieren, bevor der EuGH entschieden hat, weil es ohne eine konkrete Anwendung noch die Fiktion aufrecht erhalten kann, es sei noch gar keine Maßnahme ergriffen worden - was ein rechtlich relevanter Tatbestand sein könnte. Zum anderen wird das Urteil seine Auswirkungen auf die öffentliche Debatte nicht verfehlen, weil es die Position der Eurokritiker und die allgemeine Skepsis der Deutschen gegenüber der EZB-Politik verstärken wird", erklärt Sinn. Er befürchtet, dass die AfD und die eurokritischen Flügel der Unionsparteien so Aufwind erhalten. "Das wiederum wird die Bundesregierung zu einer Neubestimmung ihrer Position in der Eurokrise zwingen. Die Politik der augenzwinkernden Zustimmung zur Politik der EZB, mit der Kanzlerin Merkel der Bundesbank in den Rücken gefallen ist, dürfte damit an ihre Grenzen gekommen sein", schließt Sinn.

Die EZB nahm die Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht betont gelassen zur Kenntnis: „Die EZB unterstreicht erneut, dass das OMT-Programm im Rahmen ihres Mandats ist“, teilte die Notenbank am Freitag in Frankfurt mit. Die Deutsche Bundesbank erklärte dagegen auf Anfrage, sich zu gerichtlichen Entscheidungen nicht äußern zu wollen. Ihr Präsident Jens Weidmann war bei den Verhandlungen in Karlsruhe einer der Kritiker des Programms gewesen.

Die Bundesregierung setzt darauf, dass der Europäische Gerichtshof rasch Klarheit über die Euro-Krisenpolitik schafft. Nun sei es unter anderem möglich, dass offene Fragen beim Euro-Rettungsschirm ESM zügig beantwortet würden, erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Freitag in Berlin. Die Regierung warte zudem ab, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) das EU-Recht auslege. Der Bund hatte bereits im mündlichen Verfahren in Karlsruhe auf die Zuständigkeit des EuGH verwiesen.

Offen ist, wie lange die Luxemburger Richter für ein Urteil brauchen werden. Das Finanzministerium wies grundsätzlich daraufhin, dass die EuGH-Richter Verfahren beschleunigen können. So gaben sie zum Beispiel in einem Fall nach knapp vier Monaten ihr Urteil bekannt. Bei komplexen Verfahren dauere es aber in aller Regel deutlich länger, so der Sprecher. (mit Material von dpa)

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