Dass die Banken in Griechenland auf Notkredite ihrer eigenen Zentralbank zurückgreifen müssen, statt sich wie die Banken in anderen Ländern über reguläre Geldleihgeschäfte mit Zentralbankgeld zu versorgen, haben sie ihrer eigenen Regierung zu verdanken. Kaum im Amt, erklärte Tsipras das vereinbarte Reformprogramm für beendet. Die Währungshüter der EZB beschlossen daraufhin, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten für reguläre Geldleihgeschäfte mit den Banken zu akzeptieren.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Das betrifft Papiere im Wert von rund zwölf Milliarden Euro. Erschwerend kommt hinzu, dass die EZB ab März auch keine von der Regierung garantierten Bankanleihen mehr als Sicherheit für reguläre Geldleihgeschäfte zulässt. Im Gegenzug erlaubte sie aber der griechischen Notenbank, die Geldhäuser des Landes durch Notkredite mit Zentralbankgeld zu versorgen.
Dabei sind die Notkredite eigentlich ein Fremdkörper in der gemeinsamen Geldpolitik. „Ökonomisch betrachtet handelt es sich um ein Allmende-Problem – die übermäßige Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen“, sagt Frank Westermann, Professor an der Universität in Osnabrück. Will heißen: Jede Notenbank kann so Zentralbankgeld aus dem Nichts schöpfen.
Tatsächlich dürfen die nationalen Zentralbanken bis zu einem bestimmten Umfang in Eigenregie ELA-Kredite vergeben – vorausgesetzt, die Banken leiden nur unter vorübergehenden Liquiditätsengpässen, sind aber im Grunde genommen solvent. Dabei geben sie sich meist mit Sicherheiten zufrieden, die die EZB wegen mangelnder Qualität bei normalen Geldleihgeschäften nicht akzeptiert. Dafür müssen die Institute dann aber einen höheren Zins zahlen. In Bankenkreisen heißt es, die griechischen Institute müssten derzeit 1,55 Prozent Zinsen für ELA-Kredite berappen, 1,5 Prozentpunkte mehr als für reguläre Geldleihgeschäfte bei der EZB. Die Risiken aus den Geldleihgeschäften liegen offiziell bei den nationalen Zentralbanken.
Da ELA-Kredite kein Element der einheitlichen Geldpolitik sind, bleibt die EZB bei der Entscheidung über ELA zunächst außen vor. Beläuft sich der Notkredit für eine Bank oder eine Bankengruppe auf weniger als 500 Millionen Euro, informiert die nationale Zentralbank die EZB lediglich im Nachhinein über den Kredit. Übersteigt der Kredit die Schwelle von 500 Millionen Euro, muss die nationale Zentralbank die EZB im Vorfeld informieren. Überschreitet der Kredit die Marke von zwei Milliarden Euro, prüft die EZB, ob das Leihgeschäft mit den Aufgaben des Euro-Systems vereinbar ist. Auf Antrag der nationalen Zentralbank kann die EZB in diesem Fall eine Obergrenze für ELA festlegen. Diese liegt im Falle Griechenlands derzeit bei 68,3 Milliarden Euro. Im Gegenzug verzichtet sie darauf, den einzelnen ELA-Krediten zu widersprechen, solange diese sich im vereinbarten Rahmen bewegen. So erhalten die nationalen Zentralbanken eine Art Freibrief, Notkredite ohne Einzelfallprüfung durch die EZB an die Banken zu vergeben.
Stoppen kann die EZB die Kredite nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder im Zentralbankrat. Derzeit sind von den insgesamt 25 Mitgliedern des Rats nur 21 stimmberechtigt. Für einen Stopp der ELA-Kredite wären daher 14 Stimmen nötig. Zwar waren in der Sitzung am vergangenen Mittwoch die Notenbanker Griechenlands, Zyperns und Irlands, die bisher von ELA-Krediten profitierten, wegen der Rotation nicht stimmberechtigt.