von Malte Fischer, Yvonne Esterházy, Gerd Köhler, Ulrike Sauer, Anne Grüttner und Silke Wettach
Es hätte die perfekte Munition für den Endspurt im Europawahlkampf sein können. Mit Spannung blickten Europas Politiker in der vergangenen Woche nach Luxemburg, wo das Statistische Amt der EU die neuesten Wachstumszahlen für die Euro-Länder bekannt gab. Doch aus dem erhofften Rückenwind wurde nichts. Stattdessen gab es von der Konjunkturseite nur ein laues Lüftchen für die Wahlkämpfer. Um mickrige 0,2 Prozent legte die Wirtschaft in der Währungsunion im ersten Quartal zu, halb so stark wie erhofft. Während Deutschland (plus 0,8 Prozent) und Spanien (plus 0,4 Prozent) glänzten, stagnierte die Wirtschaftsleistung in Frankreich. In Italien (minus 0,1 Prozent), den Niederlanden (minus 1,4 Prozent), Portugal (minus 0,7 Prozent) und Finnland (minus 0,4 Prozent) schrumpfte sie sogar.
Viele Analysten lassen sich von den enttäuschenden Wachstumswerten allerdings nicht die gute Laune verderben. „Die früheren Krisenländer Griechenland, Irland, Spanien und Portugal ernten jetzt die Früchte ihrer tief greifenden Reformen“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Die Mehrheit der Analysten scheint das ähnlich zu sehen. Sie gehen davon aus, dass sich die Wirtschaft der Euro-Zone erholt und im Gesamtjahr um mehr als ein Prozent wächst. Immerhin ist es Spanien, Portugal, Irland und Griechenland gelungen, die Lohnstückkosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Exporte laufen wieder rund, die Leistungsbilanzen sind in den schwarzen Zahlen. Die Löcher im Staatshaushalt schrumpfen. In Spanien, Irland und Portugal sinkt die Arbeitslosigkeit. Die Ratingagenturen erteilen den Peripheriestaaten bessere Noten, an den Kapitalmärkten sinken ihre Finanzierungskosten auf neue Tiefstände.
Doch es wäre verfehlt, deshalb schon das Ende der Krise auszurufen. Die Wachstumsraten mögen sich berappeln, doch das geschieht auf ausgesprochen niedrigem Niveau. So liegt die Wirtschaftsleistung Italiens und Irlands um zehn Prozent unter dem Stand von 2008. In Griechenland beträgt die Lücke sogar 20 Prozent. Die Euro-Krise hat den Wohlstand Italiens und Portugals auf den Stand des Jahres 2000 zurückkatapultiert. Es dürfte Jahre dauern, bis sie das verlorene Terrain zurückgewonnen haben.
Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. In Spanien und Griechenland, wo mehr als jeder Vierte arbeitslos ist, könnte es Jahrzehnte dauern, bis die Arbeitslosigkeit wieder auf das Vorkrisenniveau sinkt. Dass sich die Kurse der Staatsanleihen der Peripherieländer trotz der realwirtschaftlichen Malaise auf Höhenflug befinden und die Renditen in den Keller rauschen, ist Folge der Niedrigzinspolitik der EZB. Diese hat zu einer regelrechten Jagd auf Rendite geführt. Die sich abzeichnende erneute Lockerung der Geldpolitik dürfte diese Entwicklung weiter forcieren. Dazu kommt, dass die EZB mit ihrem Versprechen, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, den Anlegern eine kostenlose Versicherung gegen Kursverluste gegeben hat. Kein Wunder, dass das Geld aus allen Teilen der Welt in die vergleichsweise attraktiv verzinsten Peripherieanleihen strömt.
Doch die Zinsdrückerei wird früher oder später üble Folgen haben. Die Billigkredite schmälern den Druck zu Reformen. „Es besteht die Gefahr, dass der Reformprozess zum Stillstand kommt. Italien und Frankreich sind erste Beispiele dafür“, warnt Raoul Ruparel, Analyst beim britischen Thinktank Open Europe. Zudem lassen die Minizinsen Investitionsprojekte rentabel erscheinen, die es bei genauer Betrachtung gar nicht sind. Es droht ein neuer, mit Fehlinvestitionen gespickter Boom. Platzt die Blase, stürzt die Euro-Zone in die nächste Krise. Die könnte dann noch heftiger ausfallen als das jüngste Debakel. Die Regierungen haben sich in den vergangenen Jahren bis über beide Ohren verschuldet. Ihnen fehlt daher der Spielraum, eine erneute Krise abzufedern.
Wie es um die Euro-Länder im Einzelnen steht und wo Gefahren lauern, lesen Sie auf den folgenden Seiten.
Griechenland: Die notwendigen Strukturreformen kommen nicht voran
„Wir haben es geschafft“, glaubt Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras. Die Gefahr eines Staatsbankrotts sei gebannt, der Verbleib des Landes in der Euro-Zone gesichert und die Talsohle der sechsjährigen Rezession durchschritten. Niemand rede mehr von einem „Grexit“, so Samaras, das Motto sei vielmehr „Grecovery“, die Rückkehr Griechenlands zum Wachstum – das allerdings mit prognostizierten 0,6 Prozent in diesem Jahr noch anämisch ausfallen dürfte.
Dafür kann Athen bei der Haushaltskonsolidierung beachtliche Erfolge vorweisen. Ein Jahr früher als erwartet erwirtschaftete das Land 2013 im Primärhaushalt (ohne Schuldendienst und Ausgaben für die Bankenrekapitalisierung) einen Überschuss von 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In diesem Jahr soll er auf 2,3 Prozent steigen und bis 2018 sogar 5,3 Prozent erreichen.
Auch beim regulären Haushaltssaldo steht das Land nicht schlecht da: Abzüglich der Kosten für die Bankenrekapitalisierung ergab sich 2013 ein Defizit in Höhe von 3,2 Prozent. In diesem Jahr rechnet die EU-Kommission mit einem Rückgang des Fehlbetrags auf 2,9 und 2015 auf 2,1 Prozent. Erstmals seit 1948 konnte Griechenland im vergangenen Jahr sogar einen Überschuss in der Leistungsbilanz ausweisen. Die Finanzlage des Krisenlandes zeige eine „stetige Verbesserung“, lobt die EU-Kommission in ihrem jüngsten Bericht.
Ungelöst bleibt aber das Problem der Gesamtschulden. Griechenlands Verbindlichkeiten belaufen sich auf rund 175 Prozent vom BIP – das ist die höchste Quote aller EU-Staaten. Und anders als zunächst angenommen dürfte die Schuldenquote 2014 nicht sinken, sondern auf 177,2 Prozent steigen, so die Brüsseler Prognose. Im Herbst will Athen daher mit der EU über niedrigere Zinsen und längere Laufzeiten für die Hilfskredite verhandeln. Das soll dem Land helfen, die Schuldenquote bis 2022 „deutlich unter 110 Prozent“ zu drücken.
Ob das gelingt, hängt nicht zuletzt von der Konjunktur ab. Bei den Strukturreformen, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln sollen, ist Athen allerdings weiter im Rückstand. Die Deregulierung stößt bei Gewerkschaften und Verbänden auf erbitterte Widerstände. Auch die Privatisierungserlöse, die beim Schuldenabbau helfen könnten, fließen bisher nur spärlich.
Irland: Die Regierung kann sich wieder am Kapitalmarkt finanzieren
Seit Irland im Dezember den Euro-Rettungsschirm verlassen hat, ist der Wohlstand der Bevölkerung ein wichtiges innenpolitisches Thema. Vielen Iren geht es angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von 11,7 Prozent schlecht. 2013 war die Wirtschaft überraschend um 0,3 Prozent geschrumpft, auch weil der Output der Pharmabranche nach dem Auslaufen wichtiger Patente sank.
Für 2014 prognostiziert die EU-Kommission ein ordentliches Wachstum von 1,7 Prozent, das sich 2015 auf 3,0 Prozent beschleunigen dürfte. Irlands Zentralbank rechnet für 2014 sogar mit einem Plus von 2,1 Prozent. Sowohl Konsum als auch Exporte sollen in Schwung kommen, und die Arbeitslosenquote soll nächstes Jahr auf 10,2 Prozent fallen. Laut OECD dürfte das Haushaltsdefizit 2015 auf 3,1 Prozent (2013: 7,2 Prozent) vom BIP sinken und damit erstmals seit Langem wieder in die Reichweite der angestrebten Drei-Prozent-Grenze rücken. Ein großes Problem bleibt wie in Griechenland die Schuldenquote: Mit rund 121 Prozent vom BIP ist sie immer noch erdrückend hoch.
Risiken lauern zudem bei den Banken, die auf einem Berg fauler Immobilienkredite sitzen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) mahnt daher, „gegen die hohe öffentliche Verschuldung und die faulen Kredite in den Büchern der irischen Banken vorzugehen“. Sorge macht dem IWF zudem, dass 61 Prozent der Arbeitslosen seit über einem Jahr ohne Job sind. Die Finanzmärkte allerdings bringen der Grünen Insel Vertrauen entgegen: Irland hat kürzlich zehnjährige Anleihen über 750 Millionen Euro begeben, deren Rendite bei nur 2,73 Prozent lag.
Italien: Das Land leidet an chronischer Wachstumsschwäche
Seit Italien vor drei Jahren in den Sog des Krisenstrudels geraten ist, wechselten sich in Rom vier Regierungen ab. Silvio Berlusconi, Mario Monti, Enrico Letta – und nun Matteo Renzi. Trotz der unterschiedlichen Politikansätze hielten sie an einem Grundsatz fest: Italien muss sich allein aus seiner Notlage befreien – ohne Euro-Rettungsschirm. Die Regierung brachte sogar 43 Milliarden Euro für die Rettung der anderen Krisenländer auf. Das Haushaltsdefizit konnte Italien auf die Marke von drei Prozent vom BIP drücken. Neben Deutschland ist es somit das einzige große Euro-Land, das die Defizitvorgabe des Maastrichter Vertrages erfüllt. Bei nahezu allen anderen ökonomischen Indikatoren sieht es jedoch trübe aus für Bella Italia. Die Wirtschaft wächst kaum, die Schuldenquote beträgt 135 Prozent vom BIP, und in den vergangenen fünf Jahren sind 1,6 Millionen Stellen verloren gegangen. Die Produktivität ist schwach, die Unternehmen verlieren wegen der ungebremst steigenden Lohnstückkosten weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Nun droht das Land in puncto Wachstum sogar hinter Spanien, Portugal und Irland zurückzufallen.
Um die Wirtschaft zu beleben, benötigt Italien Reformen: am Arbeitsmarkt, bei der Bürokratie, im Steuersystem, bei der Justiz. Die Hoffnungen ruhen auf Renzi, dem neuen Regierungschef in Rom. Er hat versprochen, das Land aus der Reform-Lethargie zu befreien. „Die Finanzmärkte setzen auf den Erfolg Renzis“, sagt US-Investor George Soros. Doch ob Renzi liefern wird, steht in den Sternen. Seine Vorgänger sind mit ihren Reformplänen fast immer an der übermächtigen Bürokratie gescheitert. Wie viel politischen Spielraum Renzi, der ohne Wählermandat an die Macht kam, besitzt, um Italien auf Reformkurs zu bringen, könnte sich bei der Europawahl entscheiden. Bleibt ein klarer Sieg seiner Mittelinks-Partei PD aus, wird er sich kaum gegen die Reformwiderstände im eigenen Land durchsetzen können.
Portugal: De Finanzmärkte honorieren die Reformbereitschaft
Am vergangenen Samstag lief das dreijährige EU-Hilfsprogramm für Portugal aus, im Rahmen dessen das Land mit Reformauflagen verbundene Kredite von 78 Milliarden Euro erhielt. Die konservative Regierungskoalition in Lissabon hat seit 2011 weitreichende Reformen auf dem Arbeits- und Gütermarkt sowie ein umfangreiches Privatisierungsprogramm umgesetzt. Erfolgreich waren die Portugiesen auch bei der Haushaltssanierung. Die Neuverschuldung sank Ende 2013 auf 4,9 Prozent und damit deutlich unter das von der Troika gesetzte Ziel von 5,5 Prozent des BIPs. Das sollte es Portugal relativ leicht machen, das diesjährige Ziel von vier Prozent zu erreichen, zumal die Regierung ein Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent erwartet.
Dank verbesserter Wettbewerbsfähigkeit legten die Exporte 2013 um mehr als sechs Prozent zu, schneller als in allen anderen Euro-Ländern. Der Anteil der Ausfuhren am BIP stieg im Zuge der Krise von 29 auf 41 Prozent. Portugal erreichte erstmals seit 1993 einen leichten Überschuss von 0,5 Prozent in der Leistungsbilanz, der in diesem Jahr etwa ein Prozent erreichen dürfte.
Die Märkte honorieren die Fortschritte. Die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen befinden sich auf Talfahrt und lagen zuletzt bei nur noch bei rund 3,5 Prozent. „Zwar ist die Schuldenquote mit 129 Prozent vom BIP extrem hoch. Aber die Kombination eines Wirtschaftswachstums um die zwei Prozent mit einem strukturellen Primärüberschuss von 1,5 bis 2,0 Prozent ist ausreichend, um die Schuldenquote zu stabilisieren“, meint Christian Schulz von der Berenberg Bank.
Risiken birgt indes die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts, das in der Vergangenheit mehrfach Sparmaßnahmen der Regierung blockierte. Zudem ist die Lage der Banken nach wie vor labil. Die Analysten von Barclays Capital erwarten, dass die Institute dieses Jahr erneut Verluste schreiben und nach den Bilanzchecks der Europäischen Zentralbank neues Kapital benötigen. „Allerdings werden die 6,4 Milliarden Euro, die noch aus dem Troika-Programm für die Bankensanierung zur Verfügung stehen, mehr als ausreichen, um etwaige staatliche Kapitalspritzen zu finanzieren“, meint Antonio Garcia Pascual, Analyst bei Barclays Capital.
Spanien: Kostensenkungen haben die Wettbewerbsfähigkeit erhöht
Steuern rauf, Ausgaben runter – so lautete das Rezept der Regierung in Madrid, um das gewaltige Loch im Staatshaushalt von mehr als 9,0 Prozent 2011 auf 6,6 Ende 2013 zu verringern. Bis Ende des Jahres muss die Regierung von Mariano Rajoy die Neuverschuldung auf 5,5 Prozent zurückführen, was durchaus realistisch ist. Denn Spaniens Wirtschaft wuchs im ersten Quartal um 0,4 Prozent, im Gesamtjahr könnte das Plus bei 1,2 Prozent liegen.
Als erfolgreich bewerten Analysten die Reform der Banken. Unter der Aufsicht der Troika wurden die Großbank Bankia und eine Handvoll weiterer ehemaliger Sparkassen 2012 restrukturiert und rekapitalisiert sowie Immobilienaktiva in Höhe von 50 Milliarden Euro in eine neu geschaffene Bad Bank ausgelagert. Spanien nahm dafür einen Kredit beim Euro-Rettungsschirm ESM in Höhe von 41 Milliarden Euro in Anspruch. „Der spanische Bankensektor wurde gründlich restrukturiert und hat jetzt höhere Kapitalquoten sowie solide Finanzierungsstrukturen“, urteilt die Ratingagentur Moody’s. Vor allem dank einer für europäische Verhältnisse radikalen Arbeitsmarktreform hat die Regierung dazu beigetragen, die Lohnkosten zu senken. Die erhöhte Wettbewerbsfähigkeit zeigt sich vor allem in stetigem Exportwachstum. Die Ausfuhren stiegen in den ersten zwei Monaten des Jahres um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings ist der Anteil des Exportsektors am BIP mit 34 Prozent noch immer recht niedrig. Im vergangenen Jahr erreichte Spanien erstmals seit vielen Jahren einen Überschuss in der Leistungsbilanz, der dieses Jahr weiter steigen sollte.
An zwei Flanken ist Spanien noch verwundbar. Die Arbeitslosigkeit ist mit über 25 Prozent extrem hoch. Die EU-Kommission fordert, den hohen Anteil von befristeten Arbeitsverträgen zu verringern, die Arbeitsämter zu modernisieren sowie Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik stärker zu verzahnen. Zudem ist die Staatsschuld als Folge der Bankensanierung auf fast 100 Prozent vom BIP gestiegen. Die Regierung geht davon aus, dass die Quote erst 2015 ihren Höhepunkt bei 101,7 Prozent erreicht.
Zypern: Die Inselrepublik hat sich besser geschlagen als erwartet
Als fünfter und vorerst letzter Euro-Staat rief Zypern Mitte 2012 nach Hilfe. Nach schwierigen Verhandlungen schnürten EU und IWF ein Rettungspaket von zehn Milliarden Euro für die vom Staatsbankrott bedrohte Inselrepublik. „Wir sind aus der Gefahrenzone“, sagt inzwischen der zyprische Finanzminister Charis Georgiadis. Die Rezession fiel 2013 mit einem Rückgang des BIPs um 5,4 Prozent weniger heftig aus als befürchtet – die EU erwartete ein Minus von 8,7 Prozent. Spätestens 2015 soll die Wirtschaft wieder wachsen. Ein wichtiger Konjunkturmotor ist der Tourismus, dessen Einnahmen 2013 um neun Prozent zulegten. Mit einem Fehlbetrag von 5,4 Prozent vom BIP fiel auch das Haushaltsdefizit 2013 deutlich niedriger aus als die prognostizierten 8,3 Prozent. Die Staatsschulden sollen in diesem Jahr mit 120,4 Prozent in Relation zum BIP ihren Höhepunkt erreichen; ab 2015 soll die Quote wieder fallen. Größte Probleme bleiben die hohe Arbeitslosenquote, die in diesem Jahr 19 Prozent erreichen dürfte, und die Kreditrisiken der zyprischen Banken. Der Anteil der notleidenden Kredite liegt bei rund 50 Prozent. Es geht dabei um eine Darlehenssumme von 25 Milliarden Euro – rund 150 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung der Insel.
Frankreich: Die Grande Nation ist zum kranken Mann Europas geworden
Europawahl-Spitzenkandidaten stellen sich Debatte
Die Kluft zwischen den Arbeitskosten in Frankreich und Deutschland wird kleiner. Bei den Industrie-Arbeitsstunden beträgt der Unterschied nur noch 50 Cent (36,70 Euro gegenüber 36,20 Euro). Die schlechte Nachricht ist: Die Kosten nähern sich an, weil Deutschland wegen des Fachkräftemangels höhere Löhne zahlen muss, während in Frankreich ein Heer von Arbeitslosen um frei werdende Stellen kämpft.
An Letzterem wird sich auch so schnell nichts ändern. Ungeachtet der eingeleiteten Minireformen zur Entlastung der Arbeitgeber – die sich nach dem Willen der Regierung im Gegenzug zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verpflichten sollen – dürfte die Erwerbslosenquote in diesem und dem nächsten Jahr wohl bei rund zehn Prozent verharren. Anders als im Rest Europas, wo das Wachstum langsam wieder Fuß fasst, dümpelt Frankreichs Wirtschaft vor sich hin. Die Regierung prognostiziert zwar, dass die Wirtschaft 2014 um ein Prozent wächst, 2015 soll die Rate auf 1,7 Prozent steigen. Experten halten diese Prognose angesichts des Reformstaus, der hohen Abgabenbelastung und der munter steigenden Lohnstückkosten jedoch für unrealistisch.
Ohne eine kräftig wachsende Wirtschaft dürfte es der Regierung aber kaum gelingen, die Neuverschuldung unter das Maastricht-Limit von drei Prozent in Relation zum BIP zu senken. Paris hatte dafür 2013 zwei Jahre mehr Zeit (bis Ende 2015) bekommen. Notwendig wäre eine drastische Senkung der Staatsausgaben, sie wirkte wie ein Befreiungsschlag. Doch der Widerstand in den eigenen Reihen ist beträchtlich, die knappe Zustimmung der Sozialisten im Parlament war jüngst erst gesichert, nachdem die Regierung Zugeständnisse bei der Steuer für niedrige Einkommen versprochen hatte. So geht die EU-Kommission für 2015 von einem Defizit von 3,4 Prozent aus.
Die Regierung hat für die Zielverfehlung bereits einen Schuldigen parat: die Europäische Zentralbank (EZB). Die Frankfurter Währungshüter tun nach Meinung der Sozialisten nicht genug, um den Anstieg des Euro-Wechselkurses zu bremsen und damit die Exporte zu stabilisieren. „Wir brauchen einen deutlichen Wandel, der unsere Geldpolitik zu einem Instrument für Wachstum und Arbeitsplätze macht, ein Instrument, das den Menschen dient“, fordert der neue Premierminister Manuel Valls. Nach der Europawahl plant Präsident François Hollande einen entsprechenden Vorstoß, um die Währungsunion nach dem Geschmack der Franzosen zu beeinflussen.
Auch die Kernländer der Eurozone kämpfen mit Problemen
Finnland gehört zur Minderheit der EU-Länder, gegen die derzeit kein Defizitverfahren läuft. Rosig präsentiert sich die Wirtschaft im einstigen Musterland dennoch nicht. Das Land wird die Rezession nur langsam hinter sich lassen. Für das Gesamtjahr 2014 erwartet die EU-Kommission ein BIP-Plus von nur 0,2 Prozent. Erst im kommenden Jahr könnte das Wachstum auf 1,0 Prozent anziehen.
Finnland hat ein Problem mit seiner Wettbewerbsfähigkeit. Seit dem Jahr 2000, aber ganz besonders seit der Finanzkrise 2009 haben finnische Exporteure massiv an Marktanteilen verloren. Dass sich der Trend nun verlangsamt, gibt zwar etwas Anlass zur Hoffnung. Ein anderer Faktor könnte aber viel schwerer wiegen: Finnland hat sich bisher schwergetan, auf asiatische Märkte vorzudringen, und hängt stark von seinem Nachbarn Russland als Abnehmer ab. Der könnte nun jedoch ausfallen, sollte sich die Situation in der Ukraine weiter zuspitzen und die EU Wirtschaftssanktionen gegen Russland beschließen. Dass die Binnennachfrage rasch anspringt, ist unwahrscheinlich. Die Beschäftigung dürfte in diesem Jahr um 0,2 Prozent fallen, nachdem sie schon im Vorjahr um 1,3 Prozent zurückgegangen war.
Der Arbeitsmarkt ist auch eine der großen Schwachstellen in Belgien, wo die Arbeitsanreize sehr schwach sind, weil Arbeitslosengeld unbefristet fließt. Daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Am 25. Mai wählen die Belgier eine neue Regierung, und bis sich Partner für eine neue Koalition finden, könnte es dauern. Mit einer Staatsschuld von voraussichtlich 101,7 Prozent des BIPs in diesem Jahr gehört Belgien zu den hoch verschuldeten Ländern der Euro-Zone. Allerdings halten vor allem Inländer die Anleihen. Das schützt die Regierung vor Stimmungsumschwüngen an den globalen Finanzmärkten. Auch die langen Laufzeiten der Staatsanleihen sorgen für eine gewisse Stabilität.
Beim Nachbarn Niederlande zeichnet sich nach dem unerwarteten Rücksetzer im ersten Quartal im weiteren Jahresverlauf eine gewisse Erholung ab. Die hat das Land nach einer geplatzten Immobilienblase auch nötig. Für das gesamte Jahr 2014 sagt die EU-Kommission ein BIP-Plus von 1,2 Prozent voraus, für das kommende Jahr 1,4 Prozent. Finanzminister Jeroen Dijsselbloem gibt allerdings noch keine Entwarnung: „Wir müssen dafür sorgen, dass sich die vorsichtige wirtschaftliche Erholung weiter verstärkt.“ Vor allem am Arbeitsmarkt sei die Trendwende noch nicht erreicht. Für 2014 erwartet die EU-Kommission eine weitere leichte Abnahme der Beschäftigung. Dijsselbloem, gleichzeitig Vorsitzender der Euro-Gruppe, mahnt seine Landsleute zudem zur Sparsamkeit. „Wir geben weiter mehr Geld aus, als hereinkommt.“ Mit 2,8 Prozent vom BIP dürfte das Defizit in diesem Jahr höher ausfallen als 2013.