Euro-Krise Europas Aufschwung ist mehr Schein als Sein

Pünktlich zur Europawahl melden viele Krisenstaaten ökonomische Erfolge. Politiker und Notenbanker fühlen sich in ihrer Euro-Rettungspolitik bestätigt. Doch der Aufschwung ist noch wackelig.

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Griechenland ist am schlechtesten in die EU integriert
Mann mit griechischer Flagge Quelle: dapd
Blick auf Warschau Quelle: dpa
Blick auf Riga Quelle: dpa
Blick auf das ungarische Parlament Quelle: dpa
Platz in Vilnius, Litauen Quelle: AP
Ein Mädchen winkt mit der schwedischen Flagge Quelle: dpa
Urmas Paet und Frank-Walter Steinmeier Quelle: dpa

von Malte Fischer, Yvonne Esterházy, Gerd Köhler, Ulrike Sauer, Anne Grüttner und Silke Wettach

Es hätte die perfekte Munition für den Endspurt im Europawahlkampf sein können. Mit Spannung blickten Europas Politiker in der vergangenen Woche nach Luxemburg, wo das Statistische Amt der EU die neuesten Wachstumszahlen für die Euro-Länder bekannt gab. Doch aus dem erhofften Rückenwind wurde nichts. Stattdessen gab es von der Konjunkturseite nur ein laues Lüftchen für die Wahlkämpfer. Um mickrige 0,2 Prozent legte die Wirtschaft in der Währungsunion im ersten Quartal zu, halb so stark wie erhofft. Während Deutschland (plus 0,8 Prozent) und Spanien (plus 0,4 Prozent) glänzten, stagnierte die Wirtschaftsleistung in Frankreich. In Italien (minus 0,1 Prozent), den Niederlanden (minus 1,4 Prozent), Portugal (minus 0,7 Prozent) und Finnland (minus 0,4 Prozent) schrumpfte sie sogar.

Viele Analysten lassen sich von den enttäuschenden Wachstumswerten allerdings nicht die gute Laune verderben. „Die früheren Krisenländer Griechenland, Irland, Spanien und Portugal ernten jetzt die Früchte ihrer tief greifenden Reformen“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Die Mehrheit der Analysten scheint das ähnlich zu sehen. Sie gehen davon aus, dass sich die Wirtschaft der Euro-Zone erholt und im Gesamtjahr um mehr als ein Prozent wächst. Immerhin ist es Spanien, Portugal, Irland und Griechenland gelungen, die Lohnstückkosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Exporte laufen wieder rund, die Leistungsbilanzen sind in den schwarzen Zahlen. Die Löcher im Staatshaushalt schrumpfen. In Spanien, Irland und Portugal sinkt die Arbeitslosigkeit. Die Ratingagenturen erteilen den Peripheriestaaten bessere Noten, an den Kapitalmärkten sinken ihre Finanzierungskosten auf neue Tiefstände.

Doch es wäre verfehlt, deshalb schon das Ende der Krise auszurufen. Die Wachstumsraten mögen sich berappeln, doch das geschieht auf ausgesprochen niedrigem Niveau. So liegt die Wirtschaftsleistung Italiens und Irlands um zehn Prozent unter dem Stand von 2008. In Griechenland beträgt die Lücke sogar 20 Prozent. Die Euro-Krise hat den Wohlstand Italiens und Portugals auf den Stand des Jahres 2000 zurückkatapultiert. Es dürfte Jahre dauern, bis sie das verlorene Terrain zurückgewonnen haben.

Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. In Spanien und Griechenland, wo mehr als jeder Vierte arbeitslos ist, könnte es Jahrzehnte dauern, bis die Arbeitslosigkeit wieder auf das Vorkrisenniveau sinkt. Dass sich die Kurse der Staatsanleihen der Peripherieländer trotz der realwirtschaftlichen Malaise auf Höhenflug befinden und die Renditen in den Keller rauschen, ist Folge der Niedrigzinspolitik der EZB. Diese hat zu einer regelrechten Jagd auf Rendite geführt. Die sich abzeichnende erneute Lockerung der Geldpolitik dürfte diese Entwicklung weiter forcieren. Dazu kommt, dass die EZB mit ihrem Versprechen, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, den Anlegern eine kostenlose Versicherung gegen Kursverluste gegeben hat. Kein Wunder, dass das Geld aus allen Teilen der Welt in die vergleichsweise attraktiv verzinsten Peripherieanleihen strömt.

Doch die Zinsdrückerei wird früher oder später üble Folgen haben. Die Billigkredite schmälern den Druck zu Reformen. „Es besteht die Gefahr, dass der Reformprozess zum Stillstand kommt. Italien und Frankreich sind erste Beispiele dafür“, warnt Raoul Ruparel, Analyst beim britischen Thinktank Open Europe. Zudem lassen die Minizinsen Investitionsprojekte rentabel erscheinen, die es bei genauer Betrachtung gar nicht sind. Es droht ein neuer, mit Fehlinvestitionen gespickter Boom. Platzt die Blase, stürzt die Euro-Zone in die nächste Krise. Die könnte dann noch heftiger ausfallen als das jüngste Debakel. Die Regierungen haben sich in den vergangenen Jahren bis über beide Ohren verschuldet. Ihnen fehlt daher der Spielraum, eine erneute Krise abzufedern.

Wie es um die Euro-Länder im Einzelnen steht und wo Gefahren lauern, lesen Sie auf den folgenden Seiten.

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