Europa Ein zweifelhafter Kandidat fürs EU-Parlament

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Als Kommissar nur heiße Luft produziert

Der Manager wurde prompt von Kollegen aus der Autobranche beschimpft, von VW-Angestellten sogar persönlich bedroht. In seiner Not wandte er sich an Tajanis Straßburger Büro und bat einen Mitarbeiter des Abgeordneten, seinen Namen, den Firmennamen und die Telefonnummer bei Twitter zu löschen. Der damalige Vizepräsident des Europaparlaments reagierte mit einer dreisten Gegenforderung: Der Autozulieferer solle eine Pressemitteilung veröffentlichen, die Berichte der WirtschaftsWoche über Tajanis Rolle im Abgasskandal seien falsch gewesen. Mehrfach erhob Tajani diese Forderung, jedes Mal lehnte der Manager das unmoralische Angebot ab.

Die fünf großen Baustellen der EU

Und so ist Tajanis Twitter-Attacke auf den Whistleblower, der sich vertrauensvoll an den damaligen Industriekommissar gewandt hatte, bis heute online. „Veröffentlicht ein EU-Parlamentarier ein vertraulich übersandtes Schriftstück mit Name und Telefonnummer eines Dritten ohne Einverständnis dieser Person, ist das ein Verstoß gegen europäisches Datenschutzrecht“, sagt Rolf Schwartmann, Rechtsprofessor an der Technischen Hochschule Köln. Und fügt hinzu: „Wie kann ein Politiker einen Informanten öffentlich machen, der ihn auf Missstände hinweist?“

Chaotisch als Kommissar

Tajani wollte sich auf Anfrage zu den neuen Vorwürfen gegen ihn nicht äußern. Fraktionschef Weber soll sich einen anderen EVP-Kandidaten gewünscht haben, heißt es in Brüssel. Qua Amt muss er Tajani nun aber verteidigen. Weber warnt vor „Vorverurteilungen“ der Kandidaten, die bislang vor allem aus Deutschland kämen. Aber selbst EVP-Mitgliedern bangt vor dessen Kandidatur. Wegen Tajanis Bande zu Berlusconi, dem er als Sprecher diente, und seiner Verstrickung in den VW-Skandal. Aber auch wegen dessen Bilanz als EU-Kommissar, zuständig erst für Verkehr, danach für die Belange der Industrie.

Da produzierte Tajani nämlich vor allem heiße Luft. Sein Aktionsplan für den Stahlsektor verpuffte genauso wie eine Initiative für mehr Tourismus. Unternehmensvertreter erinnern, wie er oft in letzter Minute Treffen schwänzte, sogar mit Daimler-Boss Dieter Zetsche. Zählen konnten auf Tajani nur Landsleute, sie bekamen meist rasch einen Termin.

So auch jener italienische Automanager, auf den Tajani am 4. Juli 2012 um elf Uhr in einem Straßburger Büro der EU-Kommission traf. Thema: Manipulationen von Autoherstellern bei Emissionsmessungen. So steht es in einem Briefing, das der Manager am Tag zuvor Tajanis Büro zuschickte. „Im Bereich der Fahrzeugemissionen“, hieß es warnend in dem Schreiben, gebe es die Praxis des „Cycle Beating“ (den Zulassungstest austricksen). Und weiter: „Moderne Technologie bietet viele Wege, um Zulassungstests zu manipulieren. Etwa durch Verwendung spezieller Software, die den Start eines Zulassungstests erkennt.“ Nur dann funktionierten die Autos korrekt. Später auf der Straße jedoch funktioniere die Technik nur noch eingeschränkt. Die Kommission müsse ein klares Signal senden, dass solche Tricksereien nicht toleriert würden.

Der Brief und das anschließende Gespräch in Straßburg waren die weltweit frühesten Hinweise auf die Manipulationsmethode, die sich VW zunutze gemacht hat und die später zum VW-Skandal führen sollte.

Nachdem die WirtschaftsWoche dies enthüllt hatte, twitterte Tajani in Trump-Manier los. „wiwo lügt schon wieder“, schrieb er und fügte als Beleg besagtes Schreiben des italienischen Informanten bei. Dieses beziehe sich „auf Reifendrucksensoren, nicht VW“.

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