Europa Deutsche werden in Brüssel mächtiger

Die Zahl der Deutschen und deutsch Sprechenden auf Schaltstellen der Europäischen Institutionen nimmt zu. Manch einer macht sich darüber schon Sorgen.

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Man spricht deutsch: Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, und der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Quelle: dpa Picture-Alliance

Nun beginnen sie also doch noch pünktlich. Kaum jemand hatte in den vergangenen Monaten mehr damit gerechnet, dass der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Team wie geplant am 1. November den Dienst antreten würden. Erst stritten sich die Mitgliedstaaten ums Brüsseler Spitzenpersonal, dann verlangte das Europäische Parlament (EP) Nachbesserungen. Am Schluss verständigte sich die neue große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten im EP in einer Hauruck-Aktion dann doch noch auf das neue Personaltableau, um den fristgemäßen Start möglich zu machen.

Wichtige Positionen

Pünktlichkeit passt zu dem Bild eines kraftvollen Neustarts, das Juncker gerne vermitteln möchte. Pünktlichkeit passt auch zu einer Kommission, die in mancher Hinsicht deutscher wird. An der Spitze wird Deutsch gesprochen, Deutsche haben wichtige Positionen inne. Damit verstärkt sich ein Trend, der sich schon in den vergangenen Jahren abzeichnete. Deutsche erklimmen in den Brüsseler Institutionen mehr und mehr Schlüsselstellen. Das nährt bei anderen Nationen bereits die Angst vor einer deutschen Übermacht, was ziemlich übertrieben ist. Als Sachverwalter deutscher Interessen gerieren sich Deutsche in Brüssel eher selten, es sei denn, es gehört ausdrücklich zu ihrer Arbeitsbeschreibung.

Aber allein das Vorrücken der deutschen Sprache weckt bei anderen Befürchtungen, der größte Mitgliedstaat könnte zu mächtig werden. Der künftige EU-Ratspräsident Donald Tusk, bisher polnischer Ministerpräsident, spricht besser Deutsch als Englisch. Als Luxemburger spricht Jean-Claude Juncker genauso gut Deutsch wie Französisch, und sein Stellvertreter, der Niederländer Frans Timmermans, bildet nicht nur auf Hochdeutsch ebenso komplexe wie korrekte Sätze. Mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, kann er sich auf Platt unterhalten, beide stammen aus der Region Aachen-Maastricht.

Hinzu kommt, dass die Bundesregierung sich in den vergangenen Jahren stärker um die Brüsseler Personalpolitik gekümmert hat. Seit das Auswärtige Amt Vorbereitungskurse für den Auswahltest der EU-Kommission veranstaltet, reüssieren mehr deutsche Bewerber. Die Briten, die lange Zeit eigene Leute geschickt in den Institutionen installiert haben, merken gleichzeitig, dass ihnen der Nachwuchs ausgeht. Die wachsende Euro-Skepsis lässt viele junge Talente von der Insel vor einer Karriere in der EU zurückschrecken, der Großbritannien vielleicht gar nicht mehr lange angehört.

Schon vor drei Jahren gelang es Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihren Berater Uwe Corsepius an die Spitze des Europäischen Rats zu platzieren. Mit Klaus Regling als Chef des Rettungsschirms ESM und Werner Hoyer als Chef der Europäischen Investitionsbank stehen auch in Luxemburg zwei Landsleute wichtigen Einrichtungen vor. Jeder weitere Deutsche an exponierter Stelle löst nun international Aufmerksamkeit aus.

Die zehn wichtigsten EU-Kommissare
Wochenlang hat der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit den Kandidaten gesprochen. Am Mittwoch stellte er seine neue Mannschaft der Öffentlichkeit vor. Quelle: REUTERS
Die italienische Außenministerin Federica Mogherini - das stand bereits fest - wird neue Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, kurz EU-Außenministerin. Kritiker werfen der Vertrauten von Italiens Premier Renzi vor, zu wenig internationale Erfahrung zu haben und insbesondere gegenüber Russland zu nachgiebig zu sein. Mogherini wird zugleich eine der sieben Vizepräsidenten und damit Stellvertreterin von Juncker. Quelle: AP
Den europäischen Konservativen dürfte seine Berufung gar nicht gefallen. Der französische Sozialist Pierre Moscovici wird Währungs- und Wirtschaftskommissar. Er war von 2012 bis 2014 Finanzminister in Paris und hatte die Verschuldung seines Landes nicht unter Kontrolle bekommen. Quelle: Reuters
Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident und bisherige Energie-Kommissar Günther Oettinger wird Kommissar für Digitale Wirtschaft. Oettinger war zwischenzeitlich auch als Handelskommissar im Gespräch. Auch wenn sich Oettinger in den nächsten Jahren um ein wichtiges Thema kümmern wird, gilt die Position nicht als Beförderung. Quelle: dpa
Neun Jahre lang war Andrus Ansip Premierminister von Estland - bis er im Frühjahr zurücktrat. Nun wird Vizepräsident der Kommission und soll das Thema "Digitaler Binnenmarkt" vorantreiben. Quelle: REUTERS
Valdis Dombrovskis ist der zweite Ex-Premier in der neuen EU-Kommission. Nach vier Jahren an der lettischen Regierungsspitze trat er im vergangenen November zurück. Er übernahm die politische Verantwortung für den Einsturz eines Supermarktes in der Hauptstadt Riga, bei dem 54 Menschen starben. In den nächsten fünf Jahren kümmert er sich der Vizepräsident um die Themen "Euro und Sozialer Dialog". Quelle: REUTERS
Der bisherige niederländische Außenminister Frans Timmermans wird als "Erster Vizepräsident der Kommission" der wichtigste Mann hinter Juncker. Er wird sich auf EU-Ebene um Regulierungsfragen kümmern. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Timmermans als Krisenmanager nach dem Absturz von Flug MH17 über der Ostukraine bekannt. Quelle: REUTERS

Jüngstes Beispiel ist Martin Selmayr, der als Junckers Kabinettschef in den kommenden fünf Jahren dessen wichtigster Berater sein wird. Dabei wird gerne übersehen, dass er nicht auf Berliner Intervention an seinen einflussreichen Posten kam, sondern über seine Luxemburger Verbindungen. Zuvor hatte er ein Jahrzehnt für die Luxemburger Kommissarin Viviane Reding gearbeitet. Als Juncker im Frühjahr einen Wahlkampfleiter suchte, weil die Europäische Volkspartei, die Dachorganisation der konservativen Parteien, die Kampagne verschlafen hatte, sprang Selmayr kurzfristig ein und tourte mit dem Spitzenkandidaten kreuz und quer durch Europa.

Revolutionäre Handschrift

Da zeichnete sich schon ab, dass er bei einem Wahlsieg der starke Mann hinter Juncker werden würde. Selmayrs Einfluss lässt sich bereits vor dem Amtsantritt der neuen Truppe ablesen. Ein für Brüsseler Verhältnisse geradezu revolutionäres Organigramm, das seine Handschrift trägt, soll das alte Ressort-Denken aufbrechen. Bemerkenswert ist die neue Organisation auch, weil die neuen Vizepräsidenten allesamt aus kleinen Ländern kommen.

In vielen Punkten denkt Selmayr europäischer, als es der Bundesregierung lieb ist. Und Juncker hat eine soziale Neigung, die der Kanzlerin abgeht. So ist jetzt schon abzusehen, dass es auch in Zukunft das ein oder andere Mal zwischen Berlin und Brüssel krachen wird. Nur weil Botschaften auf Deutsch kommen, sind sie nicht automatisch willkommen.

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