Europa Großbaustelle europäischer Binnenmarkt

Auch nach 20 Jahren bleibt der europäische Binnenmarkt unvollendet – den Schaden haben Unternehmen und Verbraucher.

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Der europäische Binnenmarkt gilt als Herzstück der EU - Doch inzwischen ist gilt er als unpopulärer denn je Quelle: dpa

Beim Kosmetikhändler Douglas sollte der Online-Kunde großes Interesse fürs Kleingedruckte mitbringen. Bestellungen mit einer Rechnungsadresse im Ausland storniert das Unternehmen, ohne den Kunden zu informieren. Selbst Schuld, wer sich nicht die Mühe gemacht hat, die Geschäftsbedingungen zu studieren.

Die rüde Behandlung von Auslandskunden, die sich zu douglas.de verirren, hat einen simplen Grund. Für das Unternehmen sind sie schlicht nicht interessant. Sollte der ausländische Kunde nicht zahlen, so bedeutet das für die Firma einen erheblichen Mehraufwand, das Geld einzutreiben – wenn es überhaupt gelingt.

Nicht nur bei Hautcremes droht Online-Kunden in Europa Frust. Wer für ein Lesegerät wie den Kindle Literatur zum Herunterladen erwerben will, stößt bei Internet-Anbietern schnell an Grenzen. Bücher, die in Deutschland als E-Book angeboten werden, sind in Großbritannien oder Belgien nicht erhältlich, weil Verlage die Rechte für die deutsche Version nicht fürs Ausland vergeben. „Da hilft einem der technische Fortschritt nicht weiter“, ärgert sich ein spanischer Diplomat, der gerne deutsche Belletristik im Original lesen würde.

Exporte in die Euro-Zone
Öl Quelle: dpa
Nokia Quelle: dpa
BMW-Logo Quelle: dapd
Schirme Quelle: dapd
Louis Gallois und Christine Lagarde betrachten das Modell eines Airbus A350 Quelle: dpa
Obsttheke Quelle: dpa
Brot und Brötchen Quelle: dpa

Auch 20 Jahre nach seiner Erschaffung zum Jahresende 1992 bleibt der europäische Binnenmarkt eine Großbaustelle. An vielen Ecken und Enden wartet der gemeinsame Markt für 500 Millionen Verbraucher auf seine Vollendung. Ob die je erreicht wird, ist ungewiss. „Der Binnenmarkt ist heute unpopulärer denn je“, diagnostizierte der frühere Binnenmarktkommissar Mario Monti vor zwei Jahren in einer umfassenden Bestandsaufnahme. „Dabei braucht ihn Europa mehr denn je.“ Doch das andauernde Krisenmanagement hat seitdem das Thema Binnenmarkt von der politischen Agenda verdrängt.

Neuer Fokus

So haben sich die Handelsbarrieren zwischen EU-Ländern entwickelt (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Ein wenig ironisch ist das durchaus, denn der Binnenmarkt ist das Herz der EU. „Nimmt man den Binnenmarkt weg, dann bleibt nicht mehr viel übrig“, sagt Jacques Pelkmans, Professor am Europa-Kolleg in Brügge. Und ein neuer Fokus auf den Binnenmarkt könnte Europa zu genau jenem Wachstumsschub verhelfen, den es so dringend benötigt. Alleine die vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie von 2006 könnte nach Berechnungen der EU-Kommission das Bruttoinlandsprodukt in Europa um 1,6 Prozent steigern.

Vorteile des Binnenmarkts

So viel kostet eine Stunde Arbeit in Europa
Supporters of the ultranationalist Bulgarian party Ataka (attack) wave national flags during a anti-government rally in central Sofia, Bulgaria Quelle: dpa/dpaweb
A woman peers through a Romanian flag during a protest against President Traian Basescu in Bucharest, Romania, Quelle: dapd
Die Flagge der Europäischen Union weht neben den Nationalfahnen der EU-Mitglieder Spanien Niederlande, Irland und Griechenland sowie Rumaenien (hinten v. l.), Portugal, Tschechien und Schweden Quelle: dapd
Die deutsche Flagge weht am 09.08.2012 an einem Schiff der Reederei Hiddensee vor der Silhouette der historischen Altstadt von Stralsund Quelle: dpa
Eiffelturm Quelle: gms
Der Dannebrog, die dänische Flagge, weht am 27.06.2012 an einem Ferienhaus in Henne Strand Quelle: dpa
Boddenhafen von Barth Quelle: ZB

Was sind die Vorteile des Binnenmarkts aus ökonomischer Sicht? Wenn Schranken zwischen Ländern fallen, können produktivere Unternehmen Marktanteile von weniger produktiven Unternehmen im Ausland übernehmen. Schärferer Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und mehr Auswahl. Ein größerer Heimatmarkt ist gleichzeitig ein Vorteil für Unternehmen, die von Skaleneffekten profitieren können.

Nationale Regierungen gehen den weiteren Ausbau des Binnenmarkts allerdings mit einem schwachen Ehrgeiz an. Im Sommer konstatierte die EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten im Schnitt acht Monate länger als erlaubt gebraucht haben, um Binnenmarktrichtlinien umzusetzen. Ein Jahr zuvor lag der Verzug nur bei fünfeinhalb Monaten. Seit 2008 liegt der Anteil der Binnenmarktrichtlinien, die gar nicht umgesetzt werden, bei über einem Prozent. Regelmäßig muss die EU-Kommission Länder vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, damit überhaupt etwas passiert.

Wie sich die Welt abschottet
US-Präsident Barack Obama Quelle: dpa
Ein Straßenhändler in Indien Quelle: REUTERS
Ein Bauer füttert seine Kühe Quelle: dpa/dpaweb
Abbau von Seltenen Erden in einer Mine in Ganxian Quelle: dpa
Die Christusstatue auf dem Corcovado Quelle: dapd
Mitarbeiter der Volkswagen AG im VW-Werk in Kaluga Quelle: AP
Arbeiter entladen importierten Reis von einem Schiff Quelle: REUTERS

Vor allem bei den Dienstleistungen versuchen Regierungen, heimische Anbieter zu schützen. Deutschland, aber auch Frankreich, Österreich und Italien halten trotz Dienstleistungsrichtlinie die Eingangsbarrieren hoch. Schwedische Architekten beispielsweise können in Deutschland nur arbeiten, wenn sie eine von drei explizit genannten Universitäten besucht haben. Die Einschränkung ist schwer nachvollziehbar angesichts der hohen Standards im schwedischen Baugewerbe.

Neue Hindernisse

Niemand hindert Regierungen daran, neue Hürden aufzubauen. „Die EU-Kommission hat zu wenig qualifizierte Mitarbeiter, um die nationale Gesetzgebung auf neue Hindernisse abzuklopfen“, sagt John Springford vom Centre for European Reform in London. Dies erklärt, weshalb in den alten EU-Staaten 94 Prozent aller Dienstleistungen von einer inländischen Firma erbracht werden.

Als hätte die EU-Kommission schon gar keine Lust, sich mit den Mitgliedstaaten anzulegen, fallen die Initiativen aus Brüssel relativ kraftlos aus. „Die Kommission zeigt die Dringlichkeit nicht auf“, kritisiert Riccardo Perissich, früherer Generaldirektor Industrie der EU-Kommission.

Mario Monti, mittlerweile scheidender Regierungschef Italiens, hatte im Februar noch einmal einen Anlauf gemacht, um den gemeinsamen Markt auf der politischen Agenda zu platzieren. Gemeinsam mit elf Regierungschefs etwa aus Großbritannien, Spanien und Polen entwickelte er einen Fahrplan für die nächste Stufe des Binnenmarkts. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Brief übrigens nicht unterzeichnet.

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