Beim Kosmetikhändler Douglas sollte der Online-Kunde großes Interesse fürs Kleingedruckte mitbringen. Bestellungen mit einer Rechnungsadresse im Ausland storniert das Unternehmen, ohne den Kunden zu informieren. Selbst Schuld, wer sich nicht die Mühe gemacht hat, die Geschäftsbedingungen zu studieren.
Die rüde Behandlung von Auslandskunden, die sich zu douglas.de verirren, hat einen simplen Grund. Für das Unternehmen sind sie schlicht nicht interessant. Sollte der ausländische Kunde nicht zahlen, so bedeutet das für die Firma einen erheblichen Mehraufwand, das Geld einzutreiben – wenn es überhaupt gelingt.
Nicht nur bei Hautcremes droht Online-Kunden in Europa Frust. Wer für ein Lesegerät wie den Kindle Literatur zum Herunterladen erwerben will, stößt bei Internet-Anbietern schnell an Grenzen. Bücher, die in Deutschland als E-Book angeboten werden, sind in Großbritannien oder Belgien nicht erhältlich, weil Verlage die Rechte für die deutsche Version nicht fürs Ausland vergeben. „Da hilft einem der technische Fortschritt nicht weiter“, ärgert sich ein spanischer Diplomat, der gerne deutsche Belletristik im Original lesen würde.
Auch 20 Jahre nach seiner Erschaffung zum Jahresende 1992 bleibt der europäische Binnenmarkt eine Großbaustelle. An vielen Ecken und Enden wartet der gemeinsame Markt für 500 Millionen Verbraucher auf seine Vollendung. Ob die je erreicht wird, ist ungewiss. „Der Binnenmarkt ist heute unpopulärer denn je“, diagnostizierte der frühere Binnenmarktkommissar Mario Monti vor zwei Jahren in einer umfassenden Bestandsaufnahme. „Dabei braucht ihn Europa mehr denn je.“ Doch das andauernde Krisenmanagement hat seitdem das Thema Binnenmarkt von der politischen Agenda verdrängt.
Neuer Fokus
Ein wenig ironisch ist das durchaus, denn der Binnenmarkt ist das Herz der EU. „Nimmt man den Binnenmarkt weg, dann bleibt nicht mehr viel übrig“, sagt Jacques Pelkmans, Professor am Europa-Kolleg in Brügge. Und ein neuer Fokus auf den Binnenmarkt könnte Europa zu genau jenem Wachstumsschub verhelfen, den es so dringend benötigt. Alleine die vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie von 2006 könnte nach Berechnungen der EU-Kommission das Bruttoinlandsprodukt in Europa um 1,6 Prozent steigern.
Vorteile des Binnenmarkts
Was sind die Vorteile des Binnenmarkts aus ökonomischer Sicht? Wenn Schranken zwischen Ländern fallen, können produktivere Unternehmen Marktanteile von weniger produktiven Unternehmen im Ausland übernehmen. Schärferer Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und mehr Auswahl. Ein größerer Heimatmarkt ist gleichzeitig ein Vorteil für Unternehmen, die von Skaleneffekten profitieren können.
Nationale Regierungen gehen den weiteren Ausbau des Binnenmarkts allerdings mit einem schwachen Ehrgeiz an. Im Sommer konstatierte die EU-Kommission, dass die Mitgliedstaaten im Schnitt acht Monate länger als erlaubt gebraucht haben, um Binnenmarktrichtlinien umzusetzen. Ein Jahr zuvor lag der Verzug nur bei fünfeinhalb Monaten. Seit 2008 liegt der Anteil der Binnenmarktrichtlinien, die gar nicht umgesetzt werden, bei über einem Prozent. Regelmäßig muss die EU-Kommission Länder vor den Europäischen Gerichtshof ziehen, damit überhaupt etwas passiert.
Vor allem bei den Dienstleistungen versuchen Regierungen, heimische Anbieter zu schützen. Deutschland, aber auch Frankreich, Österreich und Italien halten trotz Dienstleistungsrichtlinie die Eingangsbarrieren hoch. Schwedische Architekten beispielsweise können in Deutschland nur arbeiten, wenn sie eine von drei explizit genannten Universitäten besucht haben. Die Einschränkung ist schwer nachvollziehbar angesichts der hohen Standards im schwedischen Baugewerbe.
Neue Hindernisse
Niemand hindert Regierungen daran, neue Hürden aufzubauen. „Die EU-Kommission hat zu wenig qualifizierte Mitarbeiter, um die nationale Gesetzgebung auf neue Hindernisse abzuklopfen“, sagt John Springford vom Centre for European Reform in London. Dies erklärt, weshalb in den alten EU-Staaten 94 Prozent aller Dienstleistungen von einer inländischen Firma erbracht werden.
Als hätte die EU-Kommission schon gar keine Lust, sich mit den Mitgliedstaaten anzulegen, fallen die Initiativen aus Brüssel relativ kraftlos aus. „Die Kommission zeigt die Dringlichkeit nicht auf“, kritisiert Riccardo Perissich, früherer Generaldirektor Industrie der EU-Kommission.
Mario Monti, mittlerweile scheidender Regierungschef Italiens, hatte im Februar noch einmal einen Anlauf gemacht, um den gemeinsamen Markt auf der politischen Agenda zu platzieren. Gemeinsam mit elf Regierungschefs etwa aus Großbritannien, Spanien und Polen entwickelte er einen Fahrplan für die nächste Stufe des Binnenmarkts. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte den Brief übrigens nicht unterzeichnet.