So rühmt sich die Regierung, dass sie die Neuverschuldung des Staates reduziert hat. In der Tat lag das Defizit im vergangenen Jahr mit 1,9 Prozent deutlich unter der Maastricht-Grenze. Das können nur weniger EU-Mitgliedsstaaten behaupten. Die Kommission stoppte daraufhin das Defizitverfahren gegen Ungarn. Allerdings gelang die Einhaltung der Defizitkriterien nur, weil zahlreiche Steuern eingeführt wurden. So beträgt die Mehrwertsteuer inzwischen 27 Prozent, nirgendwo in der EU ist der Satz höher. Selbst Lebensmittel werden mit drastischen 18 Prozent besteuert. Zudem griff Orbán in die Rentenkasse, verstaatliche die privaten Fonds und nutzte das Geld, um Schulden zu begleichen.
Um ein Gefühl von Gerechtigkeit zu vermitteln, ließ Viktor Orbán auch Unternehmen zur Kasse bitten. Insbesondere Banken und Energiekonzerne wurden mit neuen Abgabeforderungen belastet. Nur: Sie gaben die Steuern in Form von höheren Gebühren an die Kunden weiter.
Ungarns Stärken
Ungarn ist ein Transitland mit gutem Infrastrukturangebot sowie Logistikinfrastruktur und gilt als Brückenkopf zu Ost-/Südosteuropa.
Ungarn verfügt über gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte bei niedrigem Lohnniveau.
Das Land gilt als günstiges Umfeld für Investitionen im verarbeitenden Sektor, allem voran im Kfz-Bau.
Ungarn kann zudem mit einer hohen Produktivität sowie vergleichsweise niedrigen Steuern für kleine und mittlere Unternehmen und höhere Einkommen punkten.
Die Wirtschaft des Landes profitiert von einer engen Verflechtung zu Deutschland, insbesondere Süddeutschland.
„Die Leute, die an der Macht sind, haben von Wirtschaft entweder überhaupt keine Ahnung oder sie sind unverschämt“, ärgert sich Inotai. Die Folge: Ungarn steckt in der Sackgasse. Der einheimische Konsum und die Investitionen sind auf ein Rekordtief von 16 Prozent des BSP gesunken Darüber hinaus zeigt auch der früher erfolgreiche Exportsektor Wachstums-, Struktur- und zunehmend auch Wettbewerbsschwächen.
Ungarns Schwächen
Einzelne Sektoren wie Banken oder Energie haben in Ungarn mit extremen steuerlichen Belastungen zu kämpfen.
Vor allem in technischen Berufen herrscht in Ungarn Fachkräftemangel.
Trotz des günstigen Investitionsumfelds fiel die Investitionsquote Ungarns auf nur noch 17 Prozent.
Durch das schwindende Vertrauen Ungarns im Ausland sinkt der FDI-Zufluss (Foreign Direct Investment, ausländische Direktinvestitionen)
Durch die Zuspitzung der Kreditklemme im Land drohen Insolvenzen und Zahlungsausfälle.
Doch auch die Europäische Union steckt in der Klemme. Stoppt sie (zumindest zeitweise) die Auszahlung von EU-Fördermitteln, droht die ungarische Wirtschaft zusammenzubrechen und vielen Menschen die Arbeitslosigkeit. Bleibt Brüssel untätig, verliert die Staatengemeinschaft an Glaubwürdigkeit.
„Die EU hat es verpasst, die Orbán-Regierung schon 2010 in die Schranken zu weisen“, klagt Inotai. Unmittelbar nachdem seine Fidesz-Partei – zweifelsfrei demokratisch – gewählt wurde, hat sie als eine der ersten Maßnahmen die Pressefreiheit eingeschränkt. „Das war ein ganz klares Zeichen, wie die Regierung demokratischen Grundrechte missachtet“, so Inotai. Doch in Brüssel hielt man die Füße still.
Nun bleibt den EU-Mitgliedsländern nur noch, Ungarn bei Abstimmungen auf EU-Ebene seine Stimme zu entziehen. Dadurch allerdings könnte die europa-kritische Stimmung in Budapest zunehmen. Die Zusammenarbeit mit Viktor Orbán und seinen Vertretern bleibt schwierig – außer beim Thema Frauenquote.
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