Europa-Rede Macron versucht sich als Brückenbauer

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Pläydoyer für europäisches Amt für Asyl

Die Wirtschaftsunion sei das Herz eines integrierten Europas, unterstrich der französische Präsident. Jedes Land habe sich selbstverständlich zunächst seiner eigenen Verantwortung zu stellen. Deshalb habe Frankreich bereits kurz nach seiner Wahl im Mai wichtige Reformen eingeleitet. „Wir haben allerdings in den vergangenen zehn Jahren viel über Verantwortung gesprochen und darüber die Solidarität vergessen,“ mahnte er. Deshalb brauche es neben einem gemeinsamen Budget, das Ländern in Krisen helfen könne, bis 2020 auch eine Verständigung über einheitliche Unternehmenssteuern und Sozialabgaben.

In den nächsten Jahren plant Frankreich rund 57 Milliarden Euro in Umweltschutz, Innovation und den Kampf gegen Arbeitslosigkeit zu investieren.

„Man kann nicht einerseits von Europa profitieren und sich andererseits untereinander ausspielen,“ sagte Macron mit Blick etwa auf das in Frankreich große Streitthema entsendeter Arbeitskräfte, für die niedrigere Sozialbeiträge in deren Heimatländern gelten. Oder auch für Länder, die den Wettbewerb mit niedrigen Unternehmenssteuern verzerrten. Bereits ab diesem November wolle er eine Diskussion über einen europäischen Sockel für Sozialbeiträge anstoßen. Macron trat am Dienstag aber bedeutend diplomatischer und gewinnender auf als etwa zuletzt während einer Osteuropa-Reise, wo er Polen öffentlich heftig kritisiert hatte.

Zuvor hatte der französische Präsident ausführlich an die Verdienste früherer Staatslenker erinnert, die die Europäische Union nach zwei Weltkriegen ermöglicht hatten - und davor gewarnt, das Erreichte den scheinbar einfachen Lösungen der Populisten preis zu geben. Außerdem zeichnete er die EU als Gemeinschaft, in dem das Bedürfnis der Bürger nach Sicherheit, einer gesunden Umwelt und Verbraucherschutz am besten gewährleistet werden könnten.

Deshalb plädierte er zum Beispiel für nationale Armeen, die auch Soldaten anderer Länder aufnehmen könnten sowie grenzüberschreitende zivile Einsatztruppen bei Naturkatastrophen. Die Migrationskrise, die „eine Herausforderung auf lange Zeit“ bleiben werde, könne Europa ebenfalls nur gemeinschaftlich meistern. Durch eine Partnerschaft mit Afrika und Hilfen für die aufnehmenden Länder einerseits, aber ab nächstem Jahr auch mit einem europäischen Amt für Asyl und einheitlichen Asylverfahren.

Europa solle außerdem bei der Energiewende voranschreiten, einen „gerechten Preis“ für CO2-Emissionen festlegen und an seinen Grenzen eine CO2-Steuer für Konkurrenzunternehmen von außerhalb verlangen. Nur eine neue EU-Agrarpolitik, die den Landwirten ein würdevolles Auskommen ermöglicht, kann seiner Meinung nach das geschädigte Vertrauen der Verbraucher in Lebensmittel wieder herstellen. Skandale wie zuletzt im Fall der mit Insektengift verunreinigten Eier müssten scharf bestraft werden.

Dämpfer für Frankreichs neuen Präsidenten Emmanuel Macron: Seine Partei "La Republique en Marche" gewann bei der Neuwahl eines Teil des Senats am Sonntag weniger Sitze als erwartet.

Der Präsident sprach sich außerdem dafür aus, die Digitalisierung finanziell zu unterstützen und eine europäische Agentur für bahnbrechende Innovationen zu gründen. Europäer sollten sich nicht darüber beklagen, dass die Internet-Größen heute in den USA säßen, sondern die Entwicklung eigener Champions ermöglichen. Mit Blick auf Google, Amazon, Facebook und andere US-Konzerne, die in Europa Steuervermeidung betrieben, forderte er die Erhebung von Steuern dort, wo Mehrwert geschaffen werde.

„Man kann nicht bei allen Themen gleich schnell Ergebnisse erzielen,“ räumen Macrons Berater ein. Es sei auch nicht dramatisch, wenn nicht alle EU-Mitglieder überall sofort mit an Bord seien. Die Abkommen über den Euro und den Schengenraum hätten gezeigt, dass ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht zur Spaltung führe. Wichtig sei es aber, einen Weg für die nächsten Jahre darzulegen. Nach dem Willen des französischen Präsidenten sollen offene Diskussionen mit Bürgern an die Stelle von Gremien treten, die „Texte im Geheimen“ verfassen. „Dann werden die Leute selbst darauf kommen, dass die EU sie besser schützt als manch absurde nationale Politik.“ Auf die Wahlen zum Europaparlament 2019 müsse ein „Mandat des Wandels“ folgen. Damit 2024 in den EU-Mitgliedsländern wieder mit Stolz die EU-Flagge gehisst werde.

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