Europa Ungarn wütet gegen seine Geldgeber

Erst die Europäische Union, nun der Internationale Währungsfonds: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verprellt seine wichtigsten Geldgeber – und treibt sein Land immer mehr in die Isolation.

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Nazi-Vergleiche, Verfassungsänderungen und Tiraden gegen die Europäische Union. Viktor Orbán sorgt dafür, dass Ungarn zunehmend isoliert dasteht Quelle: dpa

Deutschland und Ungarn sind sich einig: Eine EU-weite Frauenquote soll es nicht geben. Gemeinsam mit sieben weiteren Ländern wollen sie den Vorschlag aus Brüssel ablehnen, 40 Prozent der Führungsposten in börsennotierten Unternehmen mit Frauen zu besetzen. Doch damit ist es auch genug der Gemeinsamkeiten. Nach Nazi-Vergleichen und den umstrittenen Verfassungsänderungen war die Geduld mit der national-konservativen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán bereits im Mai dahin. "Es wäre allerhöchste Zeit, dass man endlich Klartext mit Orbán redet", sagte Axel Schäfer, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion. "Er belastet zunehmend das traditionell gute Verhältnis zwischen Deutschland und Ungarn", so CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz gegenüber Spiegel Online.

Doch Orbán denkt nicht daran, sich und seine Politik der Provokation zu ändern. Im Gegenteil: Zunächst bezichtigte seine Regierung EU-Kommissarin Viviana Reding der Lüge. "Sie lügt entweder aus grenzenloser Ignoranz oder mit politischer Absicht", erklärte das Justizministerium, nachdem Reding der Orbán-Administration vorwarf, die Justiz destabilisiert zu haben. Anschließend schoss Budapest gegen den Internationalen Währungsfonds, der Ungarn gemeinsam mit der EU mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise mit Krediten über 20 Milliarden Euro auf der Klemme half. Die nationale Notenbank forderte den IWF, sein Büro in Budapest zu schließen. Eine ständige Vertretung der Washingtoner Organisation sei "unbegründet", so der Chef der Nationalbank György Matolcsy.

Die umstrittenen Verfassungsänderungen

Das Ergebnis: Bis Ende August muss IWF-Repräsentantin Iryna Ivaschenko nun ihr Büro im Innenstadtbereich von Budapest räumen, in Berlin, Paris und Brüssel schütteln Abgeordnete den Kopf über Ungarn. Warum wütet Viktor Orbán gegen seine wichtigsten Geldgeber?

Ungarn will Geld, keine Kritik

"Zunächst einmal betrachtet der Ministerpräsident jede Kritik aus Europa – und sei sie auch noch so berechtigt – als unangemessene Einmischung von außen", sagt András Inotai, ehemaliger Direktor des Instituts für Weltwirtschaft in Budapest. Orbán sehe sich in der Rolle des Freiheitskämpfers, der Ungarn gegen die ausländischen Mächte verteidigt, die – so Orbáns Wortwahl – ihre Herrschaft über das osteuropäische Land ausdehnen möchten. Dazu zählt die EU genauso wie der IWF und ausländische Banken. Eine Ausnahme sind – vorerst noch - deutsche Autohersteller wie Audi und Mercedes, die große Werke in Ungarn betreiben und viele Leute beschäftigen.

Auch im Umgang mit der EU beweist die ungarische Regierung erstaunliche Flexibilität. Trotz aller Kritik, nimmt Budapest die Milliarden aus den Brüsseler Fördertöpfen gerne und selbstverständlich entgegen.

 

Ohne das Geld der EU läuft nichts

Die größten Nettoempfänger der EU
Ein bulgarischer Landwirt hält eine Nationalflagge während Protesten in Sofia Quelle: dpa
Eine Frau mit einer Rumänischen Flagge Quelle: dapd
Blitze über Bratislava Quelle: dpa
Die Altstadt von Vilnius Quelle: AP
Blick aus dem Rathausturm in Prag Quelle: dpa
Die Projektion der portugiesischen auf einem historischen Gebäude Quelle: REUTERS
Das ungarische Parlament Quelle: dpa

 

"Der Premier denkt, dass die EU quasi die Pflicht habe, Ungarn jeden finanziellen Betrag zur Verfügung zu stellen. Er reduziert die Mitgliedschaft des Landes in der EU auf den Erhalt von Milliarden von Euro – ohne Rücksicht auf die Einhaltung europäischer Grundrechte und gemeinsamer Werte", bemängelt Inotai.

Überraschend ist das nicht. Schließlich ist Ungarn wie kaum eine zweite Nation von den Fördergeldern der Brüsseler Staatengemeinschaft abhängig. Das Land ist einer der größten Nettoempfänger. Ohne das Geld läuft in Ungarn fast gar nichts. "Die EU-Förderprogramme sind fast ausschließlich die Hauptfinanzierungsquelle", sagt Erika Anders-Clever, Repräsentantin bei "Germany Trade & Invest" in Budapest, der Bundesgesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. Würden diese Gelder wegfallen, wären zahlreiche Infrastrukturprojekte in Gefahr.

Ungarn kann sich kaum noch finanzieren

"Gebaut wird inzwischen nur noch, wenn eine EU-Finanzierung hinter einem Vorhaben steckt", sagt Anders-Clever. Denn Auftragnehmer wie Anleger wissen: Beim Staat gibt es nicht mehr viel zu holen. Wie lange die Regierung noch offene Rechnungen zahlen kann, ist fraglich. Fakt ist: An den Märkten kann sich Ungarn kaum mehr finanzieren, nachdem alle der drei großen Ratingagenturen ungarische Staatsanleihen reihenweise abgewertet haben.

Das ist Viktor Orbán

Auch der Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt ist für Ungarn lebensnotwendig. Rund drei Viertel aller Exporte und mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts werden auf EU-Märkten abgesetzt. Dennoch verkennt der ungarische Ministerpräsident die Vorteile und behauptet, für sein Land gebe es auch "ein Leben außerhalb der EU".

Wirtschaft spielt nur eine Nebenrolle

„Die Vorteile der internationalen Einbettung der Wirtschaft spielen in Ungarn seit drei Jahren eine zweitrangige Rolle. Das Hauptaugenmerk der Regierung liegt darauf, einheimische und der Politik nahestehende Geschäftsleute (oft bei Missachtung der EU-Wettbewerbsregeln) ins Spiel zu bringen und dadurch ihre politische Macht für die nächsten 20 Jahre zu zementieren  – egal, zu welchem Preis.“

Das scheint durchaus zu gelingen. Die Proteste in Ungarn halten sich in Grenzen. Außer ein paar wenigen Studenten gibt es kaum hörbare kritische Stimmen am Kurs der Regierung. Die Gründe: Die Opposition ist zerstritten, die Medien sind von der Regierung auf Linie getrimmt – und die Bürger durch falsche Fakten geblendet.  

Orbán-Regierung hat "überhaupt keine Ahnung"

Wo in Europa die Schattenwirtschaft boomt
Rang 10: BelgienDas Königreich und Tschechien teilen sich den zehnten Rang. In den beiden Ländern beträgt der Wert der Waren und Dienstleistungen, die schwarz verkauft werden, 16,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes. So das Ergebnis einer Studie von Visa Europe. Während in Belgien der Trend seit 2009 rückläufig ist (ehemals 17,8 Prozent), hat die Schattenwirtschaft in Tschechien im Vergleich zur Wirtschaftsleistung des Landes zugelegt. Der Umfang der Schwarzarbeit in dem osteuropäischen Land etwa beträgt 4,4 Milliarden Euro. Übrigens: Auch in Deutschland hat die Schattenwirtschaft weiter Konjunktur, auch wenn das Land  im Europa-Vergleich nur auf Rang 19 (BIP-Äquivalent: 13 Prozent) landet. Nominal betrachtet ist die deutsche Schattenwirtschaft mit einem Volumen von 350 Milliarden Euro die größte in der Europäischen Union. Den größten Anteil an der Schattenwirtschaft in Deutschland weisen die Sektoren Produktion, Groß- und Einzelhandel sowie das Baugewerbe auf. Quelle: REUTERS
Rang 9: SpanienGemeinsam mit seinem Nachbarn Portugal liegt Spanien auf Rang 9. In den beiden Ländern ist die Schattenwirtschaft fast ein Fünftel so groß (19 Prozent) wie die gesamte Volkswirtschaft. Immerhin: In beiden Ländern ist der Trend leicht positiv. Dennoch sind die Nachteile große: Die Pleiteländer müssen mit geringeren Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge leben. Zudem wird die Realwirtschaft geschwächt, da sie nicht so billig sein kann wie die Schattenwirtschaft. Quelle: dapd
Rang 8: ItalienMit dem Stiefelstaat liegt direkt das nächste Euro-Krisenland in der Statistik weit vorne. Die Schattenwirtschaft in Italien ist mit einem Umfang von 332,6 Milliarden Euro die zweitgrößte in Europa (nominal betrachtet) und mit einem Anteil von 21 Prozent am BIP die achtgrößte. Sie bewegt sich damit auch 2013 - so jedenfalls die Prognose - auf dem Niveau der Vorjahre. Quelle: dpa
Rang 7: UngarnDer EU-Problemstaat verschenkt sein Talent. Eine moderne Infrastruktur und gut ausgebildete Menschen macht Ungarn für Investoren interessant. Doch mit seiner scharfen Rhetorik macht Ministerpräsident Viktor Orbán sein Land zum Pariastaat Europas. Offenbar verlieren auch immer mehr Menschen vor Ort das Vertrauen in den Staat und wenden sich von ihm ab. Die Schattenwirtschaft boomt und "erwirtschaftet" inzwischen einen Betrag von 22,7 Milliarden Euro. Das sind gut 22 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Quelle: dpa
Rang 6: SlowenienEinst Euro-Musterschüler, inzwischen Euro-Sorgenkind: Slowenien steckt tief in der Rezession. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent. Wer einmal ohne Job dasteht, kommt aufgrund des starren Arbeitsmarktes kaum wieder in Arbeit. Viele Bürger flüchten in die Schwarzarbeit. Deren Anteil am BIP liegt inzwischen bei 23,1 Prozent. Quelle: AP
Rang 5: GriechenlandÄhnlich wie in Slowenien sind die Probleme in Griechenland. Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Perspektiven. Steuerhinterziehung wird zudem als Kavaliersdelikt angesehen und wurde von den Behörden viele Jahre kaum ernsthaft verfolg. Im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung des Landes seit dem Ausbruch der Krise brach auch die Schattenwirtschaft. Während ehemals Waren und Dienstleistungen im Wert von 50 Milliarden Euro erwirtschaftet wurden, sind es 2013 wohl nur noch 43 Milliarden Euro. Der Anteil am BIP liegt konstant bei über 23,5 Prozent. Mit diesem Anteil liegt Griechenland gleichauf mit Polen. Quelle: REUTERS
Rang 4: LettlandZum 1. Januar 2014 möchte Lettland der Währungsunion beitreten. Die Wirtschaftsdaten sind gut: Das BIP wächst, die Staatsschulden liegen unter den Maastricht-Grenzwerten. Bei der Bekämpfung der Schattenwirtschaft gibt es allerdings noch große Probleme. Deren Anteil am BIP beträgt immense 25,5 Prozent (sechs Milliarden Euro). Quelle: dpa Picture-Alliance

So rühmt sich die Regierung, dass sie die Neuverschuldung des Staates reduziert hat. In der Tat lag das Defizit im vergangenen Jahr mit 1,9 Prozent deutlich unter der Maastricht-Grenze. Das können nur weniger EU-Mitgliedsstaaten behaupten. Die Kommission stoppte daraufhin das Defizitverfahren gegen Ungarn. Allerdings gelang die Einhaltung der Defizitkriterien nur, weil zahlreiche Steuern eingeführt wurden. So beträgt die Mehrwertsteuer inzwischen 27 Prozent, nirgendwo in der EU ist der Satz höher. Selbst Lebensmittel werden mit drastischen 18 Prozent besteuert. Zudem griff Orbán in die Rentenkasse, verstaatliche die privaten Fonds und nutzte das Geld, um Schulden zu begleichen.

Um ein Gefühl von Gerechtigkeit zu vermitteln, ließ Viktor Orbán auch Unternehmen zur Kasse bitten. Insbesondere Banken und Energiekonzerne wurden mit neuen Abgabeforderungen belastet. Nur: Sie gaben die Steuern in Form von höheren Gebühren an die Kunden weiter.

Ungarns Stärken

„Die Leute, die an der Macht sind, haben von Wirtschaft entweder überhaupt keine Ahnung oder sie sind unverschämt“, ärgert sich Inotai. Die Folge: Ungarn steckt in der Sackgasse. Der einheimische Konsum und die Investitionen sind auf ein Rekordtief von 16 Prozent des BSP gesunken Darüber hinaus zeigt auch der früher erfolgreiche Exportsektor Wachstums-, Struktur- und zunehmend auch Wettbewerbsschwächen.

Ungarns Schwächen

Doch auch die Europäische Union steckt in der Klemme. Stoppt sie (zumindest zeitweise) die Auszahlung von EU-Fördermitteln, droht die ungarische Wirtschaft zusammenzubrechen und vielen Menschen die Arbeitslosigkeit. Bleibt Brüssel untätig, verliert die Staatengemeinschaft an Glaubwürdigkeit.

„Die EU hat es verpasst, die Orbán-Regierung schon 2010 in die Schranken zu weisen“, klagt Inotai. Unmittelbar nachdem seine Fidesz-Partei – zweifelsfrei demokratisch – gewählt wurde, hat sie als eine der ersten Maßnahmen  die Pressefreiheit eingeschränkt. „Das war ein ganz klares Zeichen, wie die Regierung demokratischen Grundrechte missachtet“, so Inotai. Doch in Brüssel hielt man die Füße still.

Nun bleibt den EU-Mitgliedsländern nur noch, Ungarn bei Abstimmungen auf EU-Ebene seine Stimme zu entziehen. Dadurch allerdings könnte die europa-kritische Stimmung in Budapest zunehmen. Die Zusammenarbeit mit Viktor Orbán und seinen Vertretern bleibt schwierig – außer beim Thema Frauenquote.

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