Die Wahlbeteiligung war groß, das weltweite Interesse gigantisch. Millionen Engländer haben für oder gegen den Brexit gestimmt.
Bis zum Freitagmorgen soll klar sein, ob das Königreich Teil der EU bleibt oder ihr den Rücken kehrt.
Einen aktuellen Überblick der Stimmenauszählung finden Sie in unserer Detailkarte:
Dieser Donnerstag war ein Tag für die Geschichtsbücher: Rund 46,5 Millionen registrierte Wähler konnten darüber abstimmen, ob Großbritannien in der Europäischen Union bleiben oder ausscheiden soll. Im Falle eines Brexits wird ein Rücktritt von Premierminister David Cameron nicht ausgeschlossen.
In den Meinungsumfragen lagen Gegner und Befürworter des Austritts Kopf an Kopf. Buchmacher und Finanzmärkte setzten am Wahltag auf ein „Nein“ zum Brexit.
Der Tag im Nachrichtenüberblick:
- Es zeichnet sich eine Mehrheit für die Brexit-Gegner ab.
- In der Nacht ist der Pfund stark abgestürzt.
- Den aktuellen Stand der Auszählung sehen Sie auf unserer Detailkarte.
Mit dem offiziellen Ergebnis wird am Freitagmorgen gerechnet.
+++06.50+++
Großbritannien betritt nach Ansicht eines Beraters von Premierminister David Cameron Neuland. "Alle sind einfach nur müde, sie haben nicht geschlafen", sagt er vor Journalisten.
+++06.42+++
Der Chef der rechtspopulistischen niederländischen Partei für die Freiheit, Geert Wilders, hat nach der britischen Volksabstimmung ein EU-Referendum auch in seinem Land gefordert. „Bye bye Brüssel“, jubelte er angesichts des Vorsprungs für das Brexit-Lager in Großbritannien am Freitag auf Twitter. „Und die Niederlande werden die Nächsten sein!“
+++06.36+++
Angesichts des sich abzeichnenden Brexits rechnet ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski mit harten Zeiten für Europa. „Es sieht so aus, als ob Europas schlimmster Alptraum Wahrheit geworden ist“, sagte er am Freitag. Sollte sich das Ergebnis bewahrheiten, würden die wirtschaftlichen und politischen Folgen noch lange zu fühlen sein. „Es steht ein langer, schwieriger und dreckiger Scheidungsprozess an“. Selbst falls die Gegner des Austritts noch einen Sieg in letzter Minute schaffen sollten, „der Geist des Populismus und anti-europäischer Haltungen ist aus der Flasche entwichen und wird nur sehr schwer einzufangen sein.“
+++06.36+++
Der sich abzeichnende Sieg der Brexit-Befürworter hat der britischen Währung den größten Kurssturz seit mindestens 40 Jahren eingebrockt. Das Pfund Sterling brach am Freitag zeitweise um mehr als zehn Prozent auf 1,3304 Dollar ein - das war der tiefeste Stand seit September 1985. Der Euro brach um 4,1 Prozent auf 1,0914 Dollar ein - der größte Kursrückgang in der Geschichte der Gemeinschaftswährung. Anleger flüchteten statt dessen in den Schweizer Franken, der zum Euro auf den höchsten Stand seit August 2015 kletterte.
+++06.22+++
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel meldet sich via Twitter zu Wort. "Damn! Ein schlechter Tag für Europa", schreibt der Vizekanzler.
+++06.15+++
Beim EU-Referendum in Großbritannien ist der Vorsprung der Brexit-Befürworter auf mehr als eine Million Stimmen angewachsen. Am Freitagmorgen waren noch weniger als 40 der 382 Wahlbezirke auszuzählen.
+++06.10+++
Es zeichnet sich nun das ab, was keiner für möglich gehalten hat. Die Brexit-Befürworter liegen vorn. Die BBC hat bereits die EU-Gegner zum Sieger erklärt.
++05.15+++
Das britische Pfund ist während der Stimmenauszählung des Brexit-Referendums auf ein 31-Jahres-Tief von 1,3463 Dollar gefallen. Stunden zuvor hatte es noch bei mehr als 1,50 Dollar gestanden und damit den Spitzenwert des laufenden Jahres erreicht.
+++ 23.45 Uhr +++
Noch gibt es keine offiziellen Ergebnisse. Trotzdem melden sich erste britische Politiker zu Wort. Abhängig vom Lager sind die Töne mal zerknirscht, mal hoffnungsvoll: Der Chef der EU-skeptischen Ukip-Partei Nigel Farage hat sich pessimistisch zum Ausgang des Referendums über einen EU-Austritt geäußert. „Es sieht so aus, als sei die Wahlbeteiligung außerordentlich hoch und es scheint, als würden die EU-Befürworter knapp gewinnen“, sagte Farage dem britischen Fernsehsender Sky News zufolge unmittelbar nach Schließung der Wahllokale. Die Zukunft seiner euroskeptischen UKIP-Partei sieht er auch im Falle einer Niederlage nicht düster. „Die Partei wird nicht aufgeben und die Partei wird in der Zukunft weiterhin an Stärke gewinnen“, sagte Farage.
Premierminster David Cameron, Brexit-Befürworter, bedankte sich via Twitter bei den Wählern. „Dank an Alle, die dafür gestimmt haben, dass Großbritannien stärker, sicherer und besser in Europa bleibt“, schrieb er am Donnerstagabend nach Schließung der Wahllokale auf Twitter.
+++ 23.05 Uhr +++
Beim Brexit-Referendum in Großbritannien zeichnet sich nach einer ersten Befragung des Institutes YouGov eine Mehrheit für einen Verbleib in der Europäischen Union ab. Demnach sprachen sich 52 Prozent der britischen Wähler dafür aus, in der EU zu bleiben, und 48 Prozent dagegen. Die YouGov-Befragung, die unmittelbar nach Schließung der Wahllokale am Donnerstag vom Sender Sky News veröffentlicht wurde, entspricht jedoch nicht den Kriterien einer klassischen Wahlprognose und hat auch keine entsprechend hohe Verlässlichkeit. Eine ähnliche Umfrage hatte beim Referendum über die Abspaltung Schottlands richtig gelegen, bei der britischen Parlamentswahl im vergangenen Jahr aber falsch.
Bemerkenswert: In den Tagen zuvor hatten auch die Brexit-Befürworter in den Meinungsumfragen immer wieder vorne gelegen. Experten haben aber auch darauf hingewiesen, dass es am Ende auf die Stimmen der lange unentschlossenen Wähler ankommt. "Andere Abstimmungen, wie das Referendum in Schottland haben gezeigt, dass die Unentschlossenen aus Risikoaversion heraus für den Status Quo stimmen", sagte YouGov-Meinungsforscher Holger Geißler im Interview.
+++ 23.00 Uhr +++
Die Wahllokale schließen, die Auszählung der Stimmen beginnt. Rund 46,5 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, bis jetzt ihr Votum abzugeben. Mit dem offiziellen Endergebnis wird für Freitagmorgen ab 08.00 Uhr (MESZ) gerechnet.
+++ 22.43 Uhr +++
Gibraltar hat kurz vor der Schließung der Wahllokale die Beteiligung bekannt gegeben: Sie liege bei fast 84 Prozent, meldet die Agentur Press Association.
+++22.25 Uhr +++
Optimismus auch an den US-Börsen: Die Erwartung eines Verbleibs der Briten in der EU hat am Donnerstag den Dow Jones, S&P und Nasdaq beflügelt. Alle drei großen Indizes schlossen deutlich im Plus. In Frankfurt ging der Dax zuvor 1,9 Prozent höher aus dem Handel.
+++20.30 Uhr+++
Auch wenn das Referendum aus Sicht vieler Briten die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten ist – die Nacht durchmachen will die Mehrzahl nicht. Nein, er werde das Ergebnis nicht live verfolgen, erzählt ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes. Morgen müsse ja schließlich wieder gearbeitet werden. Es klingt, als hoffte er auf ein Stück Normalität. Die wird es aber wohl so schnell noch nicht mal im Fall eines „in“ geben. „Die Diskussionen werden doch noch wochenlang weitergehen“, befürchten viele.
Nur für die Banker in der Londoner City wird es eine lange Nacht. „Alle großen Investmentbanken haben Nachtschichten eingerichtet“, erzählt ein Banker. Vor allem an den Devisenmärkten könnte es im Fall eines Brexits zu immensen Verwerfungen kommen, die Handelsräume sollen jederzeit besetzt sein.
+++19.39 Uhr+++
Die Erwartung eines Verbleibs der Briten in der EU hat auch die US-Börsen beflügelt. Alle drei großen Indizes lagen zunächst deutlich im Plus. Der Dow-Jones-Index stieg um 0,9 Prozent auf 17.933 Punkte. Der breiter gefasste S&P legte ebenfalls um 0,9 Prozent auf 2104 Stellen zu. Der Index der Technologiebörse Nasdaq gewann 1,2 Prozent auf 4889 Zähler.
Großbritanniens Rolle in der Europäischen Union
Nach Deutschland ist Großbritannien die zweitgrößte Wirtschaftsmacht in der EU. Das Königreich steuert ein Sechstel zur gesamten Wirtschaftsleistung aller EU-Staaten von 14,6 Billionen Euro bei. An Finanzdienstleistungen exportiert Großbritannien 20 Milliarden Euro mehr in die EU als es von dort erhält. Auf der Insel befindet sich - geballt im Finanzzentrum London - der viertgrößte Bankensektor der Welt. Die britische Finanzbranche steuerte 2014 fast 250 Milliarden Euro oder rund zwölf Prozent zur britischen Wirtschaftsleistung bei.
Mit rund fünf Milliarden Euro war Großbritannien im gleichen Jahr der drittgrößte Nettozahler in den EU-Haushalt nach Deutschland und Frankreich. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) lagen die Briten mit ihrem Beitrag indes nur auf Platz zehn.
Auf der Bühne der Weltpolitik kann die EU auch dank Großbritanniens mitreden. Denn mit dem Vereinigten Königreich und Frankreich entfallen zwei von fünf Veto-Stimmen im UN-Sicherheitsrat auf die EU. Neben den Franzosen verfügen nur die Briten in der EU über Atomwaffen. Britische Streitkräfte beteiligen sich an EU-Militäreinsätzen, unter anderem an der Operation "Atalanta" am Horn von Afrika, die von Northwood in England gesteuert wird. Als eines von vier EU-Staaten erreicht das Königreich die Nato-Vorgabe, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben.
Maßgeblich für den Einfluss eines Mitgliedslandes in der EU ist sein Stimmanteil im EU-Rat. Entscheidend ist dabei die Bevölkerungszahl. Damit entfallen auf Deutschland und seine rund 81 Millionen Einwohner mit 15,93 Prozent die meisten Stimmrechte. Knapp hinter Frankreich liegt Großbritannien mit 64 Millionen Bürgern und einem Stimmanteil von 12,73 Prozent auf Platz drei. Damit ein EU-Gesetz angenommen werden kann, müssen bei einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit 55 Prozent der 28 Mitgliedsländer, die zugleich 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung stellen, mit "Ja" stimmen.
Von den etwa 55.000 Mitarbeitern der EU-Institutionen haben rund 2000 einen britischen Pass. Im 751 Abgeordnete umfassenden EU-Parlament stammen 73 aus dem Vereinigten Königreich. Mit dem Tory Syed Kamall von den "Europäischen Konservativen und Reformern" sowie dem rechtspopulistischen Ukip-Chef Nigel Farage von der Gruppierung "Europa der Freiheit und direkten Demokratie" führen britische Abgeordnete zwei von acht Fraktionen im Parlament. In der EU-Kommission ist der ranghöchste Brite Jonathan Hill, der für die Regulierung der Finanzmärkte zuständig ist. Insgesamt sind 1126 Briten bei der EU-Kommission beschäftigt, was 3,8 Prozent der Gesamtzahl der Mitarbeiter entspricht. Deutschland stellt 2175 Angestellte und Beamte für die Brüsseler Behörde.
Mit der Aufnahme osteuropäischer Staaten in die EU 2004 hat das Englische Französisch als Gebrauchssprache der EU-Institutionen mehr und mehr verdrängt. Denn in Polen, Tschechien oder im Baltikum ist Englisch als Fremdsprache weitaus stärker verbreitet. Mittlerweile gibt es Sprecher der EU-Kommission, die auf Französisch gestellte Fragen auf Englisch beantworten - was vor Jahren noch ein undenkbarer Affront gewesen wäre. Selbst der aus Frankreich stammende EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici wechselt bei Pressekonferenzen regelmäßig ins Englische.
Auch im eher frankophonen Brüssel haben sich die Belgier auf die englischsprachigen Zugezogenen eingestellt - bei Durchsagen in Bussen und Bahnen, in Restaurants oder Geschäften. Unabhängig von der betonten Zurückhaltung der britischen Regierung bei Fragen der EU-Integration ist die Weltsprache Englisch also fester und verbindender Bestandteil der Europäischen Union.
+++18.45 Uhr+++
Der Dax kletterte den fünften Tag infolge und schloss mit einem Kursplus von 1,85 Prozent auf 10.257,03 Punkte. Zeitweise hatte das Börsenbarometer seine Kursgewinne sogar auf weit über 10.300 Zähler ausgebaut. Dabei scheinen die Anleger zunehmend überzeugt vom Verbleib der Briten in der Europäischen Union. „Der Dax wählt den Bremain“, kommentierte Analyst Jochen Stanzl von CMC Markets.
+++18.20 Uhr+++
Italiens Wirtschaftsminister Pier Carlo Padoan sieht unabhängig von dem Ausgang der Brexit-Abstimmung Folgen für die Europäische Union. Man könne "nicht so weitermachen, als wäre nichts geschehen", sagt er. "Es hat bereits einen Bruch gegeben."
+++17.49 Uhr+++
Das Ergebnis des Referendums ist für das Parlament nicht bindend. Aber es wird großen politischen Druck geben, das Ergebnis umzusetzen.
+++17.46 Uhr+++
Der Wahlkampf läuft bis zur letzten Sekunde. Unentschlossene sollen noch motiviert, Wankelmütige überzeugt werden. Ivan, der vor der Liverpool Street Station Sticker mit "I'm in" verteilt hat, fährt schwere Geschütze auf. "Ich mag keine Nationalisten", sagt er. Die EU sei zwar auch nicht toll, aber alle anderen Lösungen seien schlechter.