Die Folge: Die Inflation galoppiert, die Teuerungsrate dürfte 2012 bei rund sechs Prozent liegen. In diesem Jahr rechnet die Regierung mit einer Inflationsrate von vier Prozent. Das bremst den Binnenkonsum mehr und mehr aus. Die Inlandsnachfrage wuchs zuletzt 2007, im vergangenen Jahr ging der Konsum der Ungarn hingegen um 4,2 Prozent zurück. In Budapest müssen immer wieder kleinere Läden schließen. Auch zahlreiche Wohnungen und Büros in der Hauptstadt stehen leer.
„Auch die Budapester Verkehrsbetriebe befinden sich in einer äußerst prekären Lage“, berichtet Franke. Politik und Manager haben die Gesellschaft heruntergewirtschaft und zum Teil geplündert. Mehr als ein Dutzend Strafverfahren laufen. Die BKV haben Schulden von über 300 Millionen Euro angehäuft. Doch eine Pleite, wie bei der staatlichen Fluglinie Malev, die vor gut einem Jahr in die Insolvenz geschickt wurde, ist unwahrscheinlich. „Die Bedeutung, die der öffentliche Personennahverkehr für die Menschen und die Wirtschaft hat, ist enorm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierung eine Pleite hinnehmen würde“, sagt Franke. Die Angestellten sind trotzdem in Angst, sie fürchten Stellenabbau und Gehaltskürzungen.
Das ist Viktor Orbán
Viktor Orbán, 1963 geboren, wuchs in bescheidenen Verhältnissen in einem Dorf bei Szekesfehervar - 70 Kilometer südwestlich von Budapest - auf. Im ländlichen Umfeld seiner Kindheit galt er als schwer erziehbar.
Als Jurastudent in der Hauptstadt Budapest rebellierte Orbán mit Gleichgesinnten gegen den geistlosen Obrigkeitsstaat im späten Kommunismus. Der Fidesz, den er mitbegründete, war die erste unabhängige Jugendorganisation dieser Zeit.
1998 übernahm Orbán erstmals die Regierungsgeschäfte. Mit 35 Jahren war er damals der jüngste Ministerpräsident der ungarischen Geschichte.
Als Orbán 2002 überraschend die Wahl und damit die Regierungsmacht verlor, wollte er sich damit nicht abfinden. Er ließ seine Anhänger aufmarschieren und reklamierte auf "Wahlbetrug". Die regierende Linke setzte der Oppositionsführer immer wieder mit Straßenkundgebungen und Volksabstimmungen unter Druck.
Die Wahlen im Frühjahr 2010 brachten Orbán die langersehnte Rückkehr an die Macht, noch dazu mit der verfassungsrelevanten Zweidrittelmehrheit für seine Fidesz-Fraktion.
Nach seiner Rückkehr sprach Orbán umgehend von einer "Revolution der Wahlkabinen" und von der Ankunft eines neuen "Systems der nationalen Zusammenarbeit".
Das bedeutete in der Praxis die Aushöhlung demokratischer Institutionen. Kritiker zufolge ordnet Orbán seine ganze Politik seinen Machtbedürfnissen unter. So würden auch die kürzlich verabschiedeten Verfassungsänderungen vor allem dazu dienen, dass Orbán noch mehr schalten und walten kann, wie er will.
Für die nächsten 15 bis 20 Jahre, so erklärte Orbán vor Partei-Intellektuellen, müsse "ein einziges politisches Kraftfeld die Geschicke der Nation bestimmen".
Fragwürdige Mittel
Um die Bürger zu besänftigen und die Inflation in den Griff zu bekommen, greift Viktor Orbán zu fragwürdigen Mitteln. Beispiel Energiesektor: Per Dekret führte die Regierung zum Jahresbeginn Preisgrenzen für Strom, Gas und Fernheizung für private Abnehmer ein – die Haushalte wurden so um zehn Prozent entlastet. Den Schaden haben die privatwirtschaftlichen Unternehmen. Sie müssen jährlich Einbußen in Höhe von über 315 Millionen Euro verkraften. Auch deutsche Konzerne wie EnBW und RWE sind betroffen. Der Essener Dax-Konzern meldete, in diesem Jahr in Ungarn keine Gewinne mehr einzufahren. Auch ausländische Telefongesellschaften und Banken werden willkürlich gegängelt. Laut einer Umfrage der Deutsch-Ungarischen Handelskammer klagen 87 Prozent der Firmen über die mangelnde Berechenbarkeit von Orbáns Politik.
Der konservative Ministerpräsident spielt ein gefährliches Spiel: Seine „Reformen“ kommen beim Wahlvolk gut an und halten Ungarn mit letzter Kraft am Leben. Doch weitere Eingriffe kann sich Orbán nicht leisten, zu abhängig ist sein Land von funktionierenden, exportstarken Unternehmen. Abgesehen von Irland und Estland, exportiert kein anderes EU-Land einen so hohen Anteil seines Bruttoinlandsprodukts: Knapp 90 Prozent waren es im vergangenen Jahr, und die großen Exporteure sind die ausländischen Investoren.
„Die Stimmung bei den Unternehmen wird immer schlechter“, warnt Erika Anders-Clever, Repräsentantin bei "Germany Trade & Invest" (GTAI) in Budapest, der Bundesgesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing. Zu investieren wage kaum noch ein Mittelständler, Mitarbeiter einzustellen erst recht nicht. Es herrscht Untergangsstimmung.