4. Welche Folgen hat die EZB-Politik für die Euro-Krisenstaaten?
Die Euro-Krisenstaaten dürften die geldpolitischen Lockerungen der EZB begrüßen. Vor allem Politiker in Italien und Frankreich hatten zuletzt starken Druck auf die Währungshüter ausgeübt, die Geldschleusen erneut zu öffnen. Hintergrund: die hohen Schulden.
Da die Sparbereitschaft schwindet und ein Schuldenschnitt tabu ist, müssen die Zinsen unter die Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts rutschen, damit die Schuldenquoten nicht durch die Decke gehen. Erneute Leitzinssenkungen der EZB treiben die Anleger in den Kauf langlaufender Staatsanleihen. In der vergangenen Woche sind die Zinsen für zehnjährige Staatspapiere Italiens und Spaniens unter die Marke von drei Prozent gerutscht.
So günstig haben sich die Regierungen in Rom und Madrid seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr finanziert. Damit hat sich die Bonitätsbewertung von der realwirtschaftlichen Lage – Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit – abgekoppelt. Das Fatale daran: Mit jedem Zehntelpunkt, den die Zinskosten der Krisenländer fallen, lässt auch der Druck zu Reformen und zur Konsolidierung des Staatshaushalts nach. Daher kann es nicht verwundern, dass die Regierungschefs Italiens und Frankreichs – kaum dass die EU-Wahlen vorbei sind – schon lauthals fordern, den Sparkurs in der Euro-Zone zu beenden.
5. Müssen wir langfristig mit Deflation oder Inflation rechnen?
Mit 0,7 Prozent liegt die Teuerungsrate in der Euro-Zone unter dem Inflationsziel der EZB von knapp unter zwei Prozent. Von einer Deflation, einem nachhaltigen Rückgang des Preisniveaus, sind wir aber weit entfernt. Zwar wirkt das Platzen von Kredit- und Spekulationsblasen deflationär, weil im Boom aufgebaute Überkapazitäten auf die Preise drücken.
Kommt es zu Bankenpleiten, schrumpft zudem die Geldmenge. Die Preise sinken dann auf breiter Front. In der Euro-Zone haben die Regierungen und die Zentralbank die Banken jedoch durch Liquiditäts- und Eigenkapitalspritzen am Leben gehalten und eine Kontraktion der Geldmenge verhindert.
Die Geldmenge M3 (Bargeld, Sicht-, Spar-, Termineinlagen sowie Geldmarktfonds) wächst derzeit zwar nur um 0,8 Prozent. M1 jedoch (Bargeld und Sichteinlagen), für die Finanzierung der Güterkäufe entscheidend, expandiert mit Raten von über fünf Prozent. Eine Deflation ist daher kaum zu erwarten.
Dass die Preise in einigen Krisenländern nachgeben, ist eine Folge der rückläufigen Lohnkosten, durch die die Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Fängt sich die Konjunktur, steigen auch Kapazitätsauslastung und Kreditnachfrage. Dann wächst die Geldmenge beschleunigt.
Die Vehemenz, mit der die EZB auf eine höhere Inflation zustrebt, lässt Zweifel aufkommen, dass sie dann den Fuß rechtzeitig vom Gas- auf das Bremspedal wechselt. Die Bürger sollten sich also mittelfristig auf höhere Inflation einstellen.
6. Zerstört die monetäre Flutwelle unser Geldsystem?
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hatte keine hohe Meinung vom Staat als Herrscher über das Geldwesen. Er betrachtete die Geschichte des staatlichen Umgangs mit Geld als „eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug“. Lebte der große liberale Ökonom noch, sähe er sich durch die aktuelle Geldpolitik bestätigt.
Zwar hat die EZB – anders als die Notenbanken in den USA, Japan und Großbritannien – noch nicht in ganz großem Stil Staatsanleihen gekauft und die Wirtschaft mit Geld geflutet. Daher schrumpft die Bilanzsumme der EZB, während die der anderen Notenbanken wächst. Doch könnte auch die EZB bald zur Politik der „Quantitativen Lockerung“ übergehen.
Anhaltend niedrige Teuerungsraten, eine schleppende Konjunktur und ein starker Euro könnten sie dazu treiben. Ein Ausstieg aus der Politik der Geldvermehrung wäre kaum mehr möglich. Denn die Notenbank, die als erste beginnt, die Geldmenge abzusaugen, muss mit einer rasanten Aufwertung ihrer Währung rechnen. Hat sich die Euro-Zone erst einmal an einen weichen Euro gewöhnt, ist der Entzug politisch kaum mehr durchsetzbar.
Das gilt auch für die Finanzierung der Staatshaushalte durch die Notenpresse. Auch hier dürften Gewöhnungseffekte einsetzen, die der EZB den Rückzug aus der quantitativen Lockerung unmöglich machen. So wäre die EZB endgültig zum Finanzier der Regierungen mutiert.
Die Politik der ungebremsten Geldvermehrung ginge mit Blasen an den Finanzmärkten und heftigen Teuerungsschüben einher und zerstörte das Vertrauen in das Papiergeld. So wird aus der Finanz- und Schuldenkrise am Ende eine Geldkrise. Die Bürger begännen, den Euro durch Währungen ihres Vertrauens – vermutlich Edelmetalle – zu ersetzen. Am Ende diente der Euro nur noch dazu, offizielle Zahlungsvorgänge abzuwickeln. Ersparnisse und private Käufe wickelten die Bürger dann mit Gold oder Goldzertifikaten ab.