9. Sind Nullzinsen für Unternehmen gut oder schlecht?
Nutznießer wären allen voran die deutschen Paradeunternehmen. Sie können ihre Bonität noch besser ausspielen, um günstig Geld bei Anhängern festverzinslicher Wertpapiere einzusammeln. So ließ die WirtschaftsWoche vor knapp einem Jahr den inzwischen verstorbenen Bilanzspezialisten Karlheinz Küting berechnen, wie viel Geld ausgewählte Dax-Konzerne durch Umschuldung in niedriger verzinste Anleihen sparten. Würden sie die Aktion nun in gleichem Umfang wiederholen und die damaligen Zinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte drücken, kämen Ersparnisse in dreistelliger Millionenhöhe zusammen.
VW könnte den Gewinn um 74 Millionen Euro pro Jahr erhöhen. Über die Laufzeiten aller neuen Anleihen hinweg würde Europas größter Autobauer einen Windfall-Profit von 222 Millionen bis 740 Millionen Euro einfahren. Daimler müsste sich, gemessen an der Umschuldung im Jahr 2012, mit weniger zufriedengeben. Trotzdem könnten die Schwaben pro Jahr mit einer Zinsersparnis von 23 Millionen Euro rechnen, die sich über die gesamte Laufzeit auf 70 bis 235 Millionen Euro summieren würde.
Solchen Gewinnen stünden höhere Aufwendungen für die betriebliche Altersvorsorge gegenüber, weil sich die Rückstellungen schlechter verzinsen als geplant. „Die Kehrseite sehen wir bei den bilanziellen Pensionsverpflichtungen“, sagt BASF-Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel. „Hier führt ein niedrigerer Rechnungszinsfuß dazu, dass diese stärker steigen als das Pensionsvermögen – selbst bei einer guten Performance unserer Kapitalanlagen.“
Mit weitreichenden Konsequenzen für die Unternehmensstrategie ist durch noch niedrigere Zinsen kaum zu rechnen. Bayer etwa hat jüngst für rund zehn Milliarden Euro das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten vom US-Konzern Merck & Co. erworben. Von kleinen Veränderungen bei den Zinsen hängen Übernahmen aber kaum ab. „Schließlich steigen bei niedrigen Zinsen in der Regel auch die Preise solcher Übernahmeziele“, sagt Peter Müller, Leiter Konzernfinanzen. „Bayer kauft und investiert, weil es strategisch und ökonomisch sinnvoll ist, und nicht, weil wir es günstig finanzieren können.“
Bei ThyssenKrupp werden vor allem Vorteile der niedrigen Zinssätze gesehen: „Da wir zurzeit Nettofinanzverbindlichkeiten haben, würden wir tendenziell von einer nachhaltigen Reduzierung der Zinssätze im Markt profitieren“, heißt es aus dem Konzern. Es sei allerdings fraglich, ob sich eine mögliche Zinssatzsenkung überhaupt im Markt widerspiegelt und wie lange die neue Situation anhalten werde. Soweit, so cool. Dramatik allerdings bei RWE. Die Nettoschulden des Essener Energieversorgers sind 2012 um fast 2 Milliarden Euro gestiegen, weil RWE im Rahmen der üblichen Diskontierung zusätzliche Pensionsrückstellungen bilden musste, ein Effekt der Zinsentwicklung.
Grundsätzlich sind null Prozent Zinsen für Unternehmen nichts Unbekanntes – dank sogenannter Wandelanleihen. So begab der Medizintechnik- und Klinikkonzern Fresenius unlängst eine 375 Millionen Euro schwere Anleihe zu null Prozent Zinsen. Die Käufer kommen dennoch auf ihren Schnitt – sofern die Fresenius-Aktie innerhalb von fünf Jahren kräftig steigt.
10. Was bedeutet das Zinstief für die Anleger?
In einer Nullzinswelt kommen Anleger an Aktien nicht vorbei. Nicht nur Kursgewinne locken, auch die Aussicht auf Dividenden lässt Geld von Zinsanlagen in Aktien fließen. Momentan zahlen die Dax-Konzerne im Schnitt 2,7 Prozent Dividendenrendite – mehr als doppelt so viel, wie eine zehnjährige Bundesanleihe abwirft.
Insbesondere dividendenstarke Titel dürften vom Run auf Aktien profitieren. Allerdings verliert der Zins seine Funktion als Auslesekriterium. Bei einem Nullzins können finanziell angeschlagene Unternehmen länger überleben. Obwohl eine Pleite unvermeidbar ist, könnten Anleger im Einzelfall Aktien länger halten, als es ratsam wäre.
Der zinsbedingte Geldstrom in Aktien hebt zwar die Kurse, weil Geld neue Anlagechancen sucht und Alternativen wie Anleihen unattraktiv sind, erhöht aber auch das Anlagerisiko. Mit jedem neuen Höchststand beim Dax – ohne fundamental bessere Aussichten – koppeln sich die Kurse stärker von den Unternehmensgewinnen ab, es bauen sich Überbewertungen auf.
Schon jetzt kostet der Dax im Schnitt etwa das 18-Fache des für 2014 erwarteten Gewinns. Zum Vergleich: 2012 war es etwa das 15-Fache. Stottert der Konjunkturmotor, könnte der Crash umso heftiger ausfallen.