Die Europäische Zentralbank (EZB) verschärft ihren Kurs trotz der anhaltenden Mini-Inflation vorerst nicht. Bei den Zinsen ließ der EZB-Rat bei seiner Sitzung am Donnerstag in Frankfurt alles beim Alten, und das gewaltige Anleihenkaufprogramm wird zunächst nicht verlängert. Die Notenbank bekräftigte, dass die Käufe bis mindestens zum März 2017 aufrechterhalten werden.
Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Zentralbankgeld besorgen können, bleibt auf dem Rekordtief von null Prozent. Parken Banken überschüssiges Geld bei der EZB, müssen sie dafür weiterhin 0,4 Prozent Strafzinsen zahlen
Bis März 2017 will die EZB unverändert Monat für Monat 80 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere stecken, insgesamt 1,74 Billionen Euro. Gut eine Billion ist bereits investiert. Seit diesem Juni stehen auch Unternehmensanleihen auf dem Einkaufszettel.
Die EZB will zum Ankurbeln der mauen Konjunktur bei Bedarf weitere geldpolitische Maßnahmen ergreifen. "Falls nötig, werden wir mit allen uns im Rahmen des Mandats zur Verfügung stehenden Mitteln handeln", sagte EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt. Die zuständigen Ausschüsse seien vom EZB-Rat mit der Bewertung von Optionen beauftragt worden, um die reibungslose Umsetzung des Wertpapier-Kaufprogramms sicherzustellen. Eine Verlängerung sei aber bei der jüngsten Sitzung nicht besprochen worden.
Laut EZB-Zinsbeschluss soll das Kaufprogramm bis Ende März 2017 oder bei Bedarf sogar darüber hinaus laufen. Die EZB und die nationalen Notenbanken der Euro-Länder dürfen derzeit nur Papiere mit einer Rendite oberhalb des Einlagenzinses von aktuell minus 0,4 Prozent erwerben. Analysten haben in den vergangenen Wochen davor gewarnt, dass kauffähige Papiere bald knapp werden könnten. Das betrifft vor allem Bundesanleihen, deren Renditen zuletzt bei Papieren mit Laufzeiten bis zu sieben Jahren unterhalb des Einlagensatzes lagen. Seit dem Start des Kaufprogramms im März 2015 sind die Renditen deutscher Staatsanleihen kräftig gesunken.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Das billige Geld soll die Konjunktur ankurbeln und die anhaltend niedrige Inflation wieder in Richtung der EZB-Zielmarke von knapp unter 2,0 Prozent befördern. Denn langfristig niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Investitionen aufschieben, weil sie erwarten, dass es noch billiger wird.
Im August lag die jährliche Teuerungsrate im Euroraum gerade einmal bei 0,2 Prozent. Daher hatten viele Volkswirte damit gerechnet, dass die Notenbank schon bei ihrer September-Sitzung nachlegen und das Anleihenkaufprogramm nochmals um ein halbes Jahr verlängern wird. Allerdings erklärt sich die Mini-Inflation zum Großteil mit dem niedrigen Ölpreis
Hinzu kommt: Die Wirtschaft verdaute den Brexit-Schock besser als erwartet. Am 23. Juni hatten sich die Briten mehrheitlich dafür ausgesprochen, dass ihr Land die Europäische Union verlässt. Der genaue Austrittsprozess ist noch offen. Das Nein der Briten zur EU sorge für konjunkturellen Gegenwind, hatte EZB-Präsident Mario Draghi bei der letzten EZB-Ratssitzung Ende Juli gesagt. Es sei jedoch „zu früh, die mittelfristigen Auswirkungen des Brexit zu beurteilen“.
Die EZB hat ihre Geldpolitik ohnehin schon extrem ausgeweitet. Kritiker bezweifeln, dass weitere Maßnahmen noch etwas nutzen würden. Die Staaten müssten endlich notwendige Reformen auf den Weg bringen.
Vor allem aus Deutschland gab es zuletzt wieder viel Kritik am Kurs der Notenbank. Ex-Bundesbank-Präsident Axel Weber urteilte, das viele billige Geld erreiche das angestrebte Ziel nicht. Der Präsident der Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld, äußerte sich besorgt: „Für den Bankensektor wird die derzeitige Zinspause mehr und mehr zu einer bedrohlichen Durststrecke.“ Er warnte: „Das gefühlt ewige Zinstief lässt die Ertragsbasis der Institute langsam, aber sicher erodieren.“ Viele Sparer bekommen schon lange kaum noch Zinsen.
EZB-Präsident Mario Draghi legt Deutschland einen Abbau seiner rekordhohen Exportüberschüsse nahe. "Geringere Überschüsse wären willkommen", sagte Draghi am Donnerstag in Frankfurt. Dies sei aber nicht per Knopfdruck möglich. "Das ist keine Planwirtschaft." Staaten mit hoher Wettbewerbsfähigkeit sollten daheim die Nachfrage stärken. "Mit anderen Worten: Länder, die finanziellen Spielraum haben, sollten ihn nutzen", so Draghi. "Und Deutschland hat haushaltspolitischen Spielraum."
Nach einer Prognose des Ifo-Instituts wird Deutschland in diesem Jahr mit 310 Milliarden Dollar den höchsten Überschuss in der Leistungsbilanz weltweit ausweisen und damit China überholen. Kritiker sehen darin ein Risiko für die Weltwirtschaft, weil solchen Ländern jene mit enormen Defiziten gegenüberstehen, die dafür Schulden machen müssen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat jüngst seinerseits "die zu hohe, besorgniserregend hohe Liquidität durch die Geldpolitik der großen Zentralbanken" kritisiert. Draghi sagte dazu, der CDU-Politiker habe diese Äußerung nicht speziell auf den Euro-Raum gemünzt. Draghi forderte zudem mehr Reformen als Schrittmacher für ein höheres Wirtschaftswachstum. "Strukturreformen sind in allen Staaten des Euro-Raums nötig." Das Thema war bereits beim Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer in den Mittelpunkt gerückt.
Draghi ist am 28. September im Europa-Ausschuss des Bundestages zu Gast und will sich dort den Fragen der Abgeordneten stellen. Dies ist ungewöhnlich. In Deutschland geschah dies zuletzt im Jahr 2012. Draghi war im Frühjahr wegen der lockeren Geldpolitik von deutschen Politikern scharf angegriffen worden