Europäische Zentralbank Mario Draghi und das billige Geld

Morgen will sich die Europäische Zentralbank langfristig auf eine expansive Geldpolitik festlegen, mit Zinsen nahe der Nulllinie. Was bedeutet das für Konjunktur, Unternehmen, Anleger – und das Geldsystem?

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Europa ist nur bedingt wettbewerbsfähig
Ein Mann trägt eine griechische Flagge Quelle: dpa
ItalienAuch Italien büßt zwei Plätze ein und fällt von Rang 44 auf Rang 46. Die Studienleiter kritisieren vor allem das Finanz- und Justizsystem. Die Abgaben seien zu hoch und Verfahren viel zu langwierig und intransparent. Lediglich bei der Produktivität und mit seiner Infrastruktur liegt der Stiefelstaat im Mittelfeld. Ein wenig besser macht es ... Quelle: REUTERS
Ein Mann schwenkt eine portugiesische Flagge Quelle: AP
Stierkampf Quelle: dpa
Eine Frau hält eine Fahne mit einer französischen Flagge in der Hand Quelle: REUTERS
Das Parlamentsgebäude in Wien Quelle: dpa
Finnische Flagge Quelle: dpa

Ort und Zeit waren perfekt gewählt. Das palastartige Luxushotel in den Hügeln über dem portugiesischen Städtchen Sintra gewährte der internationalen Geldelite die gewünschte Abgeschiedenheit. Mehr als 150 Finanzexperten, Notenbanker und internationale Top-Ökonomen folgten vorvergangene Woche dem Ruf von Mario Draghi, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) – zum Nachdenken über die zukünftige Geldpolitik. Draghi war entzückt von seiner Veranstaltung und demonstrierte gar Demut: „Ich bin zutiefst dankbar, was ich in den vergangenen zwei Tagen alles gelernt habe“, schwärmte er und bat die Anwesenden: „Kommen Sie nächstes Jahr wieder.“

Dass das weltweite Interesse an dem Treffen so groß war, lag nicht zuletzt an einem ganz anderen Termin – der Ratssitzung der EZB am kommenden Donnerstag. An diesem Tag könnten die Frankfurter Währungshüter eine neue Ära der Geldpolitik einläuten. Seit einigen Wochen bereits bereitet die EZB die Märkte darauf vor, dass sie die geldpolitischen Zügel erneut lockern und dabei auch ganz neue Wege ausloten will.

In Sintra beendete Draghi seine detaillierte Analyse der „Anatomie der Inflation“ mit den aufschlussreichen Worten: „Wir werden im EZB-Rat die Nachteile und Vorteile eines jeden geldpolitischen Instruments sehr genau debattieren. Worüber wir nicht streiten werden, ist unsere Zielmarke einer Inflation von zwei Prozent.“

Deflationäre Abwärtsspirale

Von dieser Zielmarke sind die Volkswirtschaften im Euro-Raum allerdings meilenweit entfernt. Sie liegt derzeit gerade einmal bei 0,7 Prozent. Die niedrige Teuerungsrate, die nach wie vor schwächelnde Konjunktur in vielen Euro-Staaten und die lahmende Kreditvergabe könnten in eine deflationäre Abwärtsspirale münden, fürchten die Euro-Hüter.

Das ließe die Schuldenquoten der Euro-Staaten wieder in die Höhe schnellen. Eine – de facto – Nullzinspolitik soll daher nun die Inflationsrate steigern und den Euro-Wechselkurs drücken, um die Exportwirtschaft anzukurbeln.

Die Notenbanken, das zeigte sich auch in Sintra, rücken damit immer mehr ins Zentrum der Politik. „Zentralbanken haben jetzt schon und werden auch in Zukunft ein breiteres Mandat haben“, sagte Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Den anwesenden Notenbank-Chefs rief sie zu: „Für mich sind die Zentralbanker die Helden der Krise. Und Sie haben die Möglichkeit, das zu bleiben.“

Das Problem ist nur: Was die Helden verordnen, ist eine Medizin mit gefährlichen Nebenwirkungen. Was bedeuten Geldschwemme und Nullzinspolitik für Konjunktur, Sparer und Investoren?

1. Wozu brauchen wir überhaupt Zinsen – und wie hoch sollten sie sein?

Die meisten Menschen denken beim Begriff Zinsen an das, was ihnen die Bank für ihren Ratenkredit in Rechnung stellt oder für Spareinlagen gutschreibt. Doch Zinsen haben für Wirtschaft und Gesellschaft eine weitaus größere Bedeutung: Sie sind eine Kategorie menschlichen Handelns.

Der Zins spiegelt wider, dass die Menschen eine Vorliebe für raschen Konsum, für den Genuss im Hier und Jetzt haben. Ökonomen sprechen von der Zeitpräferenz. Diese Vorliebe führt dazu, dass die Menschen einen Ausgleich verlangen, wenn sie auf schnellen Konsum verzichten.

Wer spart und auf Konsum verzichtet, erhält dafür deshalb einen Zins. Je höher die Präferenz der Menschen für den Gegenwartskonsum ist, desto höher ist der geforderte Zins. In einer freien Marktwirtschaft kann der Zins niemals null oder negativ sein. Denn eine negative Zeitpräferenzrate bedeutete, dass die Menschen ihren gesamten Konsum in die Zukunft verschieben.

Verzerrte Entscheidungen

Doch in der Realität herrscht keine freie Zinsbildung. Vielmehr manipulieren die staatlichen Zentralbanken die Zinsen nach Belieben. So hat die EZB die Marktzinsen durch ihre Niedrigzinspolitik in den vergangenen Jahren immer weiter nach unten gedrückt. Sie liegen mittlerweile wohl weit unter der Zeitpräferenzrate der Menschen.

Die Mini-Zinsen verzerren die Entscheidungen zwischen heutigem und zukünftigem Konsum. Sie vergällen den Menschen das Sparen, schmälern die Kapitalbildung – und fördern ein Leben auf Pump.

Die Pläne der EZB

EZB-Präsident Mario Draghi will mit noch weiter sinkenden Zinsen und diversen anderen Maßnahmen die Inflationsrate erhöhen und den Wechselkurs des Euro nach unten drücken. Davon sollen dann vor allem die Euro-Krisenstaaten profitieren. Quelle: dpa Picture-Alliance

2. Was plant die Europäische Zentralbank?

Experten erwarten, dass die EZB auf ihrer mit Spannung erwarteten Sitzung am kommenden Donnerstag ein Bündel von Maßnahmen ergreift:

- Senken des Refi-Satzes Wahrscheinlich senkt die EZB den Hauptrefinanzierungssatz (Refi-Satz), zu dem sie den Geschäftsbanken Zentralbankgeld leiht, von derzeit 0,25 in Richtung null Prozent. Das Kalkül: Die Banken sollen die niedrigeren Geldbeschaffungskosten an ihre Kreditkunden weitergeben.

So sollen das Kreditgeschäft und die Konjunktur in den Krisenländern angekurbelt werden. Ob dies gelingt, ist fraglich. Zum einen ist der Zins schon jetzt historisch niedrig. Zum anderen sind Bürger und Unternehmen in den Peripherieländern hoch verschuldet. Ihr Interesse an zusätzlichen Krediten dürfte daher gering sein.

- Negativer Einlagenzins Erstmals in der Geschichte der Euro-Zone könnte am Donnerstag ein Leitzins in den negativen Bereich rutschen. Experten erwarten, dass die EZB den Zins für Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank von derzeit null auf knapp unter null Prozent senkt.

Den Notenbankern ist es ein Dorn im Auge, dass die Institute ihr Geld auf Zentralbankkonten parken, statt damit Kredite zu vergeben. Ein Strafzins fürs Geldparken soll sie dazu animieren, mehr Kredite zu vergeben. Zudem erhoffen sich die Währungshüter eine Belebung des Interbankenmarktes, auf dem sich die Banken gegenseitig Zentralbankgeld ausleihen.

Solange aber die Kreditnachfrage nicht anspringt, sind alle Mühen der Banken, das Geld unters Volk zu bringen, vergebens. Dass sie es anderen Banken unterjubeln können, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Denn solange sich die Banken bei der EZB so viel frisches Geld leihen können, wie sie wollen, besteht für sie kein Grund, am Interbankenmarkt um Zentralbankgeld zu betteln.

„Die Erwartungen an einen negativen Einlagenzins sollten nicht zu hoch gesetzt werden. Es ist eher als symbolische Geste zu verstehen, dass die EZB sich gegen das zunehmende Deflationsrisiko stemmen wird“, urteilt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Zudem birgt der negative Einlagenzins auch Risiken. So könnten die Banken versuchen, ihr Geld im Ausland anzulegen, um dem Strafzins zu entgehen. Der Umtausch von Euro in ausländische Währungen schickt dann den Euro-Wechselkurs auf Talfahrt.

Die Regierungen der Südländer dürften das zwar bejubeln. Schon lange drängen sie auf einen schwächeren Euro, um ihre Exporte anzukurbeln. Doch je schwächer der Euro wird, desto teurer werden die Einfuhren. Dies schmälert die reale Kaufkraft der Bürger und bremst den Konsum. So könnte der Negativzins am Ende die Konjunktur sogar schädigen.

Um dem Negativzins zu entgehen, könnten die Banken das Zentralbankgeld auch in den Kauf von Staatsanleihen der Peripherieländer stecken. Dann ginge die monetäre Staatsfinanzierung durch die Hintertür in die nächste Runde. Zudem drückten die Käufe die Renditen nach unten. Die Regierungen könnten sich billiger finanzieren, der Spar- und Reformdruck sänke.

Dass die Banken dem negativen Einlagenzins ganz entkommen, ist jedoch unwahrscheinlich. Die meisten Geldhäuser halten Notgroschen bei der Zentralbank, um unerwartete Reserveverpflichtungen erfüllen zu können. Die anfallenden Strafzinsen werden sie an ihre Kunden weitergeben.

„Den Schaden haben die Sparer, deren Zins nun noch weiter unter die Inflationsrate gedrückt wird, allen voran die deutschen, denn sie exportieren mehr Kapital als die Sparer irgendeines anderen Landes der Welt“, kritisiert Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts.

Auf dem Weg ins Schlaraffenland

Die alten Herren der EZB
Mario Draghi (Italien)Im September feierte der EZB-Präsident seinen 66. Geburtstag. Damit ist er der Zweitälteste im Direktorium - und auch älter als das Durchschnittsalter, das bei etwa 59 Jahren liegt. Laut US-Journalist Neil Irwin ist das kein Nachteil. Schließlich erfordere der Job viel Erfahrung und Wissen. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jens Weidmann (Deutschland)Er ist mit 45 Jahren der Zweitjüngste im Rat und scheint auf diesem Bild vor Energie nur so zu sprühen. In seiner Antrittsrede sprach er sich für eine klare Trennung von Geld- und Fiskalpolitik aus. Im September 2011 distanzierte er sich von der Krisenpolitik der EZB. Er hielt die eingegangenen Risiken für zu hoch. Waidmann ist übrigens gegen eine Frauenquote: „Ich möchte mehr Frauen in Führungspositionen haben und das möglichst schnell“, sagte Weidmann. „Eine Quote zu setzen, die ich am Ende nicht erreichen kann und Erwartungen zu schüren, die ich nicht erfüllen kann, ist nicht mein Ansatz.” Quelle: REUTERS
Vítor Constâncio (r.) (Portugal)Der Vizepräsident der EZB wird im Oktober stolze 70. Damit ist er der älteste im Rat. Auch wenn das Foto in einem anderen Zusammenhang gemacht wurde, es sieht fast so aus, als könne er das selbst nicht glauben. Quelle: dpa Picture-Alliance
Jörg Asmussen (Deutschland)Er gehört zu den Küken des EZB-Direktoriums. Im Oktober knackt er die 47. Aber damit liegt er immer noch über zehn Jahre unter dem Durchschnitt. Quelle: dpa Picture-Alliance
Benoît Cœuré (Frankreich)Der Franzose ist mit seinen 44 Jahren der Zweitjüngste im Rat. Er hat sich gemeinsam mit Jörg Asmussen zum Ziel gesetzt, die EZB transparenter zu machen, so erzählten sie dem Focus-online. Quelle: REUTERS
Peter Praet (Belgien)Der belgische Chefvolkswirt des Direktoriums ist 64 Jahre alt. Lange ist er bei der Vergabe von Top-Ämtern in der europäischen Geldpolitik leer ausgegangen. 2011 nutzte er seine Chance und wurde Direktoriumsmitglied der EZB. Er gilt als idealer Kompromisskandidat zwischen Deutschland und Frankreich. Quelle: dpa Picture-Alliance
Yves Mersch (Luxemburg)Der fast 64-jährige Direktor wurde anfangs gar nicht aufgenommen. Sein Platz wurde sechs Monate für eine Frau freigehalten. Dann gab der Europäische Rat nach. Quelle: dpa Picture-Alliance

Die Kreditkunden der Banken dürften ebenfalls zur Kasse gebeten werden. Das zeigt das Beispiel Dänemark. Dort hatte die Zentralbank 2012 den Einlagenzins auf minus 0,2 Prozent gedrückt, um spekulative Zuflüsse aus der Euro-Zone abzuwehren.

Die Banken reagierten prompt – und verlangten von den Kunden höhere Kreditzinsen. Diese aber dämpfen das Kreditgeschäft. Thorsten Polleit, Chefökonom von Degussa Goldhandel, fürchtet daher, dass „ein negativer Einlagenzins die Gewinne der Banken reduziert, aus denen sie Eigenkapital bilden können“. Da die Eigenkapitaldecke der Banken dünn sei, würden die Steuerzahler zur Kasse gebeten, so Polleit.

- Dicke Bertha 2.0 Um die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen in den Peripherieländern anzukurbeln, könnte die EZB den Banken Geld über einen besonders langen Zeitraum leihen. Die Märkte spekulieren auf eine Laufzeit von vier Jahren.

Damit wäre die Bedingung verbunden, dass die Banken Kredite an Unternehmen vergeben. Andernfalls dürfte ihnen die EZB eine Strafzahlung aufbrummen. Viel bringen wird ein solches großkalibriges Leihgeschäft angesichts der flauen Nachfrage nach Krediten jedoch nicht. Die Banken dürften mit dem Geld der EZB in erster Linie Kredite vergeben, die sie ohnehin geplant hatten. Michael Schubert, Währungsexperte der Commerzbank, fürchtet zudem, dass Banken mit notleidenden Krediten die EZB-Leihgeschäfte nutzen, „um die Kredite auch dann zu prolongieren, wenn dies betriebswirtschaftlich nicht angezeigt wäre“.

- Ende der Sterilisierungsgeschäfte Zwischen Frühjahr 2010 und Herbst 2012 hat die EZB von den Banken Staatsanleihen der Euro-Krisenländer in Höhe von 210 Milliarden Euro gekauft. Damit das Geld nicht in die Wirtschaft abfloss, bot sie den Banken an, dieses auf verzinsten Terminkonten bei der EZB anzulegen. Beendet die EZB diese Sterilisierung nun, stehen den Banken weitere Milliarden an Liquidität zur Verfügung. Das könnte die Zinsen am Interbankenmarkt weiter drücken.

- Kauf von verbrieften Krediten Die EZB erwägt, den Banken verbriefte Unternehmenskredite abzukaufen, um deren Bereitschaft zur Kreditvergabe zu erhöhen. Dies ist mit erheblichen Risiken verbunden. Zum einen ist der Markt für verbriefte Unternehmenskredite mit rund 80 Milliarden Euro vergleichsweise klein, denn nur ein kleiner Teil wird frei gehandelt. Schon kleinere Käufe der EZB ließen die Kurse kräftig schwanken. Zum anderen steuerte die EZB mit der Auswahl der Papiere die Kreditvergabe der Banken – eine Art monetäre Planwirtschaft. Außerdem übernähme die EZB die Ausfallrisiken der Kreditpapiere. Bei Wertberichtigungen trügen die Steuerzahler via EZB-Bilanz die Verluste.

3. Helfen Nullzinsen der Konjunktur?

Wer in diesen Tagen auf Stimmungsindikatoren und die Kurstafeln der Börsen blickt, könnte glauben, die Welt befände sich auf dem Weg ins Schlaraffenland. Und tatsächlich: Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um mehr als zwei Prozent wachsen, die Krisenländer der Euro-Zone haben die Rezession hinter sich gelassen, in den USA läuft der Konjunkturmotor wie geschmiert.

„Mit ihren Niedrigzinsen füttert Europas Zentralbank nicht nur den Börsenboom, sondern auch den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland“, jubeln die Börsenexperten der ARD. Doch es ist ein Aufschwung mit begrenzter Halbwertzeit. „Entfällt die Berechnung von Zins, dann entsteht der Schein; verlockt durch diesen falschen Schein, kommt es zur Kapitalfehlleitung und zu allen Folgen einer solchen“, schrieb schon 1940 der österreichische Ökonom Ludwig von Mises.

Niedrigzinsen geben den Unternehmen ein falsches Signal. Sie lassen Investitionen rentabel erscheinen, die es bei genauer Betrachtung nicht sind. Vor allem für Deutschland sind Nullzinsen viel zu niedrig. Nach Ansicht von Experten benötigt Deutschland Leitzinsen zwischen drei und vier Prozent. Die Mini-Zinsen der EZB setzen einen Aufschwung in Gang, der zunächst allgemeine Wohlfühlstimmung verbreitet. Doch der Boom ist mit Fehlinvestitionen gespickt.

Sobald die Firmen erkennen, dass sie ihr Geld in den Sand gesetzt haben, regieren in den Bürofluren wieder die Sparkommissare. Arbeitsplätze gehen verloren, die Banken müssen ihre Kredite abschreiben. „Was wir derzeit sehen, ist ein purer Scheinaufschwung, die eigentliche Bereinigungskrise steht der Wirtschaft noch bevor“, warnt Degussa-Ökonom Polleit.

Angst vor den Schuldenquoten

So viel Geld brauchen Krisenländer 2014
Jon Serrano aus Spanien könnte schon bald ins hessische Bad Homburg umsiedeln. Wenn sein Praktikum weiterhin so gut läuft, winkt ihm eine Lehre in einem Sanitärbetrieb. Wie Jon geht es vielen jungen Spaniern. Arbeit finden sie leichter im Ausland. Die Lage im eigenen Land entspannt sich dagegen nur langsam. Zwar war die Anzahl der Arbeitssuchenden zuletzt um mehr als 100.000 zurückgegangen, doch seien laut Behörden immer noch 4,7 Millionen Spanier ohne Job. Neben der Situation am Arbeitsmarkt machen auch notleidende Kredite Spaniens Banken weiter zu schaffen: Wie die Zentralbank noch im Herbst mitteilte, belaufen sich die Problemkredite auf wertlose Immobilien mittlerweile auf rund 180 Milliarden Euro. Dennoch will es Spanien ab jetzt alleine schaffen: Regierungschef Marian Rajoy hatte zuletzt noch einmal bekräftigt, dass sein Land keine weiteren EU-Hilfen mehr beantragen werde. Rund 1,3 Billionen Euro hält Spanien derzeit an Verbindlichkeiten in Form von Staatspapieren, ungefähr so viel, wie das Land jährlich erwirtschaftet. Rund 189 Milliarden konnte das Land dabei 2013 von Investoren einsammeln, 230 Milliarden muss es in 2014 refinanzieren. Quelle: dpa
Auch die Ratingagenturen sind von der Reformwilligkeit der Spanier mittlerweile überzeugt und sehen Licht am Ende des Tunnels. Zwar beließen die großen Agenturen mit Baa3 (Moody's) und BBB- (Standard & Poor's) ihr Rating an der unteren Schwelle des Investment-Grades. Weil sich die mittelfristigen Aussichten für die Wirtschaft aber verbessert hätten, korrigierten beide Agenturen ihren Ausblick von „negativ“ auf „stabil“. Dass Investoren langsam aber sicher das Vertrauen in die Krisenstaaten zurückgewinnen, spiegelt sich auch an den gesunkenen Renditen auf Staatsanleihen wieder. Während auf dem Höhepunkt der Angst, im Juli 2012, Anleger für spanische Zehnjahresbonds noch 7,62 Prozent Rendite forderten, genügt ihnen heute die Hälfte. Damit kann sich Spanien gerade günstiger refinanzieren als Anfang 2010. Quelle: dpa
Tausende Pilger aus aller Welt kamen in diesem Jahr nach Rom, um den neuen Papst Franziskus zu sehen. Außer dem Kirchenoberhaupt hat es 2013 noch so manch andere Neuerung in Italien gegeben. Im April etwa löste der Demokrat Enrico Letta den Wirtschaftsprofessor und Interimspremier Mario Monti an der Regierung ab. Vorangegangen war ein zäher Kampf mit dem populistischen „Volk der Freiheit“, Partei des europäischen Dauerquerulanten Silvio Berlusconi. Trotz der politischen Stabilität, sehen die Ratingagenturen Standard & Poor's (S&P) und Moody's Italien weiterhin nur als durchschnittlich gute Anlage (BBB bzw. Baa2), Ausblick: „negativ“. Zu wenig sei bislang bei den Sparanstrengungen rumgekommen, lautet die Kritik. Auch die notleidenden Kredite könnten 2014 ein großes Problem für Italiens Banken werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen stünden weiter unter Druck. Eine Entspannung bei den Kreditforderungen der Banken in Höhe von etwa 144,5 Milliarden Euro könnte längere Zeit in Anspruch nehmen. Quelle: REUTERS
Rund 2,3 Billionen Euro schuldet der Stiefelstaat den Gläubigern am Kapitalmarkt – das sind rund 200 Milliarden mehr als die Italiener 2013 erwirtschaftet haben. Doch die hohen Verbindlichkeiten können Investoren nicht abschrecken, wieder mehr in Italien zu investieren: 363 Milliarden Euro konnte die Regierung in Rom 2013 einsammeln, rund 100 Milliarden Euro mehr wird sie 2014 brauchen, um fällige Verbindlichkeiten zu bedienen. Doch auch das sollte gelingen. So stehen die Renditen für zehnjährige Staatsanleihen derzeit mit 3,9 Prozent so hoch wie im Mai 2010. Höchststände von mehr als sieben Prozent im November 2011 scheinen weit weg. Quelle: dpa
Seit die Finanzkrise Portugal traf, ist die Lissaboner Innenstadt abends oft menschenleer. Viele Geschäfte haben geschlossen, Wohnungen stehen leer. Die Reformen, die das Zehn-Millionen-Einwohner-Land zu schultern hat, verlangen den Bürgern einiges ab. Denn um den Haushalt auf eine schwarze Null zu bringen, gingen unter anderem Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung flöten, Löhne und Renten wurden gekürzt. Seit Mitte 2013 scheinen die Reformen jedoch Wirkung zu zeigen. Der Industrie geht es besser, die Exporte ziehen langsam aber sicher wieder an. Tatsächlich muss es Portugal ab dem Sommer wieder alleine schaffen. Dann nämlich läuft das dreijährige EU-Hilfsprogramm aus, im Rahmen dessen Portugal insgesamt 78 Milliarden Euro erhalten hat. Erst am Freitag hatte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) ihren Ausblick von langfristig negativ auf einfach negativ geändert. An der eigentlichen Bonitätsbewertung BB (Non-Investment-Grade) hat sich allerdings nichts getan. S&P begründen ihre bleibende Skepsis damit, dass das oberste Gericht im Lande immer noch das Reformpaket von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho kippen könnte. Quelle: dpa
Aller Skepsis zum Trotz sind Portugal-Anleihen bei Investoren wieder gefragt. Die Rendite für zehnjährige Papiere lag zuletzt mit 5,38 Prozent so niedrig wie im Juli 2010. Die Chance ist da, dass Portugal die rund 58 Milliarden Euro einsammeln kann, die 2014 fällig werden. Selbst 2013 konnte das gebeutelte Land etwa 16,6 Milliarden Euro an den Märkten aufnehmen. Insgesamt liegen die portugiesischen Verbindlichkeiten an Investoren mit rund 150 Milliarden Euro etwa 10 Prozent niedriger als das Bruttoinlandsprodukt. Quelle: dpa
Sanfte Töne aus Irlands Hauptstadt Dublin: Im Dezember hatte der EU-Musterschüler offiziell den EU-Rettungsschirm verlassen. Irland war vor drei Jahren das erste Euro-Land, das bei den europäischen Partnern um Notkredite bitten musste – insgesamt 67,5 Milliarden Euro waren seither geflossen. Mit fast 350 Milliarden Euro hatte es sein aufgeblähtes Bankensystem vor dem Untergang retten müssen. Künftig will sich das Land wieder allein über die Kapitalmärkte finanzieren. Die Ratingagentur Moody´s allerdings bewertet Irland immer noch als Ramsch (Ba1). Es bleibe die Sorge, dass die Regierung die zugesagte Summe von 64 Milliarden Euro für die Unterstützung der maroden Banken wird aufstocken müssen. Allerdings hofft man auf der grünen Insel, dass Moody's es eher früher als später den anderen beiden Ratingagenturen, Standard & Poor's und Fitch, gleichtut und Irland wieder Investment-Grade-Status zuspricht. Der Nachfrage nach Irland-Anleihen könnte das einen Schub verleihen: Denn mit einem Junk-Rating hat Irland keinen Zugang zu den Investoren, die nur Investment-Grade-Papiere kaufen dürfen. Quelle: AP

4. Welche Folgen hat die EZB-Politik für die Euro-Krisenstaaten?

Die Euro-Krisenstaaten dürften die geldpolitischen Lockerungen der EZB begrüßen. Vor allem Politiker in Italien und Frankreich hatten zuletzt starken Druck auf die Währungshüter ausgeübt, die Geldschleusen erneut zu öffnen. Hintergrund: die hohen Schulden.

Da die Sparbereitschaft schwindet und ein Schuldenschnitt tabu ist, müssen die Zinsen unter die Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts rutschen, damit die Schuldenquoten nicht durch die Decke gehen. Erneute Leitzinssenkungen der EZB treiben die Anleger in den Kauf langlaufender Staatsanleihen. In der vergangenen Woche sind die Zinsen für zehnjährige Staatspapiere Italiens und Spaniens unter die Marke von drei Prozent gerutscht.

So günstig haben sich die Regierungen in Rom und Madrid seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr finanziert. Damit hat sich die Bonitätsbewertung von der realwirtschaftlichen Lage – Stagnation, hohe Arbeitslosigkeit – abgekoppelt. Das Fatale daran: Mit jedem Zehntelpunkt, den die Zinskosten der Krisenländer fallen, lässt auch der Druck zu Reformen und zur Konsolidierung des Staatshaushalts nach. Daher kann es nicht verwundern, dass die Regierungschefs Italiens und Frankreichs – kaum dass die EU-Wahlen vorbei sind – schon lauthals fordern, den Sparkurs in der Euro-Zone zu beenden.

5. Müssen wir langfristig mit Deflation oder Inflation rechnen?

Mit 0,7 Prozent liegt die Teuerungsrate in der Euro-Zone unter dem Inflationsziel der EZB von knapp unter zwei Prozent. Von einer Deflation, einem nachhaltigen Rückgang des Preisniveaus, sind wir aber weit entfernt. Zwar wirkt das Platzen von Kredit- und Spekulationsblasen deflationär, weil im Boom aufgebaute Überkapazitäten auf die Preise drücken.

Kommt es zu Bankenpleiten, schrumpft zudem die Geldmenge. Die Preise sinken dann auf breiter Front. In der Euro-Zone haben die Regierungen und die Zentralbank die Banken jedoch durch Liquiditäts- und Eigenkapitalspritzen am Leben gehalten und eine Kontraktion der Geldmenge verhindert.

Die Geldmenge M3 (Bargeld, Sicht-, Spar-, Termineinlagen sowie Geldmarktfonds) wächst derzeit zwar nur um 0,8 Prozent. M1 jedoch (Bargeld und Sichteinlagen), für die Finanzierung der Güterkäufe entscheidend, expandiert mit Raten von über fünf Prozent. Eine Deflation ist daher kaum zu erwarten.

Die Auswirkung der Gelddruckerei. Für eine Großansicht auf das Bild klicken

Dass die Preise in einigen Krisenländern nachgeben, ist eine Folge der rückläufigen Lohnkosten, durch die die Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Fängt sich die Konjunktur, steigen auch Kapazitätsauslastung und Kreditnachfrage. Dann wächst die Geldmenge beschleunigt.

Die Vehemenz, mit der die EZB auf eine höhere Inflation zustrebt, lässt Zweifel aufkommen, dass sie dann den Fuß rechtzeitig vom Gas- auf das Bremspedal wechselt. Die Bürger sollten sich also mittelfristig auf höhere Inflation einstellen.

6. Zerstört die monetäre Flutwelle unser Geldsystem?

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek hatte keine hohe Meinung vom Staat als Herrscher über das Geldwesen. Er betrachtete die Geschichte des staatlichen Umgangs mit Geld als „eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug“. Lebte der große liberale Ökonom noch, sähe er sich durch die aktuelle Geldpolitik bestätigt.

Zwar hat die EZB – anders als die Notenbanken in den USA, Japan und Großbritannien – noch nicht in ganz großem Stil Staatsanleihen gekauft und die Wirtschaft mit Geld geflutet. Daher schrumpft die Bilanzsumme der EZB, während die der anderen Notenbanken wächst. Doch könnte auch die EZB bald zur Politik der „Quantitativen Lockerung“ übergehen.

Anhaltend niedrige Teuerungsraten, eine schleppende Konjunktur und ein starker Euro könnten sie dazu treiben. Ein Ausstieg aus der Politik der Geldvermehrung wäre kaum mehr möglich. Denn die Notenbank, die als erste beginnt, die Geldmenge abzusaugen, muss mit einer rasanten Aufwertung ihrer Währung rechnen. Hat sich die Euro-Zone erst einmal an einen weichen Euro gewöhnt, ist der Entzug politisch kaum mehr durchsetzbar.

Das gilt auch für die Finanzierung der Staatshaushalte durch die Notenpresse. Auch hier dürften Gewöhnungseffekte einsetzen, die der EZB den Rückzug aus der quantitativen Lockerung unmöglich machen. So wäre die EZB endgültig zum Finanzier der Regierungen mutiert.

Die Politik der ungebremsten Geldvermehrung ginge mit Blasen an den Finanzmärkten und heftigen Teuerungsschüben einher und zerstörte das Vertrauen in das Papiergeld. So wird aus der Finanz- und Schuldenkrise am Ende eine Geldkrise. Die Bürger begännen, den Euro durch Währungen ihres Vertrauens – vermutlich Edelmetalle – zu ersetzen. Am Ende diente der Euro nur noch dazu, offizielle Zahlungsvorgänge abzuwickeln. Ersparnisse und private Käufe wickelten die Bürger dann mit Gold oder Goldzertifikaten ab.

Die Deutschen sind die Verlierer

Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

7. Verändert sich die Vermögensverteilung?

Grundsätzlich entlasten Niedrigzinsen die Schuldner und belasten die Gläubiger. Die Bundesbürger verfügen insgesamt über ein Finanzvermögen von rund 2000 Milliarden Euro. Dem stehen Verbindlichkeiten von etwa 1600 Milliarden Euro gegenüber. Per saldo sind die Deutschen daher Verlierer der Niedrig- und Nullzinspolitik.

Berücksichtigt man zudem die Geldentwertung sowie die Steuern auf Kapitalerträge, kommen die Niedrigzinsen einer schleichenden Enteignung gleich. „Die finanzielle Repression durch Niedrigzinsen und moderate Inflation wirkt wie eine Vermögensabgabe, die vom ersten Euro Spar-oder Versicherungsguthaben erhoben wird, einen Freibetrag gibt es nicht“, urteilt Stefan Bach, Ökonom am DIW.

Vieles spricht dafür, dass vor allem die Mittelschicht ihr Opfer ist. Sie hat einen Großteil des Vermögens in Lebensversicherungen und Sparguthaben geparkt, deren Renditen unter die Räder kommen. Die unteren Einkommensschichten hingegen haben nur wenig Vermögen, sind jedoch häufig überdurchschnittlich verschuldet. Sie dürften von den Nullzinsen tendenziell profitieren. Das gilt auch für Vermögende. Sie haben ihr Geld häufig in Sachkapital wie Aktien, Immobilien und Edelmetallen angelegt.

Die durch die Nullzinsen ausgelöste Jagd nach Rendite befördert die Preise von Häusern und Aktien. Das Vermögen der ohnehin Begüterten wächst weiter. Dazu kommt: Sie können den Wertzuwachs ihrer Vermögen als Sicherheit für neue Kredite heranziehen und mit dem frischen Geld noch mehr Immobilien und Aktien kaufen. Die Nullzinspolitik und die Kredit- und Geldschöpfung der Banken aus dem Nichts befördern so die Vermögenskonzentration. Anders als der französische Ökonom und Bestsellerautor Thomas Piketty behauptet, lässt nicht der Kapitalismus, sondern der Geldsozialismus der staatlichen Notenbanken die Vermögensverteilung ungleicher werden.

8. Wie reagieren die Geschäftsbanken auf die Nullzinspolitik?

Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken (BVR), warnt vor einer „naiven Haltung“. Der Zentralbankzins sei nicht die Motivation bei der Kreditvergabe durch Banken, es komme stattdessen auf die Bonität und das Geschäftsmodell der Schuldner an. Auch Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon erwartet keine Impulse für die Realwirtschaft. Wenn überhaupt, wirkt sich der niedrigere Leitzins erst mittelfristig auf die Kreditkonditionen für Betriebe und Häuslebauer aus. Relativ schnell reagieren erfahrungsgemäß allenfalls die Sätze für Tagesgeld und Kontoüberziehungen.

Wegen negativer Einlagenzinsen eine Aufbewahrungsgebühr für die Ersparnisse ihrer Kunden zu fordern können sich die Sparkassen vorerst nicht vorstellen. Zu groß ist die Angst, dass die stabilisierenden Einlagen abgezogen und bei der Konkurrenz angelegt werden.

Auch BVR-Präsident Fröhlich rechnet nicht mit negativen Sparzinsen. Die „neue Qualität der Geldpolitik mit einem immer tieferen Zinsniveau“ macht ihm gleichwohl Sorgen. „Nur die Großschuldner profitieren vom Niedrigzins, während die Geldvermögen der Normalsparer schrumpfen.“

Da die Banken bonitätsstarke Schuldner suchen, stecken sie das billige Zentralbankgeld lieber den öffentlichen Haushalten zu, was nach gängigen Bankaufsichtsregeln als risikofreie Anlage gilt.

„Wenn die Rendite geringer als die Inflationsrate ist, wirkt der Niedrigzins wie eine zusätzliche Steuer“, sagt Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband deutscher Banken. Der Fiskus hingegen profitiert: Bei einem Schuldenberg von knapp 2,2 Billionen Euro in Deutschland bedeute ein um einen Punkt niedrigerer Kreditzins langfristig eine jährliche Entlastung von 22 Milliarden Euro für die öffentliche Hand. „Der Staat sollte die Zinsersparnis nicht für neue konsumtive Ausgaben nutzen, sondern per Steuersenkung an seine Bürger weitergeben“, so Kemmer.

Eine weitere Folge der verkehrten Zinswelt ist der Vorschlag der EU-Kommission eines „Europäischen Sparbuchs“. Öffentliche Förderbanken sollen Privatanleger mit höheren Zinsen ködern, als diese bei normalen Geschäftsbanken bekommen, die nur noch Mickerkonditionen bieten.

Das per staatlich garantiertem Zins abgesaugte Geld soll dann in Kredite an klamme Firmen vorwiegend in südlichen EU-Staaten fließen. Weil die Zentralbank mit ihrer extremen Zinspolitik den Preismechanismus für unser Geld weitgehend ausgehebelt hat, soll Brüssel entscheiden, wer Liquidität zu welchem Zins anlegen darf und wer zu welchen Konditionen Kredit bekommt.

Deutsche Paradeunternehmen profitieren

Wie in Zentralbanken hineinregiert wird
Europäische Zentralbank (EZB)"Das vorrangige Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten", heißt es in Artikel 105 des Maastricht-Vertrags. Zwar soll die EZB auch für Stabilität an den Märkten sorgen und die Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Das allerdings nur, wenn dadurch das Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird. Diese klare Abgrenzung hat anfangs funktioniert. Seit der Euro-Krise jedoch ist die Geldpolitik Teil der EU-Wirtschaftspolitik. Die EZB begründet ihre Eingriffe mit ihrem Mandat der Marktstabilität und behauptet, dass hierdurch die Geldwertstabilität nicht gefährdet sei. Quelle: dapd
Europäische Zentralbank (EZB)Auch wenn EZB-Chef Mario Draghi früher bei Goldman Sachs arbeitete, besitzen private Banken bei der Zentralbank keine direkte Mitsprache. Das EZB-Kapital von 5,76 Milliarden Euro liegt bei den 27 Notenbanken der EU, die sich – bis auf ein paar Anteile der österreichischen Nationalbank – in öffentlichem Besitz befinden. Die Euro-Finanzminister wählen die Mitglieder des sechsköpfigen Direktoriums per Mehrheitsentscheid, die Regierungschefs bestätigen die Wahl. Auch das EU-Parlament darf mitreden. Vergangene Woche lehnten die Abgeordneten die Nominierung des angesehenen Luxemburger Nationalbankpräsidenten Yves Mersch für einen Sitz im EZB-Direktorium ab. Einziger Grund: sein Geschlecht. Sharon Bowles, Vorsitzende des Währungsausschusses: "Wir sind dagegen, dass die mächtigste Institution der EU ausschließlich von Männern geleitet wird." Quelle: dapd
Bank of England (BoE)Die "Old Lady" von der Londoner Threadneedle Street ist die älteste Notenbank der Welt. Doch erst 1997 wurde sie nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank in eine – relative – politische Unabhängigkeit entlassen. Der Einfluss der Politik ist geblieben: Der britische Schatzkanzler gibt der Notenbank ein konkretes Inflationsziel von 2,0 Prozent vor. Wird dieses Ziel verfehlt, muss der Notenbankchef dies gegenüber der Regierung rechtfertigen. Quelle: REUTERS
Bank of England (BoE)Am meisten leidet die Unabhängigkeit der BoE aber dadurch, dass sie mit Aufgaben zugeschüttet wird. Die BoE muss sich nicht nur um eine stabile Währung, sondern auch um die Konjunktur und Stabilität des Finanzsektors kümmern, im nächsten Jahr kommt die Bankenaufsicht hinzu. Zudem ist die persönliche Unabhängigkeit mancher Mitglieder im Zentralbankrat fraglich: Ben Broadbent etwa arbeitete vor seiner Zeit bei der BoE jahrelang für Goldman Sachs. Zuvor war schon sein Kollege David Robert Walton, Chefökonom von Goldman Sachs in Europa, Mitglied im Zentralbankrat geworden. Bis Ende August 2012 saß dort zudem mit Adam Posen ein Geldpolitiker, der enge Verbindungen zu Starinvestor George Soros pflegt. Quelle: dpa
Federal Reserve System (Fed)Die amerikanische Fed – ein Hort politischer Unabhängigkeit? Mitnichten. Die unter einem Dach zusammengeschlossenen zwölf regionalen US-Zentralbanken gehören 3000 privaten Instituten, darunter Großbanken wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley. Die Geldhäuser können direkt bei der Geldpolitik mitmischen, denn sie bestimmen die Direktoren der regionalen Fed-Ableger. Die Direktoren sind an der Wahl der regionalen Fed-Präsidenten beteiligt – und von diesen wiederum sitzen einige im Offenmarktausschuss, dem wichtigsten Gremium der Notenbank, das über die Geldpolitik der USA entscheidet. Der amerikanische Kongress hat der Zentralbank drei Ziele gesetzt, die nicht unbedingt miteinander harmonieren: Die Fed soll die Preise stabil halten, so viele Arbeitsplätze wie möglich garantieren und die Zinsen möglichst niedrig halten. Quelle: REUTERS
Federal Reserve System (Fed)Die Regierung darf den Währungshütern zwar nicht ins Tagesgeschäft hineinreden, aber Zentralbankpräsident Ben Bernanke muss dem Parlament regelmäßig Rede und Antwort stehen. Sollte es anhaltende Konflikte zwischen Fed und Politik geben, kann der Kongress die Unabhängigkeit der Fed beschneiden. Jüngste Debatten ließen darauf schließen, "dass es breite Unterstützung für Restriktionen geben könnte, wenn der Kongress mit der Fed-Politik nicht zufrieden ist", warnt der renommierte US-Ökonom Martin Feldstein. Die Notenbank stehe vor einem Dilemma: "Strafft sie die Geldpolitik, um die Inflation einzudämmen, riskiert sie Gegenmaßnahmen des Kongresses, die ihr die künftige Inflationsbekämpfung erschweren." Quelle: dapd
Bank of Japan (BoJ)Auf dem Papier ist die BoJ unabhängig, aber der politische Druck steigt. Mittlerweile ist es zur Regel geworden, dass ranghohe japanische Politiker offen drohen, das Notenbankgesetz zu ändern, falls die BoJ ihre Geldpolitik nicht noch stärker lockert. Was die Ankäufe von Fremdwährungen betrifft, um den Auftrieb des Yen abzumildern, handelt die Notenbank bereits im Auftrag der Regierung. Quelle: REUTERS

9. Sind Nullzinsen für Unternehmen gut oder schlecht?

Nutznießer wären allen voran die deutschen Paradeunternehmen. Sie können ihre Bonität noch besser ausspielen, um günstig Geld bei Anhängern festverzinslicher Wertpapiere einzusammeln. So ließ die WirtschaftsWoche vor knapp einem Jahr den inzwischen verstorbenen Bilanzspezialisten Karlheinz Küting berechnen, wie viel Geld ausgewählte Dax-Konzerne durch Umschuldung in niedriger verzinste Anleihen sparten. Würden sie die Aktion nun in gleichem Umfang wiederholen und die damaligen Zinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte drücken, kämen Ersparnisse in dreistelliger Millionenhöhe zusammen.

VW könnte den Gewinn um 74 Millionen Euro pro Jahr erhöhen. Über die Laufzeiten aller neuen Anleihen hinweg würde Europas größter Autobauer einen Windfall-Profit von 222 Millionen bis 740 Millionen Euro einfahren. Daimler müsste sich, gemessen an der Umschuldung im Jahr 2012, mit weniger zufriedengeben. Trotzdem könnten die Schwaben pro Jahr mit einer Zinsersparnis von 23 Millionen Euro rechnen, die sich über die gesamte Laufzeit auf 70 bis 235 Millionen Euro summieren würde.

Solchen Gewinnen stünden höhere Aufwendungen für die betriebliche Altersvorsorge gegenüber, weil sich die Rückstellungen schlechter verzinsen als geplant. „Die Kehrseite sehen wir bei den bilanziellen Pensionsverpflichtungen“, sagt BASF-Finanzvorstand Hans-Ulrich Engel. „Hier führt ein niedrigerer Rechnungszinsfuß dazu, dass diese stärker steigen als das Pensionsvermögen – selbst bei einer guten Performance unserer Kapitalanlagen.“

Mit weitreichenden Konsequenzen für die Unternehmensstrategie ist durch noch niedrigere Zinsen kaum zu rechnen. Bayer etwa hat jüngst für rund zehn Milliarden Euro das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten vom US-Konzern Merck & Co. erworben. Von kleinen Veränderungen bei den Zinsen hängen Übernahmen aber kaum ab. „Schließlich steigen bei niedrigen Zinsen in der Regel auch die Preise solcher Übernahmeziele“, sagt Peter Müller, Leiter Konzernfinanzen. „Bayer kauft und investiert, weil es strategisch und ökonomisch sinnvoll ist, und nicht, weil wir es günstig finanzieren können.“

Bei ThyssenKrupp werden vor allem Vorteile der niedrigen Zinssätze gesehen: „Da wir zurzeit Nettofinanzverbindlichkeiten haben, würden wir tendenziell von einer nachhaltigen Reduzierung der Zinssätze im Markt profitieren“, heißt es aus dem Konzern. Es sei allerdings fraglich, ob sich eine mögliche Zinssatzsenkung überhaupt im Markt widerspiegelt und wie lange die neue Situation anhalten werde. Soweit, so cool. Dramatik allerdings bei RWE. Die Nettoschulden des Essener Energieversorgers sind 2012 um fast 2 Milliarden Euro gestiegen, weil RWE im Rahmen der üblichen Diskontierung zusätzliche Pensionsrückstellungen bilden musste, ein Effekt der Zinsentwicklung.

Grundsätzlich sind null Prozent Zinsen für Unternehmen nichts Unbekanntes – dank sogenannter Wandelanleihen. So begab der Medizintechnik- und Klinikkonzern Fresenius unlängst eine 375 Millionen Euro schwere Anleihe zu null Prozent Zinsen. Die Käufer kommen dennoch auf ihren Schnitt – sofern die Fresenius-Aktie innerhalb von fünf Jahren kräftig steigt.

10. Was bedeutet das Zinstief für die Anleger?

In einer Nullzinswelt kommen Anleger an Aktien nicht vorbei. Nicht nur Kursgewinne locken, auch die Aussicht auf Dividenden lässt Geld von Zinsanlagen in Aktien fließen. Momentan zahlen die Dax-Konzerne im Schnitt 2,7 Prozent Dividendenrendite – mehr als doppelt so viel, wie eine zehnjährige Bundesanleihe abwirft.

Insbesondere dividendenstarke Titel dürften vom Run auf Aktien profitieren. Allerdings verliert der Zins seine Funktion als Auslesekriterium. Bei einem Nullzins können finanziell angeschlagene Unternehmen länger überleben. Obwohl eine Pleite unvermeidbar ist, könnten Anleger im Einzelfall Aktien länger halten, als es ratsam wäre.

Der zinsbedingte Geldstrom in Aktien hebt zwar die Kurse, weil Geld neue Anlagechancen sucht und Alternativen wie Anleihen unattraktiv sind, erhöht aber auch das Anlagerisiko. Mit jedem neuen Höchststand beim Dax – ohne fundamental bessere Aussichten – koppeln sich die Kurse stärker von den Unternehmensgewinnen ab, es bauen sich Überbewertungen auf.

Schon jetzt kostet der Dax im Schnitt etwa das 18-Fache des für 2014 erwarteten Gewinns. Zum Vergleich: 2012 war es etwa das 15-Fache. Stottert der Konjunkturmotor, könnte der Crash umso heftiger ausfallen.

Der Appetit auf Hochprozenter wächst

Gold läuft zurzeit eher schlecht, weil Anleger ihr Geld vor allem in Aktien stecken und Krisenängste verflogen sind. Doch als Sicherheitsanker gehört es ins Depot, auch um mögliche Kursverluste bei Aktien kompensieren zu können. Dass Gold keine Zinsen oder Dividenden abwirft, könnten Anleger im Nullzinsszenario leichter verschmerzen, für ihr Geld bekommen sie ja auch nichts. Die Opportunitätskosten der Goldhaltung – das, was man alternativ für Zinsanlagen bekommen würde – gehen gegen null. Und wenn das dicke Ende – Inflation oder gar ein Zusammenbruch des Geldsystems – doch noch kommt, bietet Gold den besten Schutz.

Wenn sichere Anleihen keinen Zins mehr bringen, wächst auch der Appetit auf Hochprozenter. Allerdings sind Hochzinsanleihen von halbwegs sicheren Emittenten schon jetzt teuer. Beispiel: Eine bis 2019 laufende Staatsanleihe Mexikos mit einem Coupon von 8,125 Prozent ist derzeit für 134 Prozent zu haben. Das Mexiko-Papier bringt damit nur 1,5 Prozent Rendite.

Risiko und Rendite stehen bei Hochzinsanleihen oft in keinem gesunden Verhältnis, wie die Pleiten bei deutschen Mittelstandsanleihen gezeigt haben. Je niedriger die Zinsen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass finanzschwache Unternehmen Anleihen auflegen. Anleihen aus Südeuropa zudem notieren – weil die mit üppigem EZB-Geld gefütterten Banken sie kaufen – jenseits von Gut und Böse, ihre Renditen werden künstlich unten gehalten.

Viele der derzeit gehandelten Hochzinsanleihen kommen von Emittenten aus Schwellenländern. Sollte es zu einem Aktiencrash kommen, werden die Anleger aus Europa und Nordamerika ihr Geld zuerst aus den Schwellenländern abziehen. Auch Anleihen wären davon betroffen – was Kursverluste zur Folge hätte. Bei einem langfristigen Nullzins sind Hochprozenter keine echte Alternative, weil die Kurse zu hoch und die Renditen zu niedrig wären.

11. Was bedeutet das Zinstief für den Immobilienmarkt?

Niedrige Zinsen treiben die Immobilienpreise in doppelter Hinsicht. Häuslebauer und -käufer kommen günstig an Geld, das steigert die Nachfrage. Wenn die Verzinsung anderer Anlagen sinkt, werden Immobilien zudem attraktiver als Kapitalanlage für institutionelle Investoren.

Immer mehr Geld fließt so in die Immobilienmärkte, es droht eine Blasenbildung. Das gilt insbesondere für Nordeuropa, aber auch für südeuropäische Krisenländer wie Spanien oder Griechenland, wo die Immobilienpreise stark eingebrochen waren und bald schneller anziehen könnten, als es die wirtschaftliche Lage rechtfertigt.

In Deutschland ist nach Einschätzung der Bundesbank zwar noch keine Blase entstanden, wenn man das gesamte Land betrachtet. Doch für die städtischen Immobilienmärkte konstatiert die Bundesbank Überbewertungen von bis zu 25 Prozent in Metropolen. Schon im November hatten die Bundesbanker im Finanzstabilitätsbericht 2013 gewarnt: „Inzwischen gibt es Hinweise, dass sich der Preisanstieg von den Städten ins Umland ausbreitet.“

Und weiter: „Aus Finanzstabilitätssicht besteht das Risiko, dass eine Spirale aus steigenden Preisen am deutschen Wohnimmobilienmarkt und einer nicht nachhaltigen Kreditvergabe der Banken in Gang kommt.“ Ein schuldenfinanzierter Immobilienboom sei „eines der schwerwiegendsten Risiken für die Finanzstabilität“.

Noch gibt es Faktoren, die dem entgegenwirken. „Die Banken verhalten sich bei der Kreditvergabe sehr umsichtig“, sagt Tobias Just, Professor für Immobilienwirtschaft an der International Real Estate Business School in Eltville. „Die Marktdynamik in Deutschland ist längst nicht so stark fremdkapitalfinanziert, wie sie es in den USA oder Spanien vor 2007 war, sondern viel stärker eigenkapitalfinanziert.“

Die Mietpreisbremse mindert auch den Zustrom von Investorengeldern, denn nur wer Mieten erhöhen kann, kann auch seine Rendite steigern. „Bereits die Debatte über eine mögliche Blase hilft zu verhindern, dass tatsächlich eine entsteht“, sagt Just, die Risiken blieben so im Bewusstsein.

Auch andere Faktoren wie sinkende Studentenzahlen dürften in den nächsten Jahren den Preisanstieg bremsen. „Es wird eine Schwächung der Nachfrage und damit eine Beruhigung der Preisdynamik geben“, prognostiziert Just.

Größere Risiken schlummern mittlerweile bei den Gewerbeimmobilien. „Einzelhandelsimmobilien sind enorm teuer geworden, deshalb wenden sich Investoren Büroimmobilien zu“, sagt der Experte. „Ich halte das in einigen Märkten für eine gefährliche Entwicklung.“ Denn es gibt hohe Leerstände, die Mietzuwächse waren in den letzten Jahren nur sehr gering – selbst in den Top-Lagen.

Die Inflation frisst den Zins

12. Was wird aus Spareinlagen und Lebensversicherungen?

Sparer, die ihr Geld möglichst sicher anlegen wollen, sind gekniffen: Im Schnitt bekommen sie auf täglich verfügbares Tagesgeld schon jetzt nur 0,7 Prozent Zins. Zehnjähriges Festgeld bringt durchschnittlich 2,2 Prozent pro Jahr – vor Abzug der Abgeltungsteuer (inklusive Soli 26,4 Prozent).

Nach Steuerabzug verbleiben beim Zehnjahres-Festgeld so nur 1,6 Prozent. Das reicht knapp, damit nach Abzug der Inflation überhaupt noch ein minimaler Zinsertrag übrig bleibt. Im Klartext: Tagesgeld, Sparbücher und Festgeld sind derzeit keine Geldanlage, sondern schleichende Geldvernichtung.

Lebens-, Renten- oder Riesterversicherungen sind allerdings kein Ausweg. Denn die Versicherer legen das Geld ihrer Kunden selbst zu 90 Prozent zu festen Zinsen an; sie sind dem Niedrigzins also genauso ausgeliefert. Zwar hat der Zinsrutsch die Reserven der Versicherer erst einmal anschwellen lassen, weil von ihnen gehaltene (höher verzinste) Alt-Anleihen jetzt mehr wert sind.

Insgesamt saßen sie Ende 2012 so auf 70 Milliarden Euro Reserven. Doch davon profitieren nur Versicherte, deren Verträge auslaufen oder gekündigt werden: Sie müssen bislang einen Teil der Reserven ausgezahlt bekommen. Diese Beteiligung wird ab nun eingeschränkt. Ein neues Gesetz soll den Versicherern erlauben, Reserven aus Anleihen nicht mehr auszuschütten, solange ihre Kundenversprechen nicht ausreichend finanziert sind.

Langfristig helfen die Reserven den Versicherern sowieso nicht: Je länger die Zinsen extrem niedrig sind, desto stärker schlagen sie auf ihre laufenden Erträge durch, weil alte, höher verzinste Anleihen auslaufen. Auf Dauer ist das ein Risiko für die Stabilität der Versicherer, denn sie haben den Versicherten eine Mindestverzinsung auf den um Kosten geminderten Teil ihrer Einzahlungen garantiert – im Durchschnitt über alle Verträge 3,1 Prozent pro Jahr.

Bislang dürfen Versicherer in ihren Risikomodellen davon ausgehen, dass sie ab 2020 wieder 4,2 Prozent Rendite mit ihren Kapitalanlagen schaffen. Wäre das in der Praxis nicht machbar, müssten sie mehr Kapital zur Absicherung der Kundenansprüche vorhalten – das würde ihnen noch weniger Spielraum bei der Kapitalanlage und damit noch weniger Renditechancen geben. Die Versicherer bereiten sich bereits auf die Auswirkungen der Nullzinsen vor: Um die Last der Garantiezusagen auf lange Sicht abzumildern, sollen Neukunden ab 2015 nur noch 1,25 Prozent Mindestzins auf ihre um Kosten geminderten Beiträge bekommen – bislang gibt es 1,75 Prozent Garantiezins.

Kein Wunder also, dass der Verband der Versicherer (GDV) nun eine stärkere staatliche Förderung der Riester-Rente fordert. Die Versicherer brauchen dringend Verkaufsargumente, um Neukunden noch zum Abschluss bewegen zu können.

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