Europäisches Patentamt Den Chef nennen sie Putin

Im Europäischen Patentamt tobt ein Machtkampf, der die Qualität der Patente gefährdet. Der Streit zwischen Präsident, Belegschaft und Verwaltungsrat könnte deutsche Mittelständler teuer zu stehen kommen.

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Machtkampf im Europäischen Patentamt. Quelle: PR

Einen Tag nach seiner größten Niederlage steht der Präsident des Europäischen Patentamtes (EPA) in München und zählt seine größten Siege auf. Benoît Battistelli, 67, umklammert das Rednerpult, er soll eine Patentkonferenz eröffnen, es geht um den Schutz geistigen Eigentums in Europa. Doch alle im Raum wissen: Was auch immer Battistelli jetzt sagt, dient vor allem seinem eigenen Schutz.

Es ist Anfang Juli. Seit 24 Stunden weiß der Präsident, dass seine Stelle offiziell ausgeschrieben ist. Der Verwaltungsrat des Amtes sucht einen Nachfolger für Battistelli. Dabei hatte der Franzose noch so viel vor: Er will unbedingt das erste EU-Einheitspatent ausstellen und den Europäischen Patentgerichtshof eröffnen. Und vor allem hat er doch so viel erreicht: „Wir haben unsere Effizienz gesteigert, unsere Qualität, unsere Produktivität und unsere Profitabilität“, ruft Battistelli in den Raum. „Europa ist für Patente heute wieder attraktiv.“

Über seine mögliche Ablösung verliert der Franzose jedenfalls kein Wort. Seine Rede ist eine einzige Kampfansage: So einfach werdet ihr mich nicht los.

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Der Auftritt in München markiert nur die jüngste Eskalationsstufe in einem zunehmend bizarren Konflikt. Seit Battistelli 2010 die Leitung der Superbehörde übernahm, herrscht Ausnahmezustand. An Europas wichtigster Stelle zum Schutz geistigen Eigentums liegen Präsident, Belegschaft und Verwaltungsrat heillos miteinander im Clinch. Mitarbeiter fühlen sich überfordert, überwacht und übergangen. Der Präsident fühlt sich missverstanden. „Da steht ein sturer, machtbewusster und eigenwilliger Chef gegen eine sture, machtbewusste und eigenwillige Basis“, heißt es im Verwaltungsrat des Amtes. Leidtragende, das kristallisiert sich immer stärker heraus, sind die Kunden des Amts – Unternehmer und Erfinder. Die Erfolgsgeschichte, die der Franzose so gerne verbreitet, können sie immer weniger nachvollziehen.

Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Zwar soll schon im Herbst ein neuer Präsident vom Verwaltungsrat gewählt werden, die Anzeigen sind kein Bluff. Doch das Gerücht, der Ungeliebte könnte noch mal verlängern, hält sich hartnäckig. Dienstbeginn eines Nachfolgers wäre ohnehin erst im Juni 2018. Dem Amt drohte also ein ganzes Jahr Stillstand, sollte Nochpräsident Battistelli zur „lame duck“ werden.

Für Leute wie Günter Hufschmid ist das eine schlechte Nachricht. Der kernige Bayer, oft im Trachtenjanker unterwegs, hat schlechte Erfahrungen mit Battistellis Amt gemacht. Mit seiner Firma Deurex entwickelt er Wachse für die Farben- und Lackindustrie. Ein unaufgeregtes Chemiegeschäft, das wenig mit Patenten zu tun hat. Doch als einer von Hufschmids Chemikern 2010 eine Maschine versehentlich falsch einstellte und die Werte für Druck und Temperatur verwechselte, spuckte diese über Nacht statt Wachs zehn Tonnen weißer Watte aus. Die erwies sich als Wunderwaffe im Kampf gegen Ölkatastrophen: ein Kilo von Hufschmids Watte kann sechs Kilogramm Öl von der Wasserfläche saugen.

Hufschmid war schnell klar: Er hatte die Erfindung seines Lebens gemacht. Und er wollte ein Patent. Aber der Unternehmer beauftragte keinen kostspieligen Patentanwalt, er schrieb selbst an die Behörde – schließlich führt er ja auch seine Firma allein und macht seine Steuern höchstpersönlich.

Im EPA aber lehnte man den Antrag rundheraus ab. Gleich zweimal, ohne Hufschmid anzuhören. Erst als er darauf bestand, seine Watte vorführen zu dürfen, gewährte man ihm einen Termin in der Außenstelle in Den Haag. Keine 20 Minuten brauchte der Erfinder, um die Patentprüfer zu überzeugen. Nach dreieinhalb Jahren Kampf mit dem Amt erhielt er endlich sein Patent.

Damit fing der Ärger erst an. Denn nun hatte Hufschmid zwar ein Schreiben des EPA, aber noch keinen Patentschutz in ganz Europa. Diesen musste er bei Staaten einzeln beantragen, in Landessprache natürlich. Nur sagte ihm das beim EPA vorher keiner, also verstrichen wichtige Fristen.

„Das System ist total chaotisch, da bist du als kleines Unternehmen verloren“, klagt der Erfinder. Große Unternehmen hätten dafür eigene Abteilungen. Aber er? Unterm Strich, meint Hufschmid, habe er mit dem Patent einen Höllenaufwand gehabt, dennoch sei seine Watte nun vielerorts nicht geschützt. „Hätte ich gewusst, wie das läuft, hätte ich es gelassen.“

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