Europäisches Patentamt Den Chef nennen sie Putin

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Gefahr für „Made in Germany“?

An einem Stehtisch nahe dem Präsidenten kann man einen ganz anderen Eindruck bekommen. Hier beschaut sich Brian Hinman die Szenerie, ein Amerikaner, der sich als „Chief Intellectual Property Officer“ des niederländischen Technikriesen Philips vorstellt. Bei einem kühlen Weißwein spricht er über den technologischen Wandel, über Erfindungen und Entwicklungen, die in immer schnellerer Abfolge kommen. Hinman sieht Patente als eine Art Kampfsport. „Ich will unbedingt derjenige sein, der das erste europäische Einheitspatent bekommt“, sagt er. Das habe er schon mit Battistelli verabredet.

Wer sich länger mit dem Philips-Manager unterhält, der lernt: Das Patent-Business ist heute eine Angelegenheit, bei der es um Aktienkurse ebenso geht wie um Männerfreundschaften. Eines aber scheint dabei etwas aus dem Fokus geraten zu sein: der Garagentüftler, der einmal im Leben eine Erfindung macht und darauf ein Unternehmen gründet. Er steht zunehmend alleine gegen Weltkonzerne, die mittlerweile Patente sammeln wie andere Leute Briefmarken.

Für solche Überlegungen hat Battistelli an diesem Abend wenig Zeit. Er will lieber Kontakte knüpfen, die Macht des Patentamtes – und damit seine – noch ausbauen. Der Präsident will expandieren: Mit Bosnien-Herzegowina und Montenegro hat er bereits Vorabkommen geschlossen. Und auch in Afrika und Asien mischt das Europäische Patentamt künftig mit: Brunei, Kambodscha, Laos, Marokko oder Tunesien erkennen EPA-Patente an – was nichts anderes bedeutet, als dass die Europäer das Patentamt für diese Staaten spielen. Selbst mit Angola verhandelt der Präsident darüber.

Battistelli, so sehen das viele im Amt, will wachsen um jeden Preis, seine Macht ausbauen – und interne Probleme kaschieren.

Nach mehr Verständnis für Mittelständler klingt das nicht. Eher nach einer Mission Welteroberung. Wohl auch deshalb hat man im Verwaltungsrat des Amtes langsam genug vom eitlen Showmaster an der Spitze. Schon vor einigen Monaten gab es Gerüchte, man wolle Battistelli vorzeitig ablösen. Doch der Franzose, der es bisher immer geschickt verstand, die Vertreter der kleinen Mitgliedsländer in dem Gremium auf seine Seite zu ziehen, konnte sich halten.

Als dann im Sommer der bisherige Chef des Verwaltungsrates, der Däne Jesper Kongstad, seinen Stuhl räumte, nutze Deutschland die Chance und installierte mit Christoph Ernst einen kritischen Aufseher als neuen Gremiumschef. Erste Amtshandlung: die Ausschreibung von Battistellis Posten.

Der Beamte empfängt an seinem Hauptarbeitsplatz, dem Bundesjustizministerium, in dem er als Ministerialdirigent dient. Offiziell sei bei der Ausschreibung alles nach Plan gelaufen, beteuert Ernst. Battistelli habe nie vorgehabt, länger als bis zum Sommer 2018 zu bleiben. Von einem Machtvakuum und Verstimmung zwischen ihm und dem Präsidenten will er jedenfalls nichts wissen.

Doch Ernst tadelt auch. Zwar habe es unter Battistelli Fortschritte gegeben. „Aber Produktivität und Effektivität sind kein Selbstzweck“, sagt der Beamte. „So ein Amt wie das EPA hat auch eine Gesamtverantwortung.“

Die Aufgaben des nächsten EPA-Chefs sind für Ernst klar: „Das soziale Klima muss verbessert werden. Das EPA hat in Europa eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Die Unternehmen brauchen ein gut funktionierendes Patentamt“, sagt er. Deshalb werde auch nicht nur der soziale Friede im Amt im Fokus stehen, sondern auch „die Qualitätssicherung und das Verhältnis zwischen Präsident und Verwaltungsrat“.

Ernst wird sich nun ab Herbst mit der Suche nach einem Nachfolger für Battistelli befassen. Der Portugiese António Campinos, der bislang das europäische Markenamt führt, gilt als aussichtsreicher Kandidat. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der gerade gewählte Verwaltungsratschef Ernst selbst Präsident wird.

Und dann wäre natürlich noch Battistelli selbst, der den Kampf um seine Zukunft noch nicht aufgeben mag – schließlich schätzt er die Unabhängigkeit des Amtes so sehr: „Ich war niemals so frei. Ich habe kein Ministerium, das mich überwacht, keine Regierung“, sagt der Franzose gerne. Dies zu ändern wäre vielleicht: die Patentlösung.

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