Europäisches Patentamt Den Chef nennen sie Putin

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Patentstreitigkeiten: Rentabel für das Amt, existenzgefährdend für Unternehmer

Der Präsident änderte aber auch das Karrieresystem, führte Beförderungen und Bezahlung nach Leistung ein. Zudem legte er sich mit dem Personalrat und der Gewerkschaft an, die er nicht anerkennen wollte. Mal beschnitt er das Streikrecht, mal ließ er Mitarbeiter im Krankenstand überprüfen. Vor allem, so die Kritiker, habe er allzu aufmüpfige Kollegen entmachtet und sich mit linientreuen Direktoren umgeben. Intern wird Battistelli seither „Putin“ genannt.

„Ich habe gezeigt, dass es möglich ist, eine große, multinationale, zwischenstaatliche Organisation zu reformieren“, beharrt Battistelli, der sich für den größten Reformator seit Eröffnung des EPA hält. Stimmen seine Zahlen etwa nicht, fragt er? Die erteilten Patente: plus 40 Prozent. Der Rückstau der Bearbeitung: um ein Viertel weniger. Die Kosten: minus 20 Prozent. Und das alles bei steigender Qualität. Angeblich.

Denn gerade das wird von vielen bezweifelt, etwa von Thorsten Bausch, der im gediegenen München-Bogenhausen empfängt. Hier residiert die Großkanzlei Hoffmann Eitle, für die Patentanwalt Bausch, ein Herr mit Fliege, tätig ist.

Diese Unternehmen haben 2016 die meisten Patente beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht (07.2017)

Bausch ist kein Freund Battistellis. Nicht, weil er ihn persönlich kennen würde. Der Patentveteran registriert einfach, wie in dessen Amt die Qualität der Arbeit nicht zu-, sondern abnimmt.

Reformen heute - Probleme morgen

Der Anwalt spricht viel über Zeitdruck und die unglaubliche Herausforderung für die Patentprüfer, bei wachsendem Wissensstand auf der Welt immer aktuell zu bleiben. Auch mit neuesten Methoden brauchten die doch wohl eher mehr Zeit als früher. „Wie kann man in nur einem Jahr die Effizienz um 40 Prozent steigern“, fragt sich Bausch. „Entweder haben die vorher alle geschlafen. Oder die Patente sind heute qualitativ schlechter.“ Klar, dass Bausch nichts von der Schlafhypothese hält.

Er fürchtet, dass sich Battistellis Effizienzkurs rächen könnte. Denn: Ob ein Patent verlässlich ist – sauber recherchiert und eingetragen, zeigt sich oft erst Jahre später. Dann nämlich, wenn jemand anders reklamiert, die patentierte Erfindung schon vorher gemacht zu haben, und es zum Streit kommt.

Für Bausch und seinen Berufsstand sind solche Patentstreitigkeiten eine stete Einnahmequelle. Für die Unternehmer aber sind sie existenzgefährdend. Schließlich hängen mitunter ganze Firmen an nur einem Patent. Wieso aber trimmt Battistelli dann seine Organisation so auf Tempo? Nimmt er am Ende Qualitätseinbußen bei den Patenten in Kauf, weil die Folgen ohnehin frühestens in ein paar Jahren auftreten?

Diese Befürchtung zumindest hegt man im Deutschen Patent- und Markenamt. Die Behörde ist Nachbarin des EPA an der Isar in München. Früher verband ein Tunnel beide Häuser. Inzwischen ist der Verbindungsgang längst zugeschüttet. Und auch sonst sind die Bande derzeit nicht mehr so eng. „Die Frage lautet doch: Wie belastbar sind Battistellis Patente“, sagt eine führende Person auf deutscher Seite. „Ich will den Kollegen nicht die Qualität absprechen, aber Battistelli übertreibt es mit der Effizienz.“

Hier, in dem grauen Betonklotz gegenüber des Deutschen Museums, hält man nicht viel vom neuen, schnellen Stil. „Wir machen unser Ding: zielorientiert, vernünftig, deutsch“, heißt es bei der Bundesbehörde. „Ich möchte nicht wissen, für was Herr Battistelli schon alles Geld ausgegeben hat, ohne irgendeinen Nutzen.“ Wünschenswert sei jetzt ein Nachfolger, der das Amt in den Mittelpunkt stelle, nicht die eigene Person.

Um die geht es Battistelli ganz offensichtlich. Etwa an einem Sommerabend in der Scuola Grande di San Rocco, Postkarten-Venedig. Die Gäste kommen in Shuttlebooten zum Abendempfang des Europäischen Erfinderpreises, ausgerichtet vom EPA. Unter dem haushohen Eingangsportal stehen Herr und Frau Battistelli und erwarten ihre 300 Gäste. Jedem einzelnen schütteln sie die Hand, etwa Mario Moretti Polegato, Gründer der Schuhmarke Geox und Multimillionär. Auch der italienische Wirtschaftsminister ist angekündigt. Battistelli, Absolvent der französischen Eliteschule ENA, strahlt. Er begreift sein Amt als einen politischen Posten, auf Augenhöhe mit den Mächtigen.

Seit zwölf Jahren gibt es den Erfinderpreis, Battistelli aber hat ihn ausgebaut – zu seiner Show. Drei Millionen Euro lässt sich das Patentamt die Sause kosten. Musste das Amt nicht eigentlich sparen?

„Das hier ist der Nobelpreis der Erfinder“, ruft Battistelli bei seiner Eröffnungsrede in die Menge. Kleiner macht er es nicht. Später wird er den Abend bilanzieren: 21 Interviews, 50 Journalisten aus der ganzen Welt auf Kosten des EPA einquartiert, zwei Millionen Klicks auf YouTube. Er hat seine Botschaft rübergebracht: Das Patentamt unter Battistelli ist Treiber der Innovation, Anwalt der Tüftler, Beschützer der Mittelständler.

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