Europas Wirtschaft

Deutschland braucht Großbritannien

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Großer Verbündeter geht Deutschland verloren

Da sich das niemand wünschen kann, müsste Deutschland sich bemühen, in dem Wettstreit der beiden Lager mehr und stärkere Verbündete zu finden. Von den Grundeinstellungen her ist Großbritannien ein solcher Verbündeter.

Die wirtschaftspolitische Ausrichtung beider Länder folgt stark den marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wenn beide gemeinsam ihr Gewicht in die Waagschale werfen, kann sich diese neigen und den Forderungen der mehr staatswirtschaftlich und interventionistisch denkenden Länder etwas von ihrem Gewicht nehmen.

Deshalb ist die aktuelle Diskussion in Großbritannien über einen möglichen Austritt aus der EU sehr relevant für Deutschland. Falls Großbritannien die EU verlassen würde, verlöre Deutschland einen wichtigen Partner.

Großbritannien

Dabei liegen die wirtschaftlichen Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für Großbritannien auf der Hand. Die Verflechtungen Großbritanniens mit den übrigen EU-Mitgliedsstaaten im Außenhandel sind sehr eng: 45 Prozent aller britischen Exporte gehen in die Europäische Union – bei den Importen sind es sogar über 50 Prozent.

Damit ist die EU der mit Abstand wichtigste Handelspartner des Vereinigten Königreichs, weit vor den Vereinigten Staaten mit rund 13 Prozent. Betrachtet man die Länder einzeln, dann nehmen die USA zwar die Spitzenposition des wichtigsten Absatzmarktes ein, aber dicht gefolgt von Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Irland.

Ein Teil der EU-Skeptiker in Großbritannien sieht – ausgehend von der Annahme, dass die Insel ohnehin kein Teil Europas ist – die Zukunftschancen für die britische Wirtschaft in einer stärkeren Orientierung auf außereuropäische Partner, insbesondere die USA und die im Commonweath lose kooperierenden Regionen des früheren britischen Imperiums.

Unterstützung gibt dabei das Argument, dass in den letzten Jahren der Handel mit EU-Ländern relativ an Bedeutung verloren hat; noch 2006 gingen rund 54 Prozent der britischen Exporte in die EU. Das mag einerseits an der ausgeprägten Nachfrageschwäche in zahlreichen Euro-Ländern liegen, andererseits daran, dass die britische Wirtschaft zunehmend die Schwellenländer als Absatzmärkte entdeckt hat, die sie noch kurz nach der Jahrtausendwende sträflich vernachlässigt hat.

Inzwischen setzt Großbritannien etwa neun Prozent seiner Exporte in den BRIC-Staaten ab. Insgesamt ist die britische Wirtschaft nicht so stark außenhandelsorientiert wie beispielsweise die deutsche. Während in Deutschland das gesamte Handelsvolumen beinahe so hoch ist wie die nominale Wirtschaftsleistung, liegt es in Großbritannien bei etwa 65 Prozent des BIP.

Die aktuelle Diskussion wird aber gar nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt, sondern ist mehr politisch motiviert. Das (tatsächliche oder vermeintliche) Eingreifen der EU in die nationale Gesetzgebung heizt die EU-skeptische Stimmung an – aktuell gerade am Beispiel der Einwanderungspolitik und der Freizügigkeit von EU-Bürgern.

Großbritannien hatte sich eher aus wirtschaftlichen als aus politischen Gründen für den Eintritt in die EU entschieden und hat sich nie mit dem Gedanken angefreundet, dass damit auch die Weichen in Richtung einer teilweisen Aufgabe von politischer Souveränität gestellt sind.

Je mehr sich der Eindruck des „Hineinregierens“ aus Brüssel und Berlin in Großbritannien verfestigt, desto größer wird die Gefahr, dass die Befürworter eines Austritts aus der EU die Überhand gewinnen. Angesichts des dem zurzeit teilweise ungeschickten Agieren der britischen Regierung sollte man in Deutschland aber nicht übersehen, dass es auch in dieser Hinsicht grundsätzliche Gemeinsamkeiten gibt.

Die Diskussion über einen Austritt Großbritanniens aus der EU könnte in der jetzigen Phase des Euroraumes entscheidend dafür sein, in welche Richtung der Euroraum geht – in eine marktwirtschaftlichen Richtung oder in Richtung mehr Transferunion. Falls die Befürworter der letzteren Position die Überhand gewinnen, ist der Bestand des Euroraumes ernsthaft gefährdet. Denn Deutschland könnte dies auf Dauer nicht mittragen – und ohne Deutschland ist das Modell der Transferunion nicht durchhaltbar.

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