Europawahl Britischer Premier Cameron spricht von EU-Austritt

Ob Jean-Claude Juncker Präsident der EU-Kommission wird, ist weiter ungewiss. Stimmung gegen den Luxemburger macht vor allem Großbritannien, das offen mit einem Austritt droht.

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Die Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten
Die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) hat ihren Spitzenkandidaten am 1. März in Rom gekürt: Martin Schulz. Der 58 Jahre alte SPD-Politiker gilt als wortgewandt, streitlustig, ehrgeizig. 2004 übernahm der gelernte Buchhändler aus dem nordrhein-westfälischen Würselen den Fraktionsvorsitz der Sozialisten, 2012 wurde er Präsident des Europaparlaments. Schulz ist Europäer aus Leidenschaft, schnell im Denken und im Sprechen. Auch auf Französisch und Englisch. Quelle: dpa
Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) benannte ihren Kandidaten am 6. März in Dublin: Jean-Claude Juncker. Der frühere luxemburgische Premier geht als Favorit ins Rennen, weil die Christdemokraten seit langem im Parlament eine komfortable Mehrheit haben. Der 59-Jährige gilt als Mann der klaren Worte. Juncker ist eine feste Größe in der Europapolitik: Von 2005 bis 2013 war er Vorsitzender der Eurogruppe und wirkte entscheidend daran mit, die Eurokrise zu bewältigen. Der Jurist spricht fließend Englisch, Deutsch und Französisch. Quelle: dpa
Die europäischen Grünen bestimmten ihre beiden Spitzenkandidaten Ende Januar in der europaweiten Abstimmung via Internet: Einer davon ist José Bové. Der 60-jährige Franzose ist Landwirt, Schafzüchter, Umweltaktivist und hat die Anti-Globalisierungsbewegung Attac mitbegründet. Bekannt wurde der „Bauernführer“, als er 1999 mit Mitstreitern eine McDonald's-Filiale kurz vor deren Eröffnung demolierte. Seit 2009 sitzt Bové für die Grünen im Europaparlament. Quelle: AP
Die zweite Kandidatin der Grünen ist Franziska ("Ska") Keller. Die 32-Jährige ist in Deutschland eher unbekannt. Die frühere Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg zog 2009 ins Europaparlament ein. Keller studierte Judaistik, Islamwissenschaft und Turkologie. Sie spricht Englisch, Französisch, Spanisch, Türkisch und Arabisch und ist mit einem Finnen verheiratet. Quelle: dpa
Die Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) schickt ebenfalls zwei Spitzenkandidaten ins Rennen, einer davon ist Guy Verhofstadt. Verhofstadt ist Belgier aus Flandern und überzeugter Europäer. Der 60-Jährige war bis 2008 insgesamt neun Jahre Ministerpräsident seines Heimatlandes. Seit 2009 ist der studierte Jurist Fraktionschef der europäischen Liberalen im Europaparlament. Verhofstadt und seine Frau haben zwei Kinder. Quelle: dpa
Der Finne Olli Rehn arbeitet seit 2004 als EU-Kommissar. Bis 2010 betreute er die EU-Erweiterung, danach übernahm er das Ressort Wirtschaft und Währung. Rehn hat in den USA und in Helsinki Politik, Wirtschaft, Journalismus und internationale Beziehungen studiert. Der 52-jährige wird in Brüssel als Vermittler und Diplomat geschätzt. Quelle: REUTERS
Die europäische Linke nominierte ihren Spitzenkandidaten im Dezember: Alexis Tsipras. Der Senkrechtstarter aus Griechenland begann seine politische Laufbahn in den 1990er Jahren als Studentenführer. Er nahm an Demonstrationen der Globalisierungskritiker in Berlin, Genua und Florenz teil. 2008 wurde er Vorsitzender der Linkspartei Syriza. Der 39-Jährige gilt als ausgezeichneter Redner. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und zwei Söhnen in Athen. Insgesamt gibt es dreizehn europäische Parteienbündnisse, aber nicht alle stellen einen Spitzenkandidaten auf. Quelle: REUTERS

Großbritanniens Premierminister David Cameron hat erstmals offen mit dem Austritt seines Landes aus der EU gedroht, sollte er sich mit seinen Forderungen in Brüssel nicht durchsetzen können. Im Streit um die Nachfolge von José Manuel Barroso als Präsident der EU-Kommission hat der Brite laut Nachrichtenmagazin „Spiegel“ erklärt, er könne den Verbleib seines Landes in der EU nicht garantieren, sollte Juncker Kommissionspräsident werden. Gleichzeitig soll Cameron den früheren Luxemburger Premierminister als „Gesicht der 80er Jahre“ diffamiert haben.

Ein Sprecher der Downing Street in London wollte den „Spiegel“-Bericht, der sich auf Teilnehmerkreise des EU-Gipfels vom Dienstag beruft, am Sonntag nicht kommentieren. „Wir geben keine Kommentare zu vertraulichen Gesprächen ab“, sagte der Sprecher auf dpa-Anfrage. Juncker selbst reagierte in einem Interview der „Bild am Sonntag“: „Die EU muss sich nicht erpressen lassen“, sagte er. Juncker prägt seit drei Jahrzehnten, unter anderem als früherer Chef der Euro-Finanzminister, die Politik in Brüssel. Cameron wünscht sich stattdessen einen Reformer an der Spitze der EU-Kommission.

Juncker zeigte sich in dem Interview dennoch weiter zuversichtlich, der nächste Präsident der Kommission zu werden. „Im Europäischen Rat unterstützt mich eine breite Mehrheit christdemokratischer und sozialistischer Staats- und Regierungschefs.“

Neben Großbritannien sollen dem „Spiegel“-Bericht zufolge vier der 28 Mitgliedsstaaten - neben Großbritannien noch Ungarn, Schweden und die Niederlande - gegen Juncker sein. Laut „Bild am Sonntag“ hatte auch Frankreichs Präsident François Hollande versucht, Juncker zu verhindern. Er habe Merkel mitteilen lassen, dass er nach dem Wahlerfolg der rechtsradikalen Front National dringend ein Signal für seine Regierung brauche und einen Franzosen an der Spitze der EU-Kommission wolle. Die Mehrheit des frisch gewählten EU-Parlaments hat allerdings Juncker hinter sich, nachdem die Sozialisten und Sozialdemokraten um ihren Spitzenkandidaten Martin Schulz den Wahlsieg der Konservativen anerkannt hatten.

Demokratie als 'Farce'

Nationalisten schwimmen auf der Euro-Welle
„Die EU ist ein impotentes Imperium, das Frankreich ausgeplündert hat.“Frankreich steht vor ungemütlichen Wochen. Der rechtspopulistische Front Nation von Parteichefin Marine Le Pen ist Umfragen zufolge die derzeit populärste Partei in Frankreich. Nach Siegen bei Regionalwahlen hoffen die Euro- und Europa-Kritiker nun, auch bei der Europawahl im kommenden Jahr punkten zu können. Aggressiver als alle anderen Politiker hat Le Pen die Ängste vor der Globalisierung und vor den Folgen der Krise verdichtet: An allem sei die EU und die Banken schuld, in deren Auftrag die europäischen Funktionäre handelten. Le Pen will Europa zerschlagen, damit Frankreich wieder Herr im eigenen Hause ist. Quelle: REUTERS
"Ich beuge mich nicht dem Diktat unnützer Forderungen aus Brüssel"Die Regierungskoalition in den Niederlanden ist Ende April 2012 zerbrochen, weil sich Geert Wilders - der die europafreundliche Minderheitsregierung von Mark Rutte duldete - nicht länger dem "Spardiktat" und "unnützen Forderungen" aus Brüssel beugen wollte. Wilders Partei verlor daraufhin bei den Parlamentswahlen deutlich an Stimmen. Nun hofft Wilders bei den Europawahlen 2014 punkten zu können. Quelle: REUTERS
„Wir sagen Nein zu allem. Wir sind für den Umsturz“Schuldendesaster und Rezession bewegen immer wieder griechische Politiker zu scharfen Tönen gegenüber der Europäischen Union. Die Regierung von Antonis Samaras ist derzeit zwar stabil, doch keiner weiß, ob bei einer Zuspitzung der Krise die radikalen Kräfte ein Comeback feiern können. Offen europafeindlich geben sich die stalinistischen griechischen Kommunisten (KKE). „Wir sagen Nein zu allem. Wir sind für den Umsturz“, sagte KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga (Foto). Quelle: Handelsblatt Online
„Wir sollten erwägen, mit möglichst geringem Schaden die Euro-Zone zu verlassen“Nur knapp bei den letzten Wahlen musste sich Kabarettist Beppe Grillo geschlagen geben. Aufgegeben hat er längst nicht. Er macht lautstarke Opposition. Gegen die Regierung und gegen die Europäische Union. Quelle: AP
"Deutschland und Frankreich zwingen der EU ihre rigorose Sparpolitik auf"Die Schuldenkrise und der Sparkurs waren die Hauptgründe dafür, dass die Spanien im November 2011 die sozialistische Regierung abwählten und der konservativen Partido Popular das beste Ergebnis ihrer Geschichte bescherten. Doch ihr Stimmenanteil ist in Umfragen von 45 Prozent auf inzwischen rund 38 Prozent geschrumpft. Premier Mariano Rajoy (im Bild) bekommt den Unmut der Wähler zu spüren. Vor allem die Arbeitsmarktreform mit der Lockerung des Kündigungsschutzes oder die jüngsten Einsparungen im Gesundheits- und Bildungssystem lassen seine Zustimmungswerte sinken. Quelle: REUTERS

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Juncker im Wahlkampf als Spitzenkandidat unterstützt hatte, hatte nach dem EU-Gipfel vergangene Woche zunächst ihre Rückendeckung für den Luxemburger aufgeweicht und erklärt, alles sei möglich. Cameron ließ sich danach als Sieger im Personalpoker feiern. Merkel löste damit jedoch eine in der Europapolitik selten gekannte Medienwut in Deutschland aus, die in dem ARD-Kommentar gipfelte, Merkels Verhalten sei „selten dumm“.

Die „Bild“-Zeitung hatte kommentiert, wenn Juncker nicht Kommissionspräsident werde, mache Merkel die Demokratie zu einer „Farce“. Die großen Parteienfamilien in Europa waren zur Wahl erstmals mit Spitzenkandidaten angetreten und stellten damit den Kommissionspräsidenten dem Volk zur Wahl. Gleichwohl liegt das Vorschlagsrecht für die Spitzenpersonalie noch immer bei den 28 Staats- und Regierungschefs.

Für Cameron steht Juncker für die in Großbritannien unbeliebte Devise „Mehr Europa“. Der Premierminister befürchtet, dass die Anti-EU-Stimmung in seinem Land noch mehr anschwillt. Bei der Europawahl hatten fast 30 Prozent der Wähler in Großbritannien die EU-feindliche UKIP gewählt.

Cameron hat für 2017 ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der Union in Aussicht gestellt. Sollte Juncker Präsident der EU-Kommission werden, könnte der Druck auf der Insel so anschwellen, dass das Referendum vorgezogen werden müsste, zitiert das Nachrichtenmagazin den durch Camerons Äußerung entstandenen Eindruck. Dann sei ein Nein-Votum fast sicher. Cameron muss sich 2015 auch einer Parlamentswahl stellen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) machte unterdessen deutlich, Europas Spitzenpersonalien dürften nicht mit Zugeständnissen, etwa beim Euro-Stabilitätspakt, erkauft werden. „Das dürfen wir nicht miteinander verknüpfen“, sagte er dem Magazins „Focus“. Die Regeln in der Europäischen Union (EU) müssten eingehalten werden. „Sonst verspielen wir jegliches Vertrauen. Regeln machen nur Sinn, wenn sie unabhängig von den agierenden Politikern Bestand haben.“

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