Was muss ich über den ESM wissen?
Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll die Zahlungsfähigkeit der 17 Euro-Staaten dauerhaft sichern. Der dauerhafte Rettungsschirm wird mit 700 Milliarden Euro an Grundkapital ausgestattet. Damit soll Mitgliedsstaaten der Währungsunion, die an den Kapitalmärkten kein Geld mehr aufnehmen können, finanziell geholfen werden. Die Hilfe erfolgt über Bürgschaften und Notkredite (zu günstigen Zinsen).
Deutschland steuert 190 Milliarden Euro zum ESM bei. 21,7 Milliarden Euro werden als Bareinlage eingezahlt, für weitere 168,3 Milliarden Euro garantiert der Bund. In diesem Jahr soll jedes Euro-Land bereits zwei der fünf Raten einzahlen. Für Deutschland sind das rund 8,78 Milliarden Euro. Dafür muss die Bundesregierung neue Schulden aufnehmen. Berlin stemmt den größten Anteil am Rettungsschirm, vor Frankreich (142,7 Milliarden Euro), Italien (125,4 Milliarden Euro) und Spanien (83,3 Milliarden Euro).
Die Finanzinstitution hat ihren Sitz in Luxemburg und wird von dem Deutschen Klaus Regling geführt. Alle fünf Jahre überprüft der Gouverneursrat des ESM, ob das Stammkapital ausreicht. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings festgelegt, dass eine Erhöhung der Garantiesumme Deutschlands nur mit der Zustimmung des Bundestags beschlossen werden kann.
Für wie viel Geld haftet Deutschland beim ESM wirklich?
Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung eine ganze Reihe von Einschränkungen diktiert. Die wichtigste Auflage: Deutschland muss verbindlich sicherstellen, dass sein Anteil am Euro-Rettungsschirm auch tatsächlich auf maximal 190 Milliarden Euro begrenzt bleibt. Diese Auflage soll insbesondere verhindern, dass das Budgetrecht des Bundestags durch eine Hintertür in Artikel 25 des ESM-Vertrags ausgehöhlt wird. Dort heißt es, dass beim Zahlungsausfall einzelner Mitglieder die anderen ESM-Staaten das fehlende Kapital beisteuern müssen. Eine Obergrenze wird ausdrücklich nicht genannt. Um zu verhindern, dass diese Klausel zu einem Fass ohne Boden wird, soll Deutschland erstmals auf Geheiß der Verfassungsrichter einen völkerrechtlichen Vertrag nur unter Vorbehalt ratifizieren.
Das Gericht betont, dass die Bundesrepublik ohne Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien keine höheren Zahlungsverpflichtungen eingehen dürfe. Theoretisch könnte Deutschland sein Stimmrecht verlieren, in dem es mit seiner Pflicht zur Einzahlung von Geldern in Verzug gerät. Hier zeigen sich die Obersten Richter pragmatisch: Sollte das passieren, könnte der Bundestag einfach die Zahlungen stoppen. Ihm obliege es schließlich, die Mittel im Bundeshaushalt bereitzuhalten.
Trotz aller Einschränkungen gilt: Eine Haftungssumme Deutschlands, die über den nun beschlossenen 190 Milliarden Euro hinausgeht, ist perspektivisch möglich – so lange der Bundestag diesem Schritt vorher seine Zustimmung erteilt.
Wie reagieren Spanien und Italien?
Schlagen Spanien und Italien nun zu?
Nein – jedenfalls nicht in den nächsten Tagen. Italien hat noch Zugang zu den privaten Finanzmärkten, wenn auch zu hohen Preisen. Die Monti-Regierung in Rom hofft, dass die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, die gemeinsame Währung zu verteidigen und im Zweifelsfall auch schwachen Euro-Staaten zur Hilfe zu eilen, die Renditen in den nächsten Wochen weiter drückt und sich Italiens Situation so im Alleingang entspannt.
Auch in Spanien gibt es keinen Zeitdruck, sich schnell Hilfen aus dem ESM zu sichern. In der vergangenen Woche hat das Land Bonds über vier Milliarden Euro ausgegeben. Madrid allerdings wagte sich erneut nur an kurze Laufzeiten von zwei, drei und fünf Jahren. Die Renditen lagen zwischen 3,2 und 4,8 Prozent. Spanien hat damit bereits 88 Prozent des diesjährigen Refinanzierungsbedarfs von 86 Milliarden Euro am Anleihemarkt eingesammelt.
Dennoch steckt die spanische Regierung in Schwierigkeiten. Immer mehr Autonomen Kommunen droht die Pleite, die Wirtschaft kommt nicht in Gang, Steuereinnahmen bleiben aus. Für den maroden Bankensektor hat Madrid bereits Hilfe von den Euro-Partnern in Anspruch genommen. Gelöst sind die spanischen Probleme damit nicht. Vieles deutet darauf hin, dass Spanien in den kommenden Wochen unter den ESM flüchtet. Noch versucht das Land, diesen Schritt zu verhindern. Ministerpräsident Mariano Rajoy spielt auf Zeit. Er hofft noch auf eine "sanfte Rettung" durch die EZB. Das heißt, Spanien bekäme keine feste Kreditsumme sondern nur die Zusage, dass die EZB als eine Art Feuerwehr mit Anleihekäufen auf dem Markt eingreifen würde, sobald die Finanzierungskosten zu sehr steigen. Der Vorteil: Anders als bei direkten Hilfskrediten, müsste Spanien kein Reformprogramm mit den Kreditgebern aushandeln. Auf regelmäßige Besuche der "Troika" hat in Spanien niemand Lust.
Eine Entscheidung dürfte erst nach den Regionalwahlen am 21. Oktober im Baskenland und in Galicien fallen. Das ist die Heimat von Ministerpräsident Rajoy, seine konservative Partei, der "Partido Popular", muss um ihre Regierungsmehrheit fürchten. Das gilt er recht, sollte Spanien zuvor unter den Rettungsschirm flüchten. Denn viele Bürger würden das als Versagen der Rajoy-Regierung interpretieren.
Spanien-Hilfspaket kommt im November
Was hält die Bundesregierung von Finanzhilfen für Spanien?
Finanzminister Wolfgang Schäuble hat in den vergangenen Wochen mehrfach erklärt, dass Spanien auf dem richtigen Weg sei. Die Iberer bräuchten derzeit keine weiteren Hilfsmilliarden, so der CDU-Politiker. In Frankreich und innerhalb der EU-Kommission sieht man das anders. Hier wird die zögerliche Haltung der spanischen Regierung zum Teil stark kritisiert. Gleiches gilt für die Schützenhilfe aus Deutschland.
Die Bundesregierung wird in ihrer Spanien-Begeisterung von eigenen Interessen getrieben. Schließlich müsste über einen Hilfsantrag Spaniens auch der Bundestag entscheiden, genauso wie über weitere Milliardenkredite für Griechenland oder Zypern. Sollte die Regierungskoalition bei einer neuerlichen Euro-Abstimmung erneut keine Kanzlermehrheit erreichen, wäre das ein gefundenes Fressen für die auf Wahlkampfmodus laufende Opposition. Schäuble und Merkel spielen daher wie Spaniens Ministerpräsident Rajoy auf Zeit.
Warum soll der ESM "gehebelt" werden?
Wieso wird über eine Hebel-Funktion des Rettungsschirms gesprochen – und wie funktioniert die?
Derzeit haben Spanien und Italien kein Interesse an Rettungsaktionen des ESM. Das kann sich aber rasch ändern. Sollten die Unternehmen weiter schwächeln, die Haushaltseinnahmen schrumpfen und das Vertrauen der Investoren gering bleiben, könnten sich Rom und/ oder Madrid gezwungen sehen, doch Hilfe durch den ESM einzufordern. Um die dritt- (Italien) und viertgrößte Volkswirtschaft (Spanien) der Eurozone stützen zu können, würden die 700 Milliarden Euro des ESM kaum reichen.
Dem wollen die Euro-Retter mit dem „Hebel“ vorbeugen. Mit dem Instrument, das ursprünglich aus dem Finanzsektor kommt, wurde bereits der ESM-Vorgänger, der der befristeten Rettungsfonds EFSF, gestärkt. Zum Einsatz kam die Hebelfunktion aber nicht, da die Luxemburger Hilfseinrichtung keine Schuldtitel aufkaufte.
Mit Hilfe des „Hebels“ sollen private Gläubiger motiviert werden, sich an der Rettung kriselnder Euro-Länder zu beteiligen. Als Gegenleistung erhalten die Gläubiger eine Garantie für einen Teil ihrer Anlagen. Sprich: Bei einem Schuldenschnitt zahlen zunächst nicht die privaten Gläubiger, sondern der Rettungsschirm. Das Problem ist, dass für den ESM die Ausfallrate insgesamt steigt. Das Geld steht mehr im Risiko.
„Dadurch werden auch die Finanzierungskosten für die Euro-Retter steigen. Der ESM begibt ja bekanntlich Anleihen, mit denen er sich refinanziert. Wenn die Ausfallraten und die Garantiesummen aufgrund der Hebelfunktion steigen, wird sich das im Zins widerspiegeln – und im Rating“, erklärt Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance and Management. „Ein Triple-A-Rating ist dann wohl nicht mehr möglich.“ An den Haftungsobergrenzen der Mitgliedstaaten ändert sich zunächst nichts. Ist das Geld verbrannt und werden neue Garantien verlangt, muss der Bundestag befragt werden.
Was passiert, wenn der ESM nicht ausreicht und im Bundestag keine Zustimmung für eine Aufstockung zu erreichen ist?
Dann könnte die Europäische Zentralbank (EZB) einspringen. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer könnten unter Schulden ächzende Euro-Staaten wegen der ESM-Stoppschilder aus Karlsruhe mehr Druck auf die EZB ausüben. Diese könnte im großem Stil Anleihen der Euro-Schuldenstaaten kaufen, die am Markt zu hohe Zinsen zahlen müssen. Aber nur auf dem Sekundärmarkt, also von Banken, nicht direkt von Staaten. "Die EZB dürfte einen größeren Beitrag für die Errichtung einer Haftungsunion leisten als der ESM", meint Krämer. Deutschland haftet bei der EZB mit 27 Prozent, über diesen Umweg könnten im schlimmsten Fall höhere Risiken als beim ESM drohen.
Was hat der Fiskalpakt mit dem ESM zu tun?
Wie hängen ESM und Fiskalpakt zusammen?
Nur jene Euro-Länder, die sich zu einer soliden Haushaltspolitik bekennen, können Hilfe vom ESM erwarten. Diese Bedingung setze Bundeskanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel im Dezember 2011 durch. Alle 17 Euro-Länder folgten der Kanzlerin. Mit Hilfe des Fiskalpakts werden Schuldenbremsen in der Euro-Zone und in acht weiteren Ländern der Europäischen Union verbindlich verankert. Nur Großbritannien und Tschechien akzeptieren den Fiskalpakt nicht
Angestrebt werden nahezu ausgeglichene Haushalte. Das jährliche, um Konjunktur- und Einmaleffekte bereinigte Staatsdefizit eines Landes darf 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft nicht übersteigen. Das ist allerdings weniger streng als die Schuldenbremse für den Bund, dessen Strukturdefizit in Normalzeiten ab 2016 nicht über 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen darf.
Was sind nun die nächsten Schritte in der Schuldenkrise?
Die geplante Bankenunion soll die Währungsunion stabiler machen – und verhindern, dass Banken wie in Spanien bis zu 100 Milliarden Euro an Hilfen brauchen und so die Staatsschuldenkrise verschlimmern. Bis Ende des Jahres soll das Gerüst stehen. Alle Länder sollen Notfallfonds aufbauen, die sich aus Abgaben der Banken finanzieren. Die Fonds sollen kriselnde Geldhäuser unterstützen und notfalls auch die Abwicklung maroder Institute bezahlen. Die EZB erhält zudem noch mehr Einfluss. Sie soll die Banken kontrollieren, die Hilfen bekommen und ab 2014 alle 6000 Geldinstitute in den 17 Euro-Staaten.