Warum steigen die Preise derzeit nicht?
Derzeit horten die Geschäftsbanken das Geld, das ihnen die EZB zur Verfügung stellt, auf ihren Konten bei der Zentralbank, statt damit Kredite an Unternehmen und Verbraucher zu refinanzieren. Ein Grund ist, dass die Banken jeden Kredit mit Eigenkapital unterlegen müssen. Je höher das Ausfallrisiko, desto mehr Eigenkapital benötigen sie. Neue Vorschriften zur Bankenregulierung (Basel III) verlangen zudem, bereits vergebene Darlehen mit mehr Eigenkapital zu unterlegen.
Doch Eigenkapital ist knapp. Um ihre Kapitalbasis zu stärken, müssten die Banken neue Aktien ausgeben oder Gewinne einbehalten. Das Problem ist nur: Bankaktien finden derzeit schwer Käufer, und die Gewinne der Finanzbranche schrumpfen. Daher bremsen die Banken ihre Kreditvergabe. Das gilt vor allem für die Krisenländer.
Hinzu kommt, dass die Unternehmen und Bürger in den Peripherieländern wegen hoher Schulden kaum neue Kredite nachfragen. In Deutschland haben die Unternehmen in den vergangenen Jahren üppige Gewinne verbucht. Sie können ihre Investitionen vielfach aus eigenen Mitteln finanzieren. Solange die Kreditvergabe niedrig bleibe, sei Inflation daher kein Thema, beruhigen Ökonomen. „Das Preisniveau steigt nicht zwingend, wenn sich die Geldmenge erhöht“, sagt Dirk Schumacher, Chefvolkswirt für Europa bei Goldman Sachs.
Keine Notenbank der Welt habe so viele Anleihen gekauft wie die japanische, dennoch gebe es dort keine Inflation.
Auch Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats, erwartet keine Inflation: „Inflation ist keine Schweinegrippe, die von einem Tag auf den nächsten eine Volkswirtschaft befällt.“ Damit die Betriebe die Preise erhöhen, müsse die Kaufkraft der Verbraucher steigen. „Das erfordert höhere Löhne – die aber sind bei der hohen Arbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern nicht in Sicht“, urteilt Bofinger. In Deutschland allerdings sieht es anders aus – die jüngsten Tarifabschlüsse brachten Arbeitnehmern auch real mehr Geld.
Ist die Inflationsangst berechtigt?
Spätestens wenn die Konjunktur anzieht, werden die Banken wieder mehr Kredite vergeben und so zusätzliches Geld in Umlauf bringen. Dann wird sich zeigen, ob die EZB ihnen das Zentralbankgeld, das die Banken für die Kreditvergabe benötigen, rechtzeitig entzieht, um Inflation zu verhindern. Zweifel sind angebracht. Die EZB ist in der Krise nahe an die Politik gerückt und zum Finanzier der Staatshaushalte geworden. Der politische Druck auf die Euro-Hüter, die Zinsen niedrig zu halten, um den Staaten den Schuldendienst zu erleichtern, wird steigen.
Für Deutschland sind die Zinsen schon jetzt zu niedrig. Hinzu kommt die vergleichsweise geringe Arbeitslosigkeit hierzulande, die es den Gewerkschaften erleichtert, höhere Löhne durchzusetzen. Deshalb erwartet Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ-Bank, dass die Inflationsrate auf mindestens drei Prozent steigt. Der Geldtheoretiker Manfred Neumann von der Universität Bonn ist deutlich pessimistischer: „Es wird eine schleichende Inflation geben mit Raten von bis zu sechs Prozent“, sagt der Doktorvater von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.
„Es gibt historisch nur einen mit heute vergleichbaren Zeitraum, und das sind die Siebzigerjahre. Die Inflationsrate lag damals bei sechs Prozent. Höher hätte sie auch nicht sein dürfen, sonst hätte die Bevölkerung rebelliert“, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Degussa-Chefvolkswirt Thorsten Polleit ist pessimistischer: „Ich fürchte, dass es sogar zweistellige Preissteigerungen gibt.“